An vielen Orten ist der Klimawandel noch nicht angekommen - an Deutschlands Flughäfen zum Beispiel. Im Jahr 1994 starteten insgesamt 49,6 Millionen Fluggäste. Im Jahr 2000 waren es schon 70,8 Millionen. Und vor zwei Jahren dann bereits 88,3 Millionen. „Ein Flug nach Amerika bedeutet vier bis sechseinhalb Tonnen Kohlenstoffdioxid-äquivalente Emission“, sagt Stefan Rostock von der Organisation Germanwatch, „im Moment verursacht jeder Deutsche pro Jahr im Durchschnitt knapp elf Tonnen. Das ist etwa fünfzig- bis hundertmal mehr, als ein Afrikaner produziert. Notwendig im globalen Schnitt, um die Großgefahrenschwelle von zwei Grad Celsius nicht zu überschreiten, sind zwei Tonnen pro Kopf. Wir müssen den Klimawandel als moralische Herausforderung begreifen, Menschen in Entwicklungsländern und kommende Generationen werden die Hauptbetroffenen sein.“

Elf Tonnen – die Zahl ist hoch, wenn man bedenkt, dass Umweltforscher seit mehr als zwei Jahrzehnten vor der Erderwärmung warnen, die unter anderem durch die Emission von Kohlenstoffdioxid (CO2) verursacht wird. Auch angesichts der Tatsache, dass das Problem Klimawandel ständig in den Medien präsent ist und seit mehr als 15 Jahren offiziell auf der Agenda der internationalen Politik steht: 1992 verabschiedeten fünfzig Staaten im brasilianischen Rio de Janeiro einstimmig eine Klimarahmenkonvention, „um den gefährlichen Klimawandel“ zu verhindern. Fünf Jahre später folgte dann das Kyoto-Protokoll. Ein Bewusstsein für das Problem ist offenbar vorhanden. „Das stimmt. Und bedeutet dennoch erst einmal gar nichts“, sagt Gerhard de Haan, „wir können sagen: Ach, wie schlimm! Aber wir steigen trotzdem in den Billigflieger, um Ferien zu machen, oder kaufen das große Auto, drehen die Heizung hoch oder üben uns im Dauerduschen.“ De Haan ist Professor für Erziehungswissenschaften und Psychologie an der Freien Universität Berlin. Er vermutet, dass umweltbewusstes Handeln auf breiter gesellschaftlicher Ebene nur durch gesetzlich geschaffene Anreize und Regeln durchgesetzt werden kann. Im Moment hätten in Deutschland einfach noch zu wenige Menschen ihre Alltagsgewohnheiten bezüglich Autofahren, Heizen, Stromverbrauch oder Reisen verändert. Drei von vier kümmert die Umwelt immer noch sehr wenig. Das sind 61,5 Millionen Menschen.

Ein paar Zahlen zum Hintergrund: Seit Beginn der Industrialisierung messen wir eine globale Erwärmung von knapp 0,8 Grad Celsius. Ein weiterer Anstieg ist zu erwarten. Der Weltklimarat IPCC schätzt, dass sich die Erde bis 2100 zwischen 1,8 und vier Grad Celsius erwärmen wird, manche Wissenschaftler gehen sogar von vier bis sechs Grad Celsius aus. Ökosysteme reagieren nicht linear auf die Erwärmung. Von „Klimawandel“ will Stefan Rostock von Germanwatch deshalb nicht mehr sprechen, „Klimachaos“ sei zutreffender: „Wir haben schon jetzt extreme Wetterverhältnisse, wie wir sie vorher nicht kannten: stärkere Regenfälle, extremere und länger an-dauernde Hitzeperioden.“ Zahllose Opfer und Flüchtlinge infolge von Flutkatastrophen sowie Hitze und Dürren: Das sind nicht länger Szenarien, wie man sie ausschließlich aus Weltuntergangsfilmen à la Hollywood kennt, das ist Realität und kann in extremer Form unsere Zukunft sein.

Wenn man untersucht, wie die Menschen mit dem Wissen um die Erderwärmung umgehen, dann sind vier verschiedene Gruppen auszumachen: Es gibt die „konsequenten Umweltschützer“, die „Umweltrhetoriker“, die „Um-weltignoranten“ und die „Einstellungs-Ungebundenen“. „In Deutschland macht jede dieser Gruppen etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus“, sagt Udo Kuckartz, Professor für Empirische Erziehungswissenschaft an der Philipps-Universität in Marburg. Zu den „Ungebundenen“ gehören Menschen, „die sich positiv umweltgerecht verhalten, denen aber das Bewusstsein dafür fehlt“, so Kuckartz, also Menschen, die sparsam leben müssen und nur deshalb weniger Strom verbrauchen, weniger fliegen und weniger Auto fahren. Bei den „Umweltignoranten“ findet das Thema Klimawandel keine Aufmerksamkeit. „Diese Menschen sind zum Beispiel stark freizeitorientiert. Für sie ist das einfach kein relevantes Thema“, sagt de Haan. Die „Umweltrhetoriker“ haben Umweltbewusstsein, handeln aber nicht danach – anders als die „konsequenten Umweltschützer“, die Probleme und Ursachen sehen und ihr Verhalten dementsprechend ausrichten.

In der Politik treffen ebenfalls verschiedene Gruppen aufeinander. Das zeigte die dritte Vertragsstaatenkonferenz des Kyoto-Protokolls, die im Dezember 2007 auf Bali stattfand. Die Klimakonferenz endete nach zähen Verhandlungen mit der „Bali Roadmap“. Auf deren Grundlage soll das Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll zustande kommen. An konkreten Zahlen für die Reduktion von Treibhausgasen wurde nicht festgehalten – auf Druck der USA. Es kam nur zu einem Hinweis auf die Untersuchungsergebnisse des Welt-klimarates. Dieser fordert den Rückgang des CO2-Ausstoßes um die Hälfte bis 2020.

In der Umweltdiskussion, erklärt der Soziologe Andreas Diekmann von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, spreche man von der sogenannten Allmende-Situation. „Ich habe einen Fischteich, und darin schwimmen eine begrenzte Menge Fische herum. Wenn alle auf Teufel komm raus die Fische herausangeln, dann ist der Teich irgendwann leer. Eine vernünftige und nachhaltige Strategie wäre für alle, gerade so viel zu fangen, dass die verbleibenden Fische sich vermehren können und der Fischbestand insgesamt immer gleich bleibt.“ Aber für den Einzelnen sei es natürlich, für den Moment gesehen, ein Vorteil, möglichst viele Fische mit nach Hause zu nehmen. Um die Menschen zu einer kollektiven Strategie zu bewegen, sei ein Regelwerk notwendig. 

Der Sozialpsychologe Heiner Keupp ergänzt: „Wenn mit erhobenem Zeigefinger überall nur Verzichtsbotschaften verkündet werden, erreicht man damit Menschen kaum. Es muss vielmehr eine Botschaft kommen, dass nachhaltige Veränderungen unserer Konsumgewohnheiten auch zu mehr positiver Lebensqualität beitragen können.“ Steuererleichterungen seien hier eine Möglichkeit, sagt Gerhard de Haan.

Und obwohl sich Wissenschaftler wie Umweltschützer einig sind, dass Appelle von Politikern und auch Prominenten zu umweltschonenderem Verhalten wichtig sind − sie allein reichen nicht aus. Es gibt viele Beispiele: Cameron Diaz fährt in Hollywood vor dem roten Teppich im Hybridauto vor. Leonardo DiCaprio kritisiert den amerikanischen Präsidenten George W. Bush, dieser sei kein Vorbild. Bushs ehemaligem politischem Gegner hingegen wird 2007 der Friedensnobelpreis für sein Engagement um die Bewusstmachung der Klimakrise verliehen. Al Gore bekam diese Auszeichnung gemeinsam mit dem Weltklimarat. Ebenfalls 2007 gewann „An Inconvenient Truth“ über Al Gores Engagement den Oscar als bester Dokumentarfilm. Und während des G8-Gipfels in Heiligendamm protestierten Zehntausende gegen die Doppelmoral der Regierungen. Doch zur gleichen Zeit ändert sich im Verhalten der Menschen: nichts. Im Jahr 2006 stellte das Statistische Bundesamt fest: Für Urlaubsreisen mit mindestens vier Übernachtungen hatten knapp dreißig Prozent der Deutschen das Flugzeug als Transportmittel gewählt, knapp sechzig Prozent das Auto. Nur knapp acht Prozent waren mit der Bahn unterwegs.

Die Vorbildfunktion von Politikern sei nicht zu unterschätzen, sagt Heiner Keupp. „Auch symbolische Politik kann, etwa bei einem konsequenten Programm, das auf erneuerbare Energien setzt, durchaus etwas bewirken. Statt weiterhin in prestigeträchtigen Limousinen zu fahren, könnten Minister auf Dreiliter-autos umsteigen.“ Man werde verhaltensbezogene Änderungen bei einzelnen Menschen nur dann erzielen, „wenn sie das Gefühl haben, dass sie mit ihrem Handeln wirklich etwas bewirken können. Wir nennen dies das Gefühl der Selbstwirksamkeit.“

Es gibt Beispiele für Verhaltensänderungen, die vergleichsweise leicht umsetzbar, kostengünstig und in ihrer Effizienz erkennbar sind. Auf die Frage „Es gibt ja Energiesparlampen. Haben Sie da viele, weniger oder keine?“ sagten im Jahr 2007 immerhin 49 Prozent der Deutschen, sie hätten viele. 1996 waren es noch 35 Prozent gewesen. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Berlin. Energie sparen zu wollen hängt natürlich auch mit gestiegenen Preisen zusammen. 73 Prozent der Bundesbürger gaben das im Frühjahr 2007 als Grund für ihr „starkes“ oder „sehr starkes“ Bemühen an. Anfang 2007 wurde wegen der milden Witterung weniger geheizt. Und trotz wachsender Konjunktur blieb der Stromverbrauch in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr nahezu stabil, der Erdgasverbrauch sank um fünf Prozent.

Neben Menschen, die zu umweltbewusstem Verhalten aufrufen, gibt es jene, die betonen, dass der Klimawandel Gewinner hervorbringe. In den USA und in Russland wurde das als Grund gesehen, nicht zu reagieren, erklärt Stefan Rostock. Durch die Erderwärmung entstünden weniger Heizkosten und Vorteile für die Landwirtschaft. „Letzteres gilt für den einen oder anderen Acker in Norddeutschland oder den Weinanbau in Mitteldeutschland“, sagt Rostock, „und im globalen Blick für Flächen im Norden der USA und in Russ-land. Aber die Probleme, die durch die Klimakrise in den USA und in Russland entstehen, werden die sogenannten Gewinne überwiegen.“ Rostock ist der Meinung, dies sei eine zynische Rechnung. „Im Vergleich zu den Opfern, die der Klimawandel fordert, ist es grausam, diese Veränderung als Gewinn anzuführen.“

Der Weltklimarat liefere klare Handlungsanweisungen, um die CO2-Emission zu senken und auf erneuerbare Energien umzustellen, erklärt Karsten Smid von Greenpeace. „Technisch stehen uns alle Möglichkeiten dafür zur Verfügung.“ Notwendig sei aber, dass die Gesellschaft von der Politik einfordere, in erneuerbare Energien zu investieren. Ein Beispiel aus der Geschichte des Umweltschutzes in Deutschland stimmt ihn optimistisch: Das Fortschreiten des Waldsterbens in den Achtzigerjahren sei erfolgreich verhindert worden − durch eine entsprechende Gesetzgebung und einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft. Die vermehrte Medienberichterstattung, erklärt Gerhard de Haan, habe damals eine Art Echo-Effekt bewirkt. Das Problem Waldsterben blieb länger in den Köpfen, als darüber berichtet wurde. Hinzu kam, dass in Schulen und Familien über das Thema gespro-chen wurde. Und die Politik reagierte. Es habe zudem eine „kulturelle Beziehung“ zur Thematik gegeben, erklärt Gerhard de Haan: „Die Deutschen sind durch die Epoche der Romantik gegangen. Das hat uns eine kulturelle Beziehung zum Wald beschert.“ Die globale Erwärmung sei für viele Menschen in Deutschland noch ein abstraktes Thema, auch deshalb würden viele nichts tun. Die Menschen in Ländern wie Bangladesh und Thailand können nur hoffen, dass sich dies bald ändert. Denn dort zeigen sich die Folgen der Erderwärmung bereits auf dramatische Weise – in Überschwemmungen und tropischen Stürmen.