„Bald gibt es keine Richter mehr, sondern nur noch politische Kommissare“, warnt ein Mann mit akkurat nach hinten gekämmten Haaren. Marcin Matczak ist Rechtsexperte der Stefan-Batory-Stiftung, die sich für Demokratie einsetzt. Die Zuhörer im Saal nicken betreten. Unter ihnen sind Vertreter internationaler NGOs wie Amnesty International oder Greenpeace, die meisten aber gehören zu polnischen Nichtregierungsorganisationen wie „Freie Gerichte“ oder „Kultur der Unabhängigkeit“. Im Konferenzraum sitzen die Redner in einem Stuhlhalbkreis vor dem gedrängten Publikum. Ein Satz fällt oft: „Wir unterscheiden uns in vielem, aber hier wollen wir gemeinsam auftreten.“

Die NGOs sind nicht nur um die Zukunft der unabhängigen Gerichte besorgt, sondern auch um die eigene Existenz

Eingeladen hat in ihre Räumlichkeiten in Warschau die NGO „Projekt: Polska“. Sie befasst sich mit Fremdenfeindlichkeit, Säkularismus und Digitalisierung. Hinter einer Glaswand mit Piktogrammen hauen Mitarbeiter auch während der Veranstaltung in die Tasten. Es gibt einiges zu tun dieser Tage in Polen. Vor der Glaswand wird über eine Justizreform beraten, die gerade zwischen dem Staatspräsidenten und der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS; Prawo i Sprawiedliwość) ausgehandelt wird. Die NGOs sind nicht nur um die Zukunft der unabhängigen Gerichte besorgt, sondern auch um die eigene Existenz.

Nach zwei Jahren Regierungszeit der rechtspopulistischen Partei PiS, nach Eingriffen in die öffentlich-rechtlichen Medien und das Justizwesen und einer Schulreform erwartet nun auch diejenigen eine Veränderung von oben, die eigentlich außerhalb der politischen Einflussnahme stehen sollten: die Nichtregierungsorganisationen. Seit Ende Oktober ist ein Gesetz in Kraft, das von der ehemaligen nationalkonservativen Premierministerin Beata Szydło im vergangenen Jahr initiiert wurde, weil, so sagte sie, „falsche Organisationen“ zu viele Gelder bekämen. Das neue „Nationale Institut der Freiheit“ soll die Verteilung der Gelder für die NGOs in Zukunft regeln. Verabschiedet wurde es, ohne sich mit den NGOs zu beraten. Nun fürchten Organisationen, die nicht auf Regierungskurs fahren, um staatliche Zuwendungen.

NGOs „politisch klassifiziert“ ?

Lukasz Domagała, Vorsitzender der „Polnischen Föderation der Nichtregierungsorganisationen“ (OFOP) hatte vergeblich versucht, auf die Gestaltung des „Nationalen Instituts der Freiheit“ Einfluss zu nehmen. Der 37-Jährige sitzt in Trainingsjacke in der Küche seines Altbau-Büros im Warschauer Arbeiterviertel Praga. Der Tagungsraum wird gerade von Frauen eines Antidiskriminierungstheaters benutzt. Domagała fürchtet eine tendenziöse Politisierung durch das „Nationale Institut der Freiheit“, das allein durch ein politisches Komitee aus Politikern der Regierungspartei kontrolliert wird. Besonders die Präambel des Gesetzes sorgte für Kontroversen: „Der polnische Staat unterstützt die freiheitlichen und christlichen Ideale seiner Bürger und der lokalen Gemeinschaften, die die unabhängigen, nationalen, religiösen, sozialistischen und folkloristischen Traditionen umfassen“, heißt es dort. Domagała befürchtet, dass NGOs „politisch klassifiziert“ werden könnten, dass sie durch eine ideologische Brille betrachtet und politische Streitigkeiten in die Welt der Nichtregierungsorganisationen hineingetragen würden. Bislang hätten sich die Parteien aus dem Non-Profit-Bereich herausgehalten.

Nun bangen NGOs um Geld aus sogenannten Fonds, staatliche Mittel, die für bestimmte – zum Beispiel soziale oder kulturelle – Zwecke vorgesehen sind

Nun bangen NGOs um Geld aus sogenannten Fonds, staatliche Mittel, die für bestimmte – zum Beispiel soziale oder kulturelle – Zwecke vorgesehen sind. Auch der von polnischen Geldern gespeiste „Fonds Staatsbürgerlicher Initiativen“ soll aufgelöst werden, der den Non-Profit-Bereich mit 60 Millionen Zloty, rund 14 Millionen Euro, jährlich stützte. Bislang ist unklar, ob er ersetzt wird. Sogar Fonds der Kommunen, mit denen projektbezogen Gelder vergeben werden, können künftig theoretisch durch das „Nationale Institut der Freiheit“ kontrolliert werden.

Auch die EU kommt ins Spiel: Auf Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds könnte das Regierungsinstitut rein rechtlich gesehen Einfluss nehmen. Das steht aber bislang nicht zur Diskussion. Nur rund 20 Prozent der NGOs erhielten Finanzmittel von EU-Fonds, die Norway Grants sind hier nicht mitgerechnet. Im Falle der Gelder der Norway Grants geht es vermutlich gut aus für die NGOs. Norwegen zahlt durch diesen Fonds ärmeren Ländern der EU viel Geld, darunter Polen, um etwa in Sachen Innovation und Umwelt Fortschritte zu erzielen und besser am Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) teilnehmen zu können. Das nordeuropäische Land setzte aber Ende Oktober in den Verhandlungen gegenüber Polen durch, dass die 53 Millionen Euro bis 2021 an die Interessierten und Berechtigten der rund 100.000 polnischen NGOs unabhängig von dem „Nationalen Institut der Freiheit“ verteilt werden können.

Auch Medien fordern, Geldflüsse aus dem Ausland an ungeliebte Organisationen zu stoppen

Domagała beruhigt das nicht. Er fürchtet die Medien im Land, die hinter der Regierung stehen. Auch sie fordern, dass man Geldflüsse aus dem Ausland an ungeliebte Organisationen stoppen solle. Viele sind eng mit den PiS-Politikern verflochten, die sich immer ablehnender zur EU äußern. Wie sehr die Regierung in Warschau einigen Non-Profit-Organisationen gegenüber abgeneigt ist, zeigte sich am 4. Oktober, als das Innenministerium in vier Städten in den Büros von zwei Frauenrechtsorganisationen Razzien veranstaltet und die Computer beschlagnahmt hat. Kulturminister Piotr Gliński, der das „Nationale Institut der Freiheit“ verantwortet, hat bereits anklingen lassen, dass Frauenrechtsbewegungen und LGBT-Organisationen nicht mit Unterstützung von staatlich kontrollierten Fonds rechnen können.

Junge Leute in ost- wie in westeuropäischen Ländern würden sich ohnehin schon zunehmend von der Demokratie abwenden

Von Überlegungen aus Deutschland und Frankreich, Polen verschiedene Fondsgelder zu kürzen, hält Lukasz Domagała nichts. Junge Leute in ost- wie in westeuropäischen Ländern würden sich ohnehin schon zunehmend von der Demokratie abwenden. Die Streichungen könnten zu einer noch größeren EU-Aversion in Polen führen, meint er. Vielmehr, sagt Domagała, müsse die EU Mittel bereitstellen, um das Demokratiebewusstsein zu stärken und zu wecken.

Genau das will die Theater-NGO „Stop-Klatka“: ein Bewusstsein dafür wecken, was Demokratie bedeutet, und mit kurzen Stücken gegen die Diskriminierung von Fremden ankämpfen. Dafür sind die Frauen zum Beispiel in Schulen unterwegs. An der Notwendigkeit des Projekts, bei dem insgesamt sieben Frauen hauptberuflich arbeiten, hat die Trainerin und Vorsitzende, Małgorzata Winiarek-Kołucka, keine Zweifel: „Die Fremdenfeindlichkeit hat in Polen in den letzten Jahren stark zugenommen.“ Die Zahl der Vorfälle mit rassistischem Hintergrund hat sich seit dem Jahr 2000 verzehnfacht.

Um Geldausfällen vorzubeugen, denken derzeit viele NGOs über neue Quellen nach: Crowdfunding, Fundraising oder ganz einfach das Bitten um Privatspenden. „Projekt: Polska“, der Gastgeber der NGO-Konferenz, hat sich mit einer Kneipe abgesichert. Die meisten Angestellten arbeiten dort in der Küche oder als Kellner.

Titelbild: Imago/Christian Mang