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Im Computerspiel „Quarantine Circular“ verhandelt man mit einem Alien über das Schicksal der Menschheit. Das Mini-Game zeigt: Dialog ist Action genug

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quarantine circular

Immerhin scheint die Sonne auf das tiefblaue Meer. Ein schwacher Trost, denn die Menschheit steht in „Quarantine Circular“ am Abgrund. Wie und ob es weitergeht, wird auf dem Deck eines Schiffes im Mittelmeer vor Dubrovnik entschieden. Eine internationale Eingreiftruppe hat hier haltgemacht, um den erneuten Ausbruch von multiresistenten Keimen einzudämmen. Millionen sind schon an der Seuche gestorben. Eventuell geht der Kampf verloren.

Was nun passiert, ist für Computerspiele eher ungewöhnlich. Das Abenteuer bleibt auf dem Schiff, es ist ein zwei- bis dreistündiges Multiple-Choice-Gespräch zwischen wechselnden Menschen und einem Alien. Talkrunden wie diese liefern sonst eher das sinnstiftende Beiwerk in Rollenspielen, hier sind sie schon der Sinn. Spieler lesen nur und wägen Antworten ab. Ein Außerirdischer ist in Dubrovnik gelandet, wird auf dem Schiff festgehalten und verhandelt mit den Menschen. Der krabbengesichtige Riesengorilla behauptet, die Menschheit stehe vor dem Aussterben und er wisse, wie sie sich retten kann. Aber stimmt das auch?

Mehr interaktives Buch als Spiel

Autor Mike Bithell bezeichnet seinen Titel „Quarantine Circular“ als einen „Short“. Das stimmt, zwei bis drei Stunden sind für ein Spiel sehr kurz. Für ein digitales, interaktives Kammerspiel reicht die Zeit dagegen üppig. Das Alien kann arrogante Kommentare abgeben, die wenigen Menschen können sich ausgiebig streiten und die Spieler sich den Kopf zerbrechen. Bithells Spiel setzt einen deutlichen Kontrast zu dem Status quo aktueller Computerspiele. Die konzentrieren sich oft auf sehr mechanische Geschicklichkeitstests und zeigen Helden, die vor allem physische Hindernisse überwinden. Bithells Drama bleibt dagegen in den Köpfen seiner Charaktere. Es geht nur um die Frage, wie sich die Menschen entscheiden, wem sie glauben und wen sie überzeugen können.

Reine Dialogspiele gibt es zwar schon lange, aber meist in Form technisch simpler Exoten. „Quarantine Circular“ protzt dagegen mit schicker Grafik: Die Sonne brennt unbarmherzig auf metallisch glänzende Schutzanzüge, das Alien wackelt mit den Mundwerkzeugen. Auch die Musik, das Interface, alles wirkt teuer. Bithell führt ein ganzes Team von Entwicklern an, und er verkauft die Erzählung für ein paar Euro. Dahinter steht die Wette, dass auch interaktive Bücher gut laufen, wenn der Umschlag schick aussieht. Einmal hat das schon funktioniert, das ähnlich strukturierte Roboter-Verhörspiel „Subsurface Circular“ hat sein Publikum gefunden.

Unsichtbare Menschen

Der technische Aufwand hat klare Grenzen: Alle Menschen tragen einen Helm, niemand gestikuliert, nichts wird vorgelesen. Das mag in der Story Sinn ergeben, weil die Angst vor der Seuche umgeht und weil die Menschen aus verschiedenen Ländern einen Übersetzer benutzen. Aber etwas absurd fühlt sich die Verhandlung mit der Zeit an: Der Blick ruht auf dem Chatfenster in der Mitte, die aufwendige Grafik reduziert sich dagegen zum Bildschirmhintergrund. Kein Gesichtsausdruck wird je sichtbar. Das Schicksal der Menschheit wird entschieden, ohne dass die Menschen greifbar würden.

„Quarantine Circular“ ist also nicht perfekt, aber Sprachausgabe und menschliche Gesichter würden so ein Spiel sehr viel teurer machen. Als eine verzweigte Science-Fiction-Kurzgeschichte funktioniert es trotzdem, die am Ende fast desinteressiert an Knalleffekten wirkt. Die Seuche, die Aliens, das ist alles nur Beiwerk. Im Kern ist „Quarantine Circular“ eine einfühlsame Geschichte über Menschlichkeit und Empathie in Krisenzeiten.

Ideal für ... Spieler, die nicht tagelang in Parallelwelten versinken, sondern sich für ein paar Stunden auf ein Gedankenspiel einlassen wollen.

Fotos: Bithell Games, Jan Bojaryn

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.