Die brütende Julihitze von Phoenix sollte die Entscheidung bringen. Im amerikanischen Bundesstaat Arizona trafen sich vor über zehn Jahren Automobilhersteller und Kühlmittelexperten aus aller Welt zu einem Härtetest, um die Frage zu klären, welche Klimaanlage unter den wüstenähnlichen Bedingungen nicht schlappmachen würde. Mehrere Autos glänzen in der Mittagssonne, auf ein Zeichen stiegen je vier Leute ein, dann ging es auf große Fahrt, Aussteigen verboten. Die Fachleute sollten die Klimaanlagen bewerten, die bei 45 Grad im Schatten bis an ihre Grenzen und darüber hinaus belastet wurden. Am Ende stand eine Überraschung: Die Klimaanlage, die mit am besten abschnitt, benutzte ein Kältemittel, das bisher eher als Exot belächelt wurde: Kohlendioxid. Ausgerechnet das Treibhausgas CO2 kühlte die Autos so effizient runter wie kaum ein anderer Stoff. Auch sonst hat das Gas für die Verwendung im Auto fast nur Vorteile: Es ist nicht brennbar, als Kältemittel sehr effizient – und vor allem viel weniger klimaschädlich als die Konkurrenten.

Der Showdown unter der Sonne Arizonas hätte also der Anfang einer unglaublichen Erfolgsgeschichte sein können: Massenhaft als Kühlmittel in Klimaanlagen eingesetzt, rettet CO2 das Klima. Aber so weit kam es nicht – denn letztlich ging es nicht um die langfristigen Folgen der Erderwärmung, sondern um die Gewinne der Konzerne – um Hunderte Millionen Autos und damit um Hunderte Milliarden Euros. Dabei wäre es nicht das erste Mal, dass ausgerechnet der Klimakiller CO2 als Mittel im Kampf gegen den Klimawandel genutzt wird, schließlich sind andere Gase wesentlich schädlicher für das Klima. Um zu beziffern, wie sehr ein Gas das Klima schädigt, haben Forscher den Begriff Treibhauspotenzial (Global Warming Potential GWP) entwickelt. Das Treibhauspotenzial sagt aus, wie stark ein bestimmtes Gas über einen bestimmten Zeitraum, meist 100 Jahre, zur Erderwärmung beiträgt. CO2 ist dafür die Vergleichsgröße, die Währung des Klimawandels. Es hat einen GWP von eins. Schwefelhexafluorid, das stärkste bekannte Treibhausgas, das etwa bei der Herstellung von Magnesium anfällt, hat dagegen einen GWP von 22.800. Das bedeutet, dass eine Tonne Schwefelhexafluorid das Klima so stark erwärmt wie 22.800 Tonnen CO2.

Derart starke Treibhausgase durch CO2 zu ersetzen, ist deswegen eine erfolgsversprechende Strategie im Kampf gegen die Erderwärmung. Die Firma BASF hat das Treibmittel für Hartschaumplatten zur Dämmung von Häusern bereits ausgetauscht: Früher wurden sogenannte H-FCKW-Stoffe benutzt, die einen GWP von bis zu 2.310 haben, heute benutzt BASF nur noch Kohlendioxid. Aber es ist die Verwendung im Auto, die die größte Wirkung für das Klima haben könnte. Zurzeit wird in Pkw-Klimaanlagen das Treibhausgas Tetrafluorethan eingesetzt. Der Stoff, den Ingenieure und Techniker nur als R134a bezeichnen, nimmt genau wie CO2 die Wärmestrahlung von der Erde auf, die sonst ins All abgestrahlt würde, und trägt so zur Klimaerwärmung bei. Und zwar gewaltig. Denn R134a hat einen GWP von 1.430, trägt also 1.430-mal so stark zum Treibhauseffekt bei wie CO2.

An sich wäre das nicht weiter schlimm, wenn das Gas in den Klimaanlagen der Autos bleiben würde. Aber bei jeder Fahrt entweicht ein kleiner Teil des Gases, umgerechnet bedeutet jeder gefahrene Kilometer eine Emission von etwa sieben Gramm Kohlenstoffdioxid. Allein im Jahr 2008 gelangten so laut Umweltbundesamt (UBA) in Deutschland 2.700 Tonnen des Kältemittels in die Atmosphäre. Das entspricht 3,9 Millionen Tonnen CO2. So viel Kohlendioxid verursachen sonst 1,9 Millionen Kleinwagen, die je 15.000 Kilometer weit fahren. Der Weltklimarat hatte bereits zuvor für das Jahr 2002 errechnet, dass bis zu drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen aus Klimaanlagen von Fahrzeugen stammten. 

Bei jedem Kilometer entweicht aus der Klimaanlage ein Gas, das 1000-mal schlimmer ist als CO2

Welche Ironie: Um uns bei der Fahrt zu kühlen, verschlimmern wir die Hitze auf der Erde: Bis 2015 rechnet der Klimarat mit einer Milliarde klimatisierter Fahrzeuge weltweit. Deshalb wurde in Europa die Richtlinie »2006/40/EG« beschlossen, die vorschreibt, dass ab dem 1. Januar 2011 nur noch Pkw-Typen zugelassen werden, deren Klimaanlage ein Kältemittel enthält, das höchstens 150-mal so klimaschädlich ist wie Kohlenstoffdioxid. Dabei steht CO2 als Kältemittel vor einer Wiederentdeckung. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Gas als Kältemittel eingesetzt – besonders auf großen Fischkuttern, auf denen der Fang gekühlt werden musste, bis er an Land gelangte. Erst in den 30er-Jahren wurde es langsam verdrängt – von den Fluorchlorkohlenwasserstoffen, den berüchtigten FCKWs. Die galten damals als sicher, billig und gut und fanden massenhaft Verwendung – in KühlschraÅNnken, als Treibmittel in Spraydosen und als Reinigungsmittel. Heute sind sie als Ozonkiller verpönt und größtenteils verboten. Daher begannen Entwickler schon Ende der 80er-Jahre sich unter anderem wieder der CO2-Technologie zuzuwenden. Zahlreiche Supermarktketten benutzen heute CO2 in ihren Kühlanlagen und vermeiden so große Mengen klimaschädlicher Emissionen. Die Berliner Verkehrsbetriebe haben kürzlich den ersten Bus mit einer CO2-Klimaanlage angeschafft und wollen sechs Busse ihrer Flotte auf CO2 als Kältemittel umrüsten. Auch so manche Eissporthalle wird inzwischen mit CO2 gekühlt.

Als richtiger Klimaschützer könnte sich CO2 aber vor allem in der Klimaanlage der Pkws erweisen, doch dazu müssten die Hersteller ein wenig investieren: Denn das Gas ist nur unter Druck ein gutes Kältemittel, weswegen neue Klimaanlagen konzipiert werden müssten mit einer guten Dichtung. „Diese Probleme sind heute alle gelöst“, sagt Willi Parsch von der Firma Ixetic in Bad Homburg. Die entsprechenden Anlagen seien in Autos getestet worden, die Pläne seien in den Schubladen. „Da hat die Zuliefererindustrie eine ganz neue Technik entwickelt, die sehr innovativ ist“, bestätigt Wolfgang Plehn vom Bundesumweltamt in Dessau. Spätestens nach dem ersten Test – damals, unter der sengenden Sonne von Phoenix, wurde Kohlenstoffdioxid zu einem ernsthaften Kandidaten. „Wir haben da einmal einen Wagen für Chrysler umgebaut und damit den Test gewonnen. Das war eigentlich das am schlechtesten klimatisierte Auto des Konzerns und wir haben es zu dem am besten gekühlten Auto der Welt gemacht“, sagt Frank Obrist stolz, dessen Firma, die Obrist Engineering GmbH, über Jahre Klimaanlagen mit CO2 für verschiedene Automobilfirmen getestet hat. Auch der Verband der Automobilhersteller (VDA) war stolz auf die Entwicklung. In einer Pressemitteilung verkündete er im Oktober 2008 optimistisch: „Deutsche Automobilhersteller sind bei CO2-freundlichen Kältemitteln für Klimaanlagen führend.“

Es blieb ein frommer Wunsch. Inzwischen haben die deutschen Automobilhersteller ihre Aktivitäten auf dem Sektor eingestellt, beim VDA will man sich zu dem Thema nicht mal mehr äußern. Dabei soll Mercedes-Benz 2005 kurz davor gewesen sein, seine S-Klasse serienmäßig mit einer CO2-Klimaanlage auszurüsten. Letztlich habe ein Mehrpreis von etwa 200 Euro pro Auto den Plan zunichtegemacht, heißt es bei den Automobilzulieferern. „Das mag für ein Auto, das 80.000 Euro kostet, seltsam anmuten. Aber 200 Euro mal hunderttausend ist auch viel Geld – und das geht nachher auf Kosten der Shareholder.“

Es fehlt aber nicht nur am Willen der Automobilindustrie, auch die Chemiebranche macht Druck. Sie könnte Milliarden verlieren, wenn ihr Markt für Pkw-Kältemittel zusammenbricht. Oder noch mehr verdienen, wenn sie einen Nachfolger präsentiert. Die Firmen Honeywell und Dupont drängen deswegen mit ihrem Kältemittel „HFO-1234yf“ auf den Markt. Immer wieder preisen sie es als die Lösung aller Probleme an. Tatsächlich ist der Stoff mit einem GWP von vier recht klimafreundlich. Doch Kritiker bemängeln, dass bis heute keine neutralen Untersuchungsergebnisse über die gesundheitlichen Effekte des Stoffes vorliegen. Außerdem ist „1234yf“ brennbar, eigentlich ein K.o.-Kriterium für Pkw-Kältemittel. Zudem ist das neue Kühlmittel deutlich teurer als R134a. Viele Kritiker sind deswegen überzeugt, dass eine Einführung von „1234yf“ reine Augenwischerei wäre. „Sobald das Auto in die Werkstatt kommt und das Kühlmittel nachgefüllt wird, hat man die Wahl, das teure „1234yf“ nachzukaufen oder das viel billigere „R134a“ einfüllen zu lassen“, sagt Plehn. So ein Vorgehen verbiete die europäische Richtlinie schließlich nicht. Am Ende werde also weiter das klimaschädliche R134a verwendet. Das sieht auch Carl Schmitt so. Als Vorstand bei der Firma „Konvekta“ hat er daran mitgearbeitet, die erste Omnibus-Klimaanlage mit CO2 als Kältemittel zu entwickeln. Dafür erhielt er 2007 den Deutschen Umweltpreis – der höchstdotierte Umweltpreis in Europa. Bei Pkws sei der Widerstand der Automobilhersteller einfach zu groß gewesen, sagt er. „Die wollen das CO2 nicht. Dass 1234yf keine Alternative sei, sondern teurer, gefährlicher und umweltschädlicher, habe man vorher wissen können. Der Unternehmer Obrist drückt es so aus: „Da hat die Chemieindustrie die Automobilhersteller an der Nase herumgeführt.“ 

Pech für das Klima: Die Chemieindustrie verkauft lieber teurere Kältemittel als CO2

Dabei hätte CO2 als Kühlmittel im Auto sogar noch einen weiteren Vorteil: Mit ihm lässt sich die Kühlung sehr effizient umkehren, sodass die Klimaanlage zur Wärmepumpe wird. Für Elektroautos könnte das entscheidend sein, denn das Hauptproblem ist nach wie vor die Batterie. Wenn die auch noch eine Heizung betreiben soll, könnte man im Winter nur halb so weit fahren wie im Sommer. Manche sehen darin eine letzte Chance: „Ich bin mir sicher, dass CO2 am Ende das Kältemittel in Autos wird“, sagt Willi Parsch vom Automobilzulieferer Ixetic. Die Frage sei nur wann. Andere sind weit weniger optimistisch. „Es wäre zwar eine technische Dummheit und ein Klimafrevel auf irgendetwas anderes als Kohlendioxid zu setzen“, so Wolfgang Plehn vom Umweltbundesamt – auszuschließen sei das aber nicht.