Vergewaltigungen gelten als Instrumente systematischer Kriegsführung – in Afrika, im Nahen Osten, im Kosovokrieg oder im Zweiten Weltkrieg. Wie funktioniert Vergewaltigung als Waffe?

Man demütigt den Gegner. Da geht es wie so oft um Geschlechterbilder: Die Frau als die Reine, die Mutter, die die Zukunft des Landes gebiert. Wenn man sie verletzt, wird gleichzeitig auch die Männlichkeit der Gegner verletzt. Der Mann konnte seine Frau nicht schützen. Die Nation, die Zukunft wurde angegriffen. So wird Sex auch als Waffe gegen die Männer gerichtet.

2011 kamen wegen des Bürgerkriegs an der Elfenbeinküste Zehntausende Flüchtlinge nach Liberia, darunter viele vergewaltigte Frauen und Mädchen. Was haben sie erzählt?

Die Frauen werden vergewaltigt oder mit Gegenständen gefoltert, manchmal von ganzen Rebellengruppen. Ihre Ehemänner müssen dabei zuschauen und werden dann umgebracht. Brüder werden gezwungen, ihre Schwestern zu vergewaltigen. Frauen bekommen mit, wie ihre Töchter vergewaltigt werden.

Sie sind gerade zurück aus Liberia, wo nach Angaben der UN im Bürgerkrieg eine Million Frauen vergewaltigt wurden. Also zwei von drei. Wie sind solche Zahlen möglich?

Das hat viel mit dem grundlegenden Verhältnis der Geschlechter zu tun, mit der Machtausübung des Mannes gegenüber der Frau. In Liberia war Gewalt gegen Frauen auch vor dem Bürgerkrieg verbreitet. In Kriegen pervertiert die sexualisierte Gewalt.

Wie verändert sich der Alltag in einem Land, in dem so viele Menschen so brutale Gewalt erfahren haben?

Das hat man ja auch in Deutschland gesehen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die traumatischen Kriegserfahrungen der Männer und Frauen haben in der Nachkriegszeit zu einer großen Gefühllosigkeit geführt, die sich wiederum in der Erziehung der Kinder niederschlug. Die Männer wollten nicht darüber sprechen, die Frauen konnten nicht – gerade wenn sie vergewaltigt wurden. Sexualisierte Gewalt ist ein großes Tabuthema, überall. Oft wird ja auch noch die Frau beschuldigt, die Männer gereizt zu haben. Die Scham haftet auf der ganzen Familie.

Im Zweiten Weltkrieg gab es Vergewaltigungslager und KZ-Bordelle. Ist Ihnen so was auch heute bekannt?

In der Demokratischen Republik Kongo werden Frauen, wie schon in Liberia und Sierra Leone, zu sogenannten Camp Followers. Das sind zwar keine Bordelle, aber die Frauen werden von den Rebellentrupps mitgeschleppt – als Sexsklavinnen, Wäscherinnen, Köchinnen, zum Tragen der Munition, manchmal zum Kämpfen.

Wo überall erleiden Frauen heute Kriegsvergewaltigungen?

Wir haben momentan über 30 bewaffnete Konflikte. Vergewaltigungen stehen dort überall auf der Tagesordnung. Die Demokratische Republik Kongo steht im Moment an der Spitze, was Vergewaltigungen angeht. In Afghanistan ist die häusliche Gewalt extrem hoch, auch in Liberia haben wir es derzeit viel mit Nachkriegsvergewaltigungen und häuslicher Gewalt zu tun. Jedes Land hat seine eigenen Perversitäten.

Worauf wird es zukünftig im Kampf gegen sexuelle Gewalt in Krisengebieten ankommen?

Die Frau zu stützen, ihr Zugang zu geben zu Gesundheitsversorgung, Rechtsbeistand, psychologischer Beratung. Man muss im Familiensystem arbeiten, andere Bilder von Mann und Frau und Gemeinsamkeit schaffen. Die internationale Gemeinschaft muss Regierungen zwingen, Gesetze zu machen. Denn wenn Friedensverträge geschlossen sind, heißt das noch lange nicht, dass der Frieden auch für die Frauen einkehrt. Der Krieg ist für sie mit der letzten Kugel noch nicht vorbei.