„Es ging für mich um Leben oder Tod. Ich habe meinen Eltern gesagt: Die Flucht ist gefährlich, aber wenn ich hierbleibe, bringt mich wahrscheinlich der Krieg um. Also kann ich genauso gut gehen.“ Karim* war 17, als er von Afghanistan nach Deutschland floh – allein, denn das Geld für den Schleuser reichte nur für eine Person. Länger als vier Monate war er auf Reisen. Er verbrachte Tage versteckt in einem Lkw bei 40 Grad, still und leise wurde er über Grenzen geschmuggelt. Ein anderes Mal pferchten sie ihn mit 60 Leuten auf ein kleines Boot. Es war ihm egal, denn er wollte nur weg aus einem Land, in dem der Krieg zum Alltag gehört und er als Sohn eines politisch aktiven Hazara – Hazara sind eine ethnische Gruppe in Afghanistan – die Taliban fürchtete. „In welches sichere Land hätte ich denn mit meinem Pass auch gehen können?“

Auch heute noch, einige Jahre nach Karims Flucht, ist es als Afghane nicht leicht, zu reisen. Der sogenannte „Henley & Partners Visa Restrictions Index“ zeigt, in wie viele Länder bestimmte Staatsbürger visafrei reisen dürfen. Afghanistan stand 2013 mit nur 28 Ländern auf dem letzten Platz. Deutschland belegte mit 172 Ländern Platz zwei. „Visa-Anforderungen sind Ausdruck der Beziehungen zwischen Nationen und spiegeln auch den Status eines Landes in der internationalen Staatengemeinschaft wider“, heißt es bei H & P.

Reisen – sei es, um Urlaub zu machen, Verwandte zu sehen, zu arbeiten, woanders Schutz zu suchen oder gar auszuwandern – ist eine hochpolitische Angelegenheit: Wer wie wann reisen darf und warum, ist weltweit geregelt. Auf Reisen bewegen sich Men- schen – mit all ihrem Geld, ihrer Arbeitskraft, ihren Bedürfnissen, ihrer Gesundheit, ihren Plänen. Staaten und ihre Bewohner können das als Bereicherung für sich ansehen oder auch als Bedrohung.

Auch für Deutsche war das Reisen nicht immer leicht. Schon im 18. Jahrhundert gab es verstärkt Ausweispflichten. Später, etwa nach dem Ersten Weltkrieg, als der Nationalismus in Europa wütete, war Ausreisen sehr schwierig – gerade für Bürger des Deutschen Reiches. Die Regierung befürchtete, dass mit den Reisenden die Wirtschaftskraft geschwächt würde. „In den 20er-Jahren hatten die Staaten Angst, dass mit den Reisenden Devisen ins Ausland abfließen“, sagt Hasso Spode, Leiter des Historischen Archivs zum Tourismus an der TU Berlin. „Das Deutsche Reich hatte deswegen zeitweise sogar ver- sucht, eine Ausreisegebühr von 100 Reichsmark zu erheben.“

Noch nach dem Zweiten Weltkrieg war das Verlassen des Landes für Menschen aus ganz Deutschland ein bürokratischer Kraftakt, erst in den 50er-Jahren entspannte sich die Situation für Westdeutsche mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorgängerorganisation der EU. In der DDR dagegen spitzte sich die Situation zu, der Staat fürchtete die sogenannte Republikflucht. Die Mauer wurde zum Symbol dafür, dass niemand das Land gen Westen verlassen sollte – bis 1989, als sie fiel.

Du bleibst schön hier: In autoritären Staaten wie Nordkorea gehören Reisebeschränkungen zum Arsenal der Unterdrückungsmethoden

Heute ist der Kalte Krieg vorbei, die Reisefreiheit seit vielen Jahrzehnten ein Menschenrecht – und trotzdem heißt es noch oft „bis hierher und nicht weiter“. Nordkorea etwa ist eines der wenigen Länder mit einem umfassenden „Ausreiseverbot“. Der Staat muss Reisen genehmigen, Fluchtversuche werden hart bestraft. Den aufgegriffenen Flüchtigen, die das Land meist über China in Richtung Drittländer hinter sich lassen wollen, drohen oft Folter und Arbeitslager, wie ein UN-Bericht im Februar offenlegte. In China müssen nicht nur Dissidenten mit Ausreisesperren rechnen. „Auch bestimmte Staatsbedienstete haben für private Reisen ins Ausland strenge Auflagen, das ist aber nicht ungewöhnlich, jedenfalls nicht für autoritäre Staaten“, sagt Björn Ahl, Juniorprofessor für chinesische Rechtskultur an der Universität Köln. Es gibt aber auch in autoritären Staaten Lichtblicke: Kuba hat seine zuweilen willkürlichen Ausreiseauflagen von 1976 vor über einem Jahr mit dem „Dekret 302“ gelockert.

Die Ausreise zu verbieten ist heute eher eine Ausnahme, aber selbst freiheitliche Staaten machen davon Gebrauch, vor allem als Form der Strafe oder in der Verbrechensbekämpfung: In den USA können Menschen, die mit mehr als 2.500 Dollar Kindesunterhaltszahlungen im Rückstand sind, ihren Pass nicht erneuern, oder sie bekommen ihn erst gar nicht. Ein Komitee des UN-Sicherheitsrats hat die Namensliste „Individuals associated with Al-Qaida“ erstellt; zu den Sanktionen gehören neben eingefrorenen Konten auch Reiseverbote. Transparent ist das Verfahren nicht unbedingt – warum diese Leute genau auf die öffentliche Liste kommen, steht nirgends. „Die Liste basiert auf geheimen Informationen und auf der Zusammenarbeit zwischen Staaten und ihren Geheimdiensten, die ihre Angaben jedoch nicht zwingend gegenseitig prüfen“, sagt Wouter Werner von der Universität Amsterdam, der zum Thema forscht.

Doch man muss nichts verbrochen haben, um die Ausreise verwehrt zu bekommen: In Deutschland haben Asylbewerber oder Geduldete schlechte Karten. Für sie gilt je nach Bundesland eine mal mehr, mal weniger stark ausgeprägte Residenzpflicht, die sie an einen festgelegten Bereich bindet.

Wer im Pass Stempel arabischer Staaten hat, kann Probleme bekommen nach Israel einzureisen - und umgekehrt


Palästinenser haben mit der Bevölkerung des Kosovo, des Libanon, Sri Lankas, des Sudan und Einwohnern vieler anderer Staaten auf unterschiedlichen Kontinenten, mit denen sie sonst nicht so viel verbindet, gemein, dass sie nur in wenige Länder visafrei reisen können. Dem Rest gegenüber müssen sie je nach Anforderungskatalog und Reisezweck ihr Einkommen offenlegen, ihren Rückkehrwillen beweisen, Reise- und Impfpässe, Versicherungen und Einladungen vorzeigen. Ähnliche Prinzipien gelten für den Schengen-Raum, der hauptsächlich aus EU-Staaten besteht. Die Visabedingungen für den Schengen-Raum sind scharf – zumindest wenn man aus einem Drittstaat kommt.Das Reisen im Nahen Osten ist eine besonders heikle Sache; wenn im Reisepass Visa bestimmter arabischer Staaten sind, kann die Einreise nach Israel verweigert werden, umgekehrt ebenso. Es hilft ein bisschen, dass heute manche Visa separat auf Papierzetteln ausgegeben werden. Manchmal reicht aber schon ein bestimmtes Aussehen, um an der Grenze Probleme zu bekommen. Für „deutsche Staatsangehörige mit auch nur vermuteter arabischer oder iranischer Abstammung“ sei an der Grenze mit einer „Sicherheitsbefragung durch israelische Sicherheitskräfte zu rechnen“, heißt es auf der Website des Auswärtigen Amtes. Auch deutsche Staatsangehörige palästinensischer Herkunft sollten eine Befragung und längere Wartezeiten einplanen. Für Palästinenser selbst ist das Reisen erst richtig kompliziert. Die israelische Militärverwaltung unterteilt sie je nach Gebiet in verschiedene, farbig gekennzeichnete ID-Gruppen mit eigenen Rechten und Reisebestimmungen. So dürfen Palästinenser mit einer grünen Gaza-ID de facto nicht ins Westjordanland und nach Jerusalem. Die Palästinensische Autonomiebehörde stellt außerdem einen – schwarzen – Reisepass aus, der nur für Auslandsreisen genutzt werden kann und nur Besitzern einer palästinensischen Identitätsnummer ausgestellt werden darf. Er ersetzt nicht den Identitätsausweis, der zusätzlich mitgeführt werden muss.

Kurz gesagt: Beliebt ist, wer die Wirtschaft des Gastlandes nach vorne bringen kann. Mit dem vielerorts diskutierten US-amerikanischen Greencard-Modell soll zum Beispiel Personen von „nationalem Interesse“ oder „mit besonderen Fähigkeiten“ die unbefristete Bleibe schmackhaft gemacht werden.

Karims Asylantrag in Deutschland ging übrigens durch. Der heute 29-Jährige, der vor der Flucht nur bis zur dritten Klasse in die Schule gehen konnte, studiert nun Wirtschaftswissenschaften und arbeitet. Seit ein paar Jahren ist er deutscher Staatsbürger – und hat damit Freiheiten, die viele seiner Freunde nicht kennen.