Mr Loach, fahren Sie gern schwarz?
Das kann ich gar nicht. Weil ich über 65 bin, darf ich den öffentlichen Transport in London umsonst benutzen. Das ist eine der letzten verbliebenen sozialen Errungenschaften Englands. Aber warum fragen Sie?
Weil Sie in Ihren Filmen immer wieder ein Herz für Schwarzfahrer zeigen. In Carla’s Song beispielsweise hält der Busfahrer den Kontrolleur fest, damit eine Frau, die kein Ticket gelöst hat, wegrennen kann.
Eine kleine solidarische Geste. Der Fahrer hilft jemandem in einer schwierigen Situation.
Und in Land and Freedom lässt ein Eisenbahnschaffner einen jungen Mann umsonst durch Frankreich reisen.
Das ist fair, weil der Schwarzfahrer in Spanien gegen den Faschisten Franco kämpfen will – was ja ebenfalls sehr solidarisch ist.
Was bedeutet Solidarität für Sie?
Dass ein Mensch für einen anderen einsteht. Genauer formuliert: Solidarität ist die schärfste Waffe im Kampf der Arbeiterklasse.
Gibt es denn noch eine Arbeiterklasse? Hat nicht die Individualisierung dazu geführt, dass jeder nur noch für sich allein das Beste rausholt?
Natürlich gibt es eine Arbeiterklasse. Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. Außerdem glaube ich auch nicht, dass sich alle Menschen in egoistische Selbstunternehmer verwandeln.
Nein?
Millionen Menschen haben allein in London gegen den Krieg von Bush und Blair und für das irakische Volk demonstriert. In Liverpool haben in den Neunzigerjahren die Hafenarbeiter jahrelang gestreikt, und Kollegen in der ganzen Welt haben sie unterstützt. Das sind doch fantastische Beispiele für Solidarität.
Die Erfolgschancen solcher Proteste beurteilen aber sogar die meisten Linken skeptisch.
So eine Haltung ist zynisch und bequem. Für viele, die immer noch so tun, als ob sie links wären, ist das eine Entschuldigung, um gar nichts mehr tun. Es ist aber eine historische Wahrheit, dass Menschen ihre Geschichte selber machen.
Wollen Sie diese Haltung auch in Ihren Filmen zeigen?
Ganz bestimmt. In Land and Freedom geht es zum Beispiel darum, dass Tausende von euro-päischen Sozialisten und Kommunisten aus England, Frankreich und Deutschland in Spanien für die Republik gekämpft haben. Ich finde es wichtig, die Erinnerung daran wach-zuhalten, auch mit Filmen. Wenn wir das nicht tun, glauben die Leute irgendwann, dass die Definition von „internationaler Solidarität“ ist, dass Angela Merkel und Gordon Brown miteinander essen gehen.
Land and Freedom spielt aber in den Dreißigerjahren.
Es gibt auch aktuelle Beispiele. Mein Film Bread and Roses handelt vom erfolgreichen Kampf des Reinigungspersonals in Los Angeles für bessere Löhne.
Wenn ich Ihnen zuhöre, scheint es, dass Sie nicht nur Regisseur sind, sondern auch Lehrer.
Ich denke nicht, dass meine Filme pädagogisch sind. Politisch schon. Das ist ohnehin nicht zu vermeiden. Ab dem Moment, in dem man einen Mann zeigt, der eine Straße hinuntergeht, und nur erklärt, warum er gerade die Straße hinuntergeht – ab diesem Moment also ist man schon politisch. Wenn in einem Hollywood-Streifen ein Cowboy in neunzig Minuten alle Probleme einer Stadt löst oder ein armer Mann zum Millionär wird, dann ist das auch eine politische Botschaft, aber eine konservative oder neoliberale.
Wie projizieren Sie Ihre Botschaft von der Leinwand in die Köpfe der Zuschauer?
Filmen hat nichts mit komplizierter Technik und Zaubertricks zu tun. Alles, was man braucht, kann man in einem Tag lernen. Ich habe nie verstanden, warum junge Menschen vier Jahre oder noch länger auf eine Filmhochschule gehen. Es geht doch nur darum, die Realität so zu zeigen, wie sie ist.
Das ist leicht gesagt. Wie erreichen Sie dieses Maß an Realismus?
Ich recherchiere meine Themen über Monate. Ich arbeite gern mit Laiendarstellern zusammen, weil sie authentischer wirken. Und ich gebe meinen Schauspielern oft nur zwei, drei Seiten des Drehbuchs auf einmal zu lesen, so wissen sie nicht, was als Nächstes passiert – wie im wirklichen Leben.
Das funktioniert?
Ja. In meinem Film Ladybird Ladybird ahnte die Hauptdarstellerin Crissy Rock bis zuletzt nicht, dass der Staat ihrer Filmfigur die Kinder wegnehmen würde. Sie dachte, es gibt ein Happy End. Sie war ungeheuer ärgerlich.
Ist der traurige Schluss vieler Ihrer Filme nicht ein Widerspruch zu Ihrer optimistischen politischen Haltung?
Nein. Die Figuren können Illusionen haben. Der Film darf das nicht. Er muss ein Angriff auf falsche Hoffnungen sein. Ich will nichts beschönigen. Ich will lieber helfen, dass die Menschen die Realität so sehen, wie sie nun einmal ist. Und wenn das bedeutet, dass sie ein wenig mit den Figuren leiden.
Fordern Sie auf diese Weise die Zuschauer auch zu Solidarität mit den Figuren auf der Leinwand auf?
Auffordern will ich nicht. Ich will ja kein Agitprop-Kino (Agitation und Propaganda, Anm. d. Red.) machen. Eine bessere Formulierung wäre, dass ich die Zuschauer zur Solidarität einlade: ob es nun das Reinigungspersonal in L.A. wie in Bread and Roses ist oder eine Mutter wie in Ladybird, die es sehr schwer hat im Leben.
In diesen Filmen geht es einem als Zuschauer wie Ihrer Darstellerin Crissy Rock. Man ist auf naive Art wütend über die Ungerechtigkeiten dieser Welt.
Es ist nun mal so: Es gibt Menschen, die die Kontrolle haben, und es gibt welche, die kontrolliert werden. Und die Wut darüber ist ein sehr gutes Gefühl. Sie kann eine Basis sein für Solidarität, sie bringt Menschen zum Kämpfen.
Der Brite Ken Loach, 71, ist bekennender Sozialist. Sein Film »The Wind That Shakes the Barley« wurde 2006 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet.
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Regisseur Ken Loach hat gezeigt, dass erfolgreiche Filme kein Happy End brauchen. Ein Gespräch über Schwarzfahren, neoliberale Cowboys und linken Zynismus.
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