Auf einmal waren sie hinter ihnen – zwei Männer, bewaffnet mit Baseballschlägern und einer Pistole. Natalia Resnik sieht noch, wie ihr Mann dem Schlag auszuweichen versucht, bevor er zusammensackt. Dann treten sie auf ihn ein, so heftig, dass er sich nicht mehr aufrappeln kann. Sekunden dehnen sich endlos, irgendwann fällt ein Schuss. Sergej Resnik, scharfzüngiger Journalist und Blogger, hat den Angriff vor seiner Haustür an einem Oktoberabend 2013 überlebt und wenig später Anzeige erstattet. „Ironischerweise läuft aber ein Strafverfahren gegen mich“, sagte er damals. „Wahrscheinlich werde ich irgendwann eingesperrt, und die, die mich zusammengeschlagen haben, spazieren frei rum."

Genau so ist es gekommen: Heute sitzt Sergej Resnik hinter Gittern – in Rostow am Don, einer Hafenstadt im Süden Russlands rund 600 Kilometer nördlich von Sotschi. Im Januar wurde der 38-Jährige verurteilt: Insgesamt drei Jahre muss er in eine Strafkolonie – und wenn er wieder frei ist, darf er zwei weitere Jahre nicht als Journalist arbeiten. Zu dem Zeitpunkt saß er schon über ein Jahr in Haft – von seiner ersten Verurteilung im November 2013. Was Sergej Resnik laut dem Perwomayskier Bezirksgericht verbrochen hat? Ziemlich viel. Er habe einen Mechaniker bestochen, Drohanrufe erfunden, Beamte beleidigt und Lügen verbreitet. Resnik selbst plädiert auf nicht schuldig. Sein „Verbrechen“ sei, dass er über Amtsmissbrauch, Korruption und Vetternwirtschaft geschrieben habe, sagt er. „Selbst wenn die Zeitungen, für die er schrieb, dichtgemacht wurden, hat Sergej weitergemacht und die Geschichten auf seinem Blog veröffentlicht“, erzählt seine Frau.

Wer über Korruption berichtet, lebt gefährlich

Resnik schrieb 2011 über die Privatisierung kommunaler Wirtschaftsbetriebe, bei der gehörige Summen in die Taschen von Beamten und Angestellten geflossen sein sollen – laut Resnik wurden dem Staat etwa 80 Milliarden Rubel gestohlen. „Von da an ging es los mit den Drohanrufen“, erinnert er sich. „Mein Auto wurde zertrümmert, irgendwer hat unsere Eingangsschlösser verklebt, meine Accounts wurden gehackt, und ich wurde zusammengeschlagen.“ Einschüchtern ließ sich Resnik nicht, obwohl um ihn herum reihenweise Journalisten mundtot gemacht wurden. Allein zwischen 2009 und 2013 wurden in Rostow mindestens fünf Journalisten strafrechtlich verurteilt. Sogar Todesfälle gab es: Jaroslaw Jaroschenko, Chefredakteur der Monatszeitschrift „Korruptsiya i Prestupnost“, starb 2009, nachdem er brutal vor seinem Hauseingang zusammengeschlagen wurde.

Ebenso sein Nachfolger Wiktor Afanasenko. Schon 2006 erregte der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja international Aufsehen. Auch sie hatte über Korruption in den Behörden berichtet, bevor sie vor ihrer Haustür in Moskau erschossen wurde. „Manchmal habe ich gedacht, dass mein Mann keinen Überlebensinstinkt hat, weil er immer weitermachte“, sagt Natalia Resnik. „Aber er war der Meinung, dass es keinen Sinn hat, Angst zu haben. Man muss sich gegen das Unrecht wehren, seine Stimme erheben.“ Dass er jetzt wieder verurteilt wurde, spreche dafür, dass er etwas richtig gemacht habe. „Sergej Resnik wurde von denselben Menschen vor Gericht gebracht, über die er kritisch berichtet hat“, sagt der Geschäftsführer von „Reporter ohne Grenzen“, Christian Mihr.

Auch Wladimir Nowitski, der Vorsitzende der Russischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, spricht von einem Willkürprozess und von erheblichen Verfahrensfehlern. Schon allein, dass verschiedene Anklagepunkte in einem Prozess zusammengefasst wurden, wie im ersten Prozess 2013 geschehen, widerspreche geltendem Recht: „Es dient nur dazu, das Erscheinungsbild eines Wiederholungstäters aufzubauen“, sagt Rechtsanwalt Nowitski.  „Ich bin ein freier Mensch in einem falschen Land“, hat Resnik einmal zu seiner Frau gesagt. Die Hoffnung, dass sein Land zu einem „richtigeren“ wird, hat er selbst hinter Gittern nicht aufgegeben. Auch nicht sein Anwalt – der geht in Berufung.

Mitarbeit: Maryna Rakhlei

Foto: Ekatarina Anokhina/ n-ost