Die Idee für Google kam Larry Page im Schlaf. Anfang 1996 wachte er eines Nachts abrupt auf. Was würde passieren, fragte sich Page schlaftrunken, wenn man alle Websites der Welt auf einen Computer herunterladen und dann die Links zwischen ihnen analysieren würde? Er griff sofort zu Bleistift und Papier, um seine müden Gedanken zu sortieren. »Ich verbrachte die halbe Nacht damit, Details aufzuschreiben und mich selbst davon zu überzeugen, dass es funktionieren konnte«, erinnert sich Page. Page überzeugte wenig später auch seinen Studienkollegen Sergey Brin von seinem nächtlichen Geistesblitz, und die beiden begannen mit der Entwicklung einer Internet-Suchmaschine. Der Clou: Ihre Suchmaschine bewertete die Links zwischen verschiedenen Websites, um die Relevanz von Suchergebnissen zu beurteilen. Häufiger verlinkte Seiten wurden zuerst aufgelistet. Page und Brin erreichten damit deutlich bessere Suchergebnisse als die Konkurrenz. 1998 nahm Google ganz offiziell seinen Betrieb auf. Andere Suchmaschinen verwirrten ihre Nutzer damals mit Dutzenden von Optionen und Kategorien. Google sah dagegen schon bald so aus, wie wir es heute noch kennen: ein leicht verspieltes Logo, ein Suchfeld, kein Schnickschnack. Das kam an. 1999 beantwortete Google gerade mal acht Prozent aller Internet-Suchanfragen. Zwei Jahre später war man bereits Marktführer. Heute besitzt der Konzern weltweit einen Marktanteil von rund 60 Prozent. In Deutschland laufen Schätzungen zufolge sogar über 90 Prozent aller Web-Suchen über Google.

Im Oktober 2000 begann Google damit, Anzeigen neben seinen Suchergebnissen zu platzieren. Wer nach Haustieren sucht, bekommt seitdem Werbung für Hundefutter angezeigt. Page und Brin hätten für diese Form der Werbung kein besseres Timing haben können. Gegen Ende 2000 stürzte die Internet-Wirtschaft in eine schwere Krise. Googles Konkurrenz hatte bis dahin auf große und bunte Werbebanner gesetzt. Anzeigenkunden wurde das bald zu teuer und Nutzern gingen sie auf den Geist. Bei Google zahlen Werbekunden dagegen nur, wenn tatsächlich jemand auf eine Anzeige klickt. Firmen wechselten in Scharen zu Google. Anfang 2003 begann der Konzern damit, diese Anzeigen auch anderen Websites zu liefern. Seitdem hat sich Google zum größten Anzeigennetzwerk des Internets gemausert. Im letzten Jahr setzte der Konzern knapp 22 Milliarden Dollar um. Dabei will Google weiter expandieren: Ende 2006 kaufte man für 1,6 Milliarden Dollar Youtube, um ins Geschäft mit der Video-Werbung einzusteigen. Vor gut einem Jahr übernahm der Konzern für drei Milliarden Dollar die Online-Werbefirma DoubleClick. Mittlerweile hat Google für fast jede Aufgabe einen Online-Dienst: Google Mail fungiert als Online-E-Mail. Google Docs ersetzt Microsofts Office-Software. Dazu gibt es noch Google Calendar, die Foto-Software Picasa, Google Maps, Google Earth, den Google-Browser Chrome und ein paar Dutzend weitere Produkte.

Manch einem ist die Flut dieser Google-Dienste nicht ganz geheuer. »Einige Nutzer werden sich nach anderen Anbietern umsehen, weil es ihnen nicht behagen wird, alle Dienste von einer Firma zu bekommen«, prophezeit  beispielsweise Joris van Hoboken. Der niederländische Datenschutzexperte kritisiert, dass Google persönliche Daten in einem noch nie da gewesenen  Umfang sammelt. So speichert Google beispielsweise alle Suchanfragen bis zu neun Monate. Diese Daten helfen dem Konzern, anhand von Nutzerprofilen zielgerichtet Anzeigen zu servieren. Wer erst nach Schwangerschaftstests und dann nach sauren Gurken sucht, so die Logik dieser sogenanntenverhaltensspezifischen Werbung, könnte sich bald auch für Windeln interessieren. Und natürlich gibt es eine Windelfirma, die dankbar ist für die entsprechenden Adressen. Sorgen macht van Hoboken auch Googles jüngster Einstieg ins Mobilfunkgeschäft. Im Frühjahr kam in Deutschland ein erstes Google-Handy auf den Markt. Bis zum Jahresende will man weltweit 18 bis 20 Geräte im Handel haben. »Google bekommt damit Zugang zu einer weiteren Dimension von Nutzerdaten«, erklärt van Hoboken. »Daten über Aufenthaltsorte, soziale Interaktion, Mobilität.«

Heftig kritisiert wird auch das Nachrichtenangebot Google News. Die Website listet die Schlagzeilen von Tageszeitungen und Online-Magazinen und zitiert dazu meist noch ein, zwei Sätze aus den verlinkten Artikeln. Gerade genug, um Leser neugierig zu machen, sagt Google. Zu viel, um noch irgendjemanden zum Durchklicken zu bewegen, heißt es dagegen von Zeitungsverlegern. Die Branche glaubt, dass Dienste wie Google News ihnen die Leser wegnehmen und damit Zeitungen in den Ruin treiben. Der geschäftsführende Redakteur des »Wall-Street-Journal«, Robert Thomson, verglich das Angebot unlängst gar mit einem »Bandwurm in den Innereien des Internets«. Der Konzern argumentiert dagegen, dass Google News Zeitungs-Websites jeden Monat mehr als eine Milliarde Zugriffe einbringt. Ärger bekam Google schließlich auch für die Idee, eine riesige digitale Bibliothek aufzubauen. Der Konzern hatte 2004 damit begonnen, Bücher von US-amerikanischen Uni- und Stadtbibliotheken einzuscannen und auszugsweise online verfügbar zu machen. Einige US-Verlage verklagten Google daraufhin wegen Urheberrechtsverletzungen. Ende 2008 einigten sich beide Seiten darauf, dass Google auch weiterhin Bücher ins Netz stellen darf, die nicht mehr im Handel verfügbar sind. Im Gegenzug sollen Autoren und Verleger an den damit erzielten Werbeeinnahmen beteiligt werden. Aus Deutschland gibt es jedoch herbe Kritik an diesem Vergleich. Verlegern und Politikern missfällt hierzulande vor allen Dingen, dass Google sich erst um die nötigen Rechte bemühte, nachdem man schon Millionen von Büchern eingescannt hatte.

Kontroversen wie diese wären vielleicht nicht ganz so dramatisch, wenn da nicht die Sache mit dem Motto wäre. Brin und Page wollten mit Google unter anderem beweisen, dass man im Netz ohne fiese Tricks Geld verdienen kann. Die begehrten ersten Plätze der Suchergebnisse ließen sich nämlich bei einigen Konkurrenten für bares Geld ersteigern. Google trennte Werbung dagegen von Anfang an klar von Suchtreffern. Firmen wie BMW wurden schon mal ganz von der Site verbannt, wenn sie versuchten, sich bessere Suchpositionen zu ermogeln. Für solche Grundsätze bürgerte sich »sei nicht böse« als eine Art inoffizieller Firmenslogan ein. Google-Kritiker zitieren dieses Motto bis heute gern. »Googles Gründungsmotto ist: Don’t be evil«, erklärte der Ökonom Willem Buiter kürzlich in der »Financial Times«. Doch die Firma tut Böses. Sie ist das neue Reich des Bösen im Netz geworden. »Google missbrauche sein Monopol und seine Datensammelwut sei außer Kontrolle, so Buiter. Die einzige Lösung sei, den Konzern aufzuspalten oder ganz aus dem Geschäft zu treiben. »Niemand würde ihn vermissen«, so Buiter.

Ganz so weit wird es sicher nicht kommen, doch die Politik hat bereits ihr Augenmerk auf Google gerichtet. Als der Konzern im vergangenen Herbst mit dem Konkurrenten Yahoo! kooperieren wollte, drohte das US-Justizministerium umgehend mit einer Klage wegen Wettbewerbsbehinderung. Der Deal fiel ins Wasser. Branchenkenner gehen zudem davon aus, dass die EU-Kommission schon bald eigene Untersuchungen wegen Googles Marktmacht einleiten wird, und die deutsche Regierung will die EU gegen Google Books mobilisieren. Gut möglich also, dass Larry Page noch die ein oder andere schlaflose Nacht bevorsteht.

Janko Röttgers (33) lebt in Los Angeles. Er schreibt am liebsten über das Internet und neue Technologien