Ende Oktober 2014 wurde Serge Bambara irgendwann klar, dass er das Unglaubliche geschafft hatte. Seit mehr als anderthalb Jahrzehnten tritt er in seinem westafrikanischen Heimatland Burkina Faso unter dem Namen Smockey als Rapper auf. Unter seinen Stücken sind einige harmlose Tanznummern – aber auch viele aufrührerische Lieder, in denen er die Ungerechtigkeiten seines Heimatlandes aufs Korn nimmt. In jenem Herbst 2014 machte nun plötzlich die Meldung die Runde, dass Präsident Blaise Campaoré, der das Land 27 Jahre lang und zunehmend diktatorisch regiert hatte, zurückgetreten und ins Ausland geflohen sei.

Der Rapper Smockey konnte zunächst kaum glauben, was er da hörte. Nur ein Jahr zuvor hatte er zusammen mit einem Bürgerrechtsanwalt und dem Reggae-Musiker Sams’K Le Jah die Bewegung Le Balai Citoyen gegründet, auf Deutsch: „der Besen der Bürger“. „Mit einem Besen macht man sauber, und genau das mussten wir tun“, erklärt Smockey. Seine Bürgerbewegung wollte aufräumen mit Machtmissbrauch, Korruption und Missmanagement, die sich in den langen Jahren unter Campaoré im Land breit gemacht hatten. Der Soundtrack dazu: HipHop von Smockey.

Lichtblick im Chaos

Vor noch nicht allzu langer Zeit war das kleine, im Inland liegende Burkina Faso ein Lichtblick im damals oft ziemlich chaotischen Westafrika. 1983 hatte sich der Sozialrevolutionär Thomas Sankara an die Macht geputscht, als der Staat noch seinen Kolonialnamen Obervolta trug. Bald taufte Sankara ihn in Burkina Faso um, was so viel wie „das Land der Aufrechten“ bedeutet. Er begann umfassende Reformen, die seine Heimat etwa unabhängig von Lebensmittelimporten machen sollten. Doch nach nur vier Jahren im Amt wurde er ermordet. Man munkelt, dass der spätere Präsident Campaoré, damals ein Kamerad Sankaras, hinter dem Mord steckte. In den Folgejahren verlängerte Campaoré seine Amtszeit verfassungswidrig wieder und wieder – ein klassisches Modell in vielen afrikanischen Staaten. Heute ist Burkina Faso eines der ärmsten Länder der Welt, auch wegen der schlechten Amtsführung der Politikelite.

In der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou kam 1971 Serge Bambara zur Welt, sein Vater war Mitglied des lokalen Bissa-Volks, seine Mutter Französin. Mit 16, 17 verliebte sich Serge in den HipHop und begann, US-Rapper wie LL Cool J oder Public Enemy nachzuahmen, deren Musik er auf Kassetten erstand. Schon damals nannte er sich Smockey – zum einen wegen seiner rauen, rauchigen Stimme, also eigentlich „Smokey“, zum anderen aber auch als Wortspiel mit dem französischen „se moquer“, was „sich lustig machen über etwas oder jemanden“ meint. 

Mit 20 ging Smockey zum Studium nach Paris, wo er nebenbei weiter rappte und sogar einen Vertrag mit einer großen Plattenfirma angelte. Doch 2001 zog er zurück nach Burkina Faso. Er rappte nun nicht nur auf Französisch, sondern auch in der zweiten Landessprache Mòoré, damit ihn möglichst viele Menschen vor Ort verstehen können. „Wenn die Leute ins Ausland gehen, dann weil sie in ihrem Land keine Chance haben“, sagt er. „Ich ziehe es vor, in meinem Land zu bleiben. Ich will, dass alle Afrikaner zu Hause glücklich werden.“ In Ouagadougou eröffnete er sein eigenes Musikstudio, das er Abazon taufte, was so viel heißt wie „schnell“ oder „dringlich“ heißt. Hier nimmt Smockey „Aufstandsmusik“ auf, wie er sagt – HipHop von sich und von anderen Rappern. 

Schon das erste Stück, das Smockey in seinem Geburtsland veröffentlichte, hieß „Putsch à Ouagà“, es rief unverblümt zum Umsturz in der burkinischen Hauptstadt auf. Sein Großvater kam daraufhin eigens von seinem Dorf in die Stadt gereist, um mit dem aufmüpfigen Enkel zu sprechen. „Wir sind hier nicht bei den Weißen“, mahnte er. Smockey hielt sich aber nicht daran, sondern schrieb stattdessen einen Text über die Angst seines Großvaters.

„Wir schalten um auf Angriffsmodus, und das ganze Land dreht durch, wir schließen Schulen und tragen Schilder und Banner auf die Straße, überall in der Stadt ist Aufregung in der Luft“ (Smockey, On Passe À L’attaque)

Da Smockey die Politik in seiner Heimat zunehmend unerträglich fand, gründete er 2013 seine Besen-Bewegung. „Ein traditioneller afrikanischer Besen besteht aus einem Reisigbündel“, erklärt Smockey. „Wenn du nur einen Zweig hast, ist es schwierig zu fegen. Aber wenn du viele zusammenbindest, dann geht es. Unsere Zahl ist unsere Stärke.“ Schon bald demonstrierten Menschen mit erhobenem Besen auf den Straßen der Hauptstadt. Le Balai Citoyen mobilisierte in dem Land, in dem zwei Drittel der Einwohner jünger als 25 sind, die Jugend – und zwar vor allem über Musik.

Ihr Vorbild war die Bewegung Y’en A Marre („Ich habe genug davon“), bei der Rapper und Journalisten im nahen Senegal 2012 Präsident Abdoulaye Wade mit zum Amtsverzicht gedrängt hatten. HipHop, besonders der von Smockey, wurde auch in Burkino Faso zum wichtigsten Medium des Wandels. So rappte Smockey beispielsweise in seinen Stück „On Passe À L’attaque“ Zeilen wie „Wir schalten um auf Angriffsmodus, und das ganze Land dreht durch, wir schließen Schulen und tragen Schilder und Banner auf die Straße, überall in der Stadt ist Aufregung in der Luft“. Zwar standen fast alle von Smockeys Liedern auf einer schwarzen Liste und durften nicht im Radio gespielt werden. Über Smartphones und soziale Netzwerke verbreiteten sie sich trotzdem rasend schnell. Und wo es kein Internet gab, etwa auf dem Land, fuhren die Anhänger von Le Balai Citoyen mit Motorrädern vor, um über Megaphone zu rappen und Ansprachen zu halten.

In der Stadt beschallten die Balai-Aktivisten ihre Demonstrationen mit HipHop und verwandelten damit ihre Straßenblockaden in Straßenfeste, etwa auf dem zentralen Place de la Nation, den sie in „Place de la Révolution“ umtauften. Dabei hielten sie ihre Anhänger stets dazu an, friedlich zu bleiben. „Musik kann der Auslöser für einen politischen Wandel sein, weil sie eingängig ist und jeden erreicht“, sagt Smockey. „Niemand kann sie aufhalten, nicht einmal Diktatoren.“

Erstmals freie Wahlen

Am 31. Oktober 2014 sollte das Parlament eigentlich eine weitere Amtszeit von Präsident Campaoré genehmigen. Doch nach tagelangen Protesten stürmten Demonstranten das Parlament, und der Diktator musste flüchten. Smockey und Le Balai Citoyen hatten es – zusammen mit Gewerkschaften, Oppositionsparteien, Studentenvereinigungen und Bürgerrechtsgruppen – geschafft. Bald darauf gab es erstmals in der Landesgeschichte wirklich freie Wahlen. Seitdem regiert Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré, der sich an Reformen versucht. Auch wenn diese von vielen als nicht schnell und entschieden genug kritisiert werden, sind immerhin die politischen Unruhen weitgehend abgeebbt. Gegen den Ex-Diktator Blaise Compaoré läuft ein Strafprozess – wenn auch in dessen Abwesenheit: Compaoré hat sich an die Elfenbeinküste abgesetzt.

Smockey macht trotz des erfolgreichen Wandels weiter – und berichtet in seinen Texten nun von den Nöten der einfachen Menschen. So schreibt er jetzt etwa Lieder über die schwierige Situation von Taxifahrern in der Stadt, die wegen hoher Unfallzahlen einen riskanten Job haben und dabei nur wenig verdienen. Zudem will er möglichst viele junge Menschen für die nächsten regulären Wahlen mobilisieren, die im Jahr 2020 anstehen.

Selber Politiker will Smockey auf keinen Fall werden – er sieht sich und seine Besen-Organisation vor allem als Vermittler. „Wir sind eine politische Bewegung, aber wir wollen nicht an die Macht und auch keinen Zugang zu politischen Ämtern“, betont er. „Als Musiker kann ich nützlicher sein denn als Politiker. Ich kann den Menschen in meinen Liedern erklären, was los ist.“

Smockeys Album „Pre’volution“ ist 2015 bei dem deutschen Label Out Here erschienen, das sich auf zeitgenössische Clubmusik aus afrikanischen Ländern spezialisiert hat, darunter viel HipHop.

Titelbild:  Die Anführer der " Le Balai Citoyen" Bewegung Smockey (m) und SamsK le Jah (r) bei einer Demonstartion 2014 /  Basic/Keystone Schweiz/laif