Das Heft – Nr. 69

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Chapeau, Kollegen!

Menschen mit Behinderung werden oft unterschätzt. Die Redaktion von „Ohrenkuss“ schreibt seit 20 Jahren gegen dieses Vorurteil an

Hier rein, da raus, und das, was hängen bleibt, nennen sie „Ohrenkuss“. Sie, das sind 14 Erwachsene mit Downsyndrom, die das Halbjahresmagazin „Ohrenkuss“ produzieren – eine monothematische Zeitschrift, die Reportagen, lyrische Texte und Bildstrecken vereint. Und das schon seit 20 Jahren. Damals war es eine kleine Revolution, dass Menschen mit Downsyndrom ein eigenes Magazin herausbringen, dass sie ein Gespür für Texte und Bilder haben. „Meine Kollegen mit Downsyndrom haben einen besonderen Blick auf die Welt“, sagt die Chefredakteurin Katja de Bragança. „Sie sind oft unmittelbarer und machen Sätze und Wortschöpfungen, auf die ich gar nicht käme. Sie gucken viel mehr um die Ecke.“

Das Projekt, für das zudem rund 50 Korrespondentinnen und Korrespondenten Texte und Ideen liefern, gilt als Vorreiter in Fragen der Inklusion von Menschen mit Behinderung. Dabei geht es um die Teilhabe für alle in der Gesellschaft. Ein viel diskutiertes Anliegen, besonders wenn es um gemeinsamen Schulunterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern geht. „Inklusion macht schlau“, sagt der Hirnforscher Gerald Hüther, da sie alle Beteiligten immer wieder neu herausfordere. Andere sehen das unterschiedliche Lerntempo als Herausforderung. Nachholbedarf sieht der Aktivist Raul Krauthausen auf dem Arbeitsmarkt: „Unternehmen können nicht verpflichtet werden, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Da kommen wir nur mit Gesetzen und Quoten weiter.“ Für ihre publizistische Art der Selbstermächtigung erhielten die Ohrenküssenden Hunderte von Preisen – und Chefredakteurin de Bragança sogar das Bundesverdienstkreuz. „Wir sind keine Selbsthilfegruppe“, sagt sie, „und wir machen keine Schreibtherapie.“ Das sehen die Autoren auch so, sie wollen ernst genommen werden. „Wenn man mich anstarrt, sieht man nicht, was in mir ist. Wenn man mich anstarrt, sieht man nicht, dass ich seit 13 Jahren im Ohrenkuss-Team bin“, dichtete Gründungsmitglied Angela Fritzen für eine Ausgabe.

Hier erklärt das „Ohrenkuss“-Team politische Begriffe: www.bpb.de/ohrenkuss

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