Kanäle ziehen, Sand aufschütten und Wasser abpumpen. Seit Jahrhunderten sind die Niederländer unablässig damit beschäftigt, ihr Land vor dem Wasser zu schützen. Sie bauen Stauwehre, sie ringen dem Meer Land ab und trotzen den Fluten. Ohne die kilometerlangen Deiche, die sie im Laufe der Zeit errichtet haben, ohne die vielen Pumpen, die das Land trocken legen, wären weite Teile der Niederlande längst vom Meer verschlungen. Doch die Gefahr für das flache Land wächst. Mit der Klimaerwärmung steigt auch der Meeresspiegel. Weitermachen wie bisher reicht da nicht mehr aus.

"Wer nach dem Niederländischen der Niederlande sucht, bekommt es mit Wasser zu tun", schreibt der Autor Maarten Asscher. Grachten, Flüsse und Seen prägen das Land. Ein Drittel der Niederlande liegt auf oder unter dem Meeresspiegel, zwei von drei Niederländern leben unterhalb des Meeresspiegels. Der höchste Punkt, Vaalserberg, misst gerade einmal 323 Meter. Durch die Lage ist das Land seit jeher anfällig für Stürme und Überschwemmungen. Jeder in den Niederlanden kennt das Datum des 31. Januars 1953. In der Winternacht tobte eine starke Sturmflut an der Westküste, die das Wasser der Nordsee gegen die Deiche drückte. Diese konnten dem Druck nicht standhalten und brachen. Eine Flutwelle überrollte das Land, die Bewohner wurden vom Wasser im Schlaf überrascht. Mehr als 1.800 Menschen und 200.000 Tiere ertranken.

Als erste Europäer nasse Füße?

Um das Land in Zukunft vor solchen Überschwemmungen zu schützen, gründete die niederländische Regierung damals eine Gruppe aus Experten, die sie Delta-Kommission nannte. Sie organisiert seitdem den Schutz des Landes vor dem Wasser, plant Dämme und entwickelt Küstenschutzprogramme. Die Niederländer sind zu Experten für Deichbau, Flutwehre und Trockenlegungen geworden. Eine der technischen Meisterleistungen ist die Maeslant-Sturmflutsperre. Die zwei großen Tore, die vier mal so viel wiegen wie der Eiffelturm in Paris, sollen Rotterdam vor Überflutungen schützen.

"Die Bedrohung durch Wasser ist nicht neu, das kennen wir in den Niederlanden schon immer", sagt der Klimawissenschaftler Wilco Hazeleger von der niederländischen Universität Wageningen. "Neu ist die Dimension, die sie durch den Klimawandel bekommt." Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Meer bis zum Jahr 2100 um 65 bis zu 130 Zentimeter ansteigen wird und dass die Niederländer als erste Europäer nasse Füße bekommen werden. "Wenn das Meer nur ein wenig ansteigt, können wir damit noch klarkommen. Doch wenn der Anstieg mehr als einen Meter beträgt, wird es sehr schwierig. Die Deiche können dann keinen Schutz mehr bieten", sagt Hazeleger. Auf diese Gefahr müssten sich die Niederlande jetzt schon vorbereiten. Und das betrifft nicht nur den Deichbau.

Alles in den Niederlanden ist mit Wasser verbunden. Daher beschäftigen sich nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Politiker, Industrien und Architekten mit Fragen wie: Wie lassen sich Städte und Industriezentren, wie lässt sich die Natur und Landwirtschaft schützen, wenn immer öfter heftige Stürme über das Land fegen? Wie lässt sich verhindern, dass das steigende Meerwasser in die Flüsse dringt und das Süßwasser versalzt? Der Küstenstreifen soll breiter werden, Deiche und Dämme müssen erhöht und stabiler gemacht werden, erklärt Wissenschaftler Hazeleger. In Flussregionen werden künstliche Seitenarme geschaffen und an der Küste sollen künstliche Deichdurchbrüche dem Wasser den Druck nehmen.

Fragt man junge Menschen in den Niederlanden, ob sie Angst vor dem steigenden Meeresspiegel haben, hört man nur wenig beunruhigte Stimmen. Es mag daran liegen, dass man hier schon seit Jahrhunderten ziemlich pragmatisch auf die Bedrohung durch das Wasser reagiert. Und nachdem die Niederländer sich lange hinter den Deichen verkrochen haben, entwickeln sie nun eben neue Strategien, um mit dem Wasser zu leben. Sie wollen das Wasser nicht mehr nur als Gefahr, sondern auch als Chance betrachten. Einige schlagen vor, doch gleich auf die Flüsse, Seen und Grachten zu ziehen und so mit dem steigenden Wasser zu leben: Waterwoningen heißt das.

Schwimmende Gewächshäuser

Einer, der für das Waterwoningen plädiert, ist der niederländische Architekt Koen Olthuis. Er baut schwimmende Häuser. In Orten wie Maasbommel leben Bewohner bereits in solchen Gebäuden auf dem Fluss. Mit dem steigenden Wasser werden die Häuser, die auf großen, wasserdichten Betonwannen stehen, angehoben und schwimmen so an der Wasseroberfläche, anstatt überflutet zu werden. Damit sie nicht wegtreiben, sind sie an Pfählen befestigt, an denen sie auf und ab gleiten können.

Auch schwimmende Gewächshäuser wurden schon gebaut. Wissenschaftler sehen darin eine Alternative für Bauern, denen das Hochwasser immer wieder die Ernte ruiniert. Wenn es nach dem Architekten Olthuis geht, soll es bald auch eine schwimmende Stadt geben mit schwimmenden Schulen, Kirchen, Gärten und Supermärkten. Bisher sind das aber noch Zukunftspläne. Busse, die schwimmen können, gehören dagegen in Amsterdam und Rotterdam schon zum Stadtbild. "Schwimmender Holländer" heißt solch ein Bus-Schiff. Der Fahrer verwandelt sich in einen Kapitän, der Bus wird zum Schiff, wenn das Fahrzeug die Straße verlässt und über Kanäle oder Flüsse gleitet.

"Wenn wir nichts tun, dann laufen wir Gefahr, dass weite Teile der Niederlande überflutet werden", sagt Cees Veerman, der Vorsitzende der Delta-Kommission. Er ist aber auch zuversichtlich: "Mit Wasser können wir aber auch die Entwicklungen vorantreiben und Wunder vollbringen."

Inga Rahmsdorf ist freie Journalistin, lebt in München und schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung.