Was John, Paul, George und Ringo – kurz: The Beatles – für den Pop sind, sind Florian, Ralf, Karl und Wolfgang für die elektronische Musik. Der sonderbare Reiz von Kraftwerk lag immer in ihrer spezifisch deutschen Ausstrahlung. Vielleicht ist das der Grund, warum sie in Deutschland ziemlich viele Leute ziemlich wenig leiden konnten.

Die ersten Fans fanden die Elektronik-Pioniere aus Düsseldorf in England, damals, als man das Wort „Krautrock“ erfunden hatte, um all die neuen kosmischen Klänge zusammenzufassen, die gerade links und rechts des Rheins entstanden. Zwar klangen Neu!, Cluster, Can, Faust und Kraftwerk grundverschieden, ein ausgeprägter Hang zum elektronischen Experiment war ihnen doch zu eigen.

In ihrer Heimatstadt dagegen waren Kraftwerk vor allem eins – unfassbar unbeliebt. Das belegt das kurzweilige Buch „Electri_City“ von Rüdiger Esch. Die Oral History erzählt die Anfänge der elektronischen Musik in Düsseldorf – selbstredend ohne die Kraftwerk-Gründer Ralf Hütter und Florian Schneider, deren vier Jahrzehnte langes Schweigen längst Stoff von Legenden ist, aber auch ohne Karl Bartos, der sich bei Interviews vornehm zurückhält. Lediglich Wolfgang Flür erzählt. Etwa von einem Arschtritt, den er abbekam, als er sich mal in den Ratinger Hof traute, wo Ende der 70er-Jahre die Punks abhingen, die auch an Synthesizern rummachten. Bands wie DAF oder Der Plan etwa.

Im Rest der Welt galten Kraftwerk indes als Visionäre. Mit „Autobahn“ starteten sie 1974 eine Weltkarriere. Mit „Computerwelt“ gaben sie 1981 eine entscheidende Inspiration für Electro und Techno. Jeder, der in Detroit einen Synthesizer an die Steckdose anschließen konnte, war auf dem Konzert, das Kraftwerk damals gaben. In Berlin währenddessen, wo die Raver pro Einwohnerquote bald zu den höchsten der Welt gehören sollte, kamen Kraftwerk – Ironie der Geschichte – viel später und quasi als Import daher. Erst als Underground Resistance und damit die reine Lehre des Detroit-Techno in den Nachwende-Kellern für Furore sorgte, erinnerte man sich an die stoffeligen Anzugträger aus Düsseldorf.

Top 10 Düsseldorf von Rüdiger Esch, Bassist von Die Krupps und Autor der Oral History „Electri_City“ (Suhrkamp)

1. DAF: „Kebabträume“ (Mute Version) (1980)

Die frühe Version der fünfköpfigen Mannschaft der Deutsch Amerikanischen Freundschaft. Musikalische Urzelle von Bands wie Der Plan, Fehlfarben, Liaisons Dangereuses und anderen Spin-offs. Kultige Ursuppe der Düsseldorfer Szene mit UK-Referenz.

2. Fehlfarben: „Paul ist tot“ (1980)

Synthesizer-Klänge von Kurt Dahlke aka Pyrolator haben diesen Song über den Ratinger Hof elektrifiziert. Nur hier konnte man flippernd zusammen stehen, während ein Fernseher stumm dazu lief und Janey klagte: „Was ich haben will, das krieg’ ich nicht, und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht.“

3. Rheingold: „Dreiklangsdimensionen“ (1980)

Vortreffliche Umsetzung des Sounds der Düsseldorfer Schule. Mitten aus der Stadt, aus einem Hinterhofstudio in der Corneliusstraße, klingt es ungemein taktvoll.

4. Kraftwerk: „Das Model“ (1978)

Das Model lebte in der Modestadt Düsseldorf und stand für die Fotografen Modell. Sie ging ins Bagel auf der Ratinger Straße und war für die Musikwelt unantastbar. Ihre Identität wurde bis heute geheim gehalten. Der Kellner verewigte sich mit folgendem Spracheinsatz: „Korrekt“ wurde von ihm kokett ins Mikrofon geantwortet.

5. Propaganda: „Dr. Mabuse“ (1983)

Die Popentdeckung des Jahres 1983 kam aus Düsseldorf. Mit teutonischen Tönen und martialischem Auftreten sicherte sich diese ABBAeske Formation die vorderen Plätze der europäischen Charts.

6. Die Krupps: „The Machinerys of Joy“ (1989)

1989 kam mit diesem Remake des Krupps-Klassikers „Wahre Arbeit – Wahrer Lohn“ ein genrebegründendes EBM-Epos daher, welches die alte DGB-Forderung von Lohn für Arbeit unerwartet eindringlich formulierte.

7. MakroSoft: „Welcome to Electricity“ (2014)

Die Musik, die Rudi Esch gemeinsam mit Rusty Egan für seine Suhrkamp-Oral-History „Electri_City“ produzierte, setzte dem elektronischen Sound der Stadt ein Denkmal.

8. Yamo: „I was a robot“ (2004)

Charmant gesungene Biografie des Kraftwerk-Drummers Wolfgang Flür, der die 14 Jahre seiner Kraftwerk-Zugehörigkeit in drei Strophen Revue passieren lässt.

9. Neu!: „Hallo Gallo“ (1982)

Blaupause für den von Klaus Dinger begründeten „motorik beat“. Stylisher Auftakt der ersten NEU!-LP. Wirkt auch heute noch wie die Essenz der „Düsseldorfer Schule“, die immer mehr auf Minimalismus als auf Opulenz setzte.

10. La Düsseldorf: „Düsseldorf“ (1976)

Die Band, die sich nach ihrer Heimatstadt benannte, setzt ihr hiermit abschließend ein musikalisches Denkmal. „Düsseldorf“ von La Düsseldorf ist das Mantra der Stadt. „Düsseldorf, du bist unsere Heimat. Heimat am Rhein.“