Im vergangenen Sommer war mein Mann für ein dreimonatiges Forschungsstipendium in seinem Heimatland Kenia. Am Ende dieses Aufenthalts bin ich mit unserem damals acht Monate alten Sohn zu ihm nach Mombasa geflogen und dann weiter zu meiner Schwiegerfamilie auf die Insel Lamu. Während dieser Zeit fand der bewaffnete Überfall samt dreitägiger Geiselnahme in der Westgate Shopping Mall in der Hauptstadt Nairobi statt.

In jedem Haus, Laden oder Restaurant lief der Fernseher von morgens bis abends, sozusagen Geiselnahme live. Mein Kiswahili ist zwar nicht sehr gut, aber die Berichterstattung konnte ich trotzdem verfolgen – und auch die allgemeine Verwirrung, die sich widersprechenden Aussagen von Seiten der Regierung und den Verantwortlichen vor Ort. Dauernd gab es Neues zu den Opfern, zu den möglichen Tätern.

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Terror in Kenias Hauptstadt Nairobi: Eine Familie sucht in der Westgate-Shopping-Mall hinter einem Verkaufstresen Schutz (Foto: Tyler Hicks / The New York Times)

Terror in Kenias Hauptstadt Nairobi: Eine Familie sucht in der Westgate-Shopping-Mall hinter einem Verkaufstresen Schutz

(Foto: Tyler Hicks / The New York Times)

Irgendwann kamen auch die ersten Nachrichten zu einer möglichen Beteiligung der Britin Samantha Lewthwaite, der sogenannten „White Widow“, und damit die Erkenntnis, dass man möglicherweise einige der Täter allein deshalb schon nicht gefasst hat, weil man nicht nach „Wazungu“ (Weiße, Europäer) Ausschau gehalten hat. Wäre etwas Ähnliches hier in Deutschland passiert, die Verantwortlichen hätten noch am selben Tag gehen müssen. Bis heute ist das Ganze immer noch nicht aufgeklärt, und das wird wahrscheinlich auch so bleiben.

Knapp eine Woche später flogen wir zu meiner Schwägerin nach Nairobi, von wo aus es für mich und meinen Sohn ein paar Tage später zurück nach Deutschland gehen sollte. Plötzlich kamen von allen Seiten Warnungen, ich solle in Nairobi möglichst nicht viel unterwegs sein. Bis dahin wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass die „White Widow“ etwas mit mir zu tun haben könnte. Doch so wie manche Europäer lapidar behaupten, alle Schwarzen würden irgendwie gleich aussehen – tja, so geht es manchen Afrikanern umgekehrt eben auch. Und als weiße Frau um die 30 mit Hidschab (dem Kopftuch, das ich als Muslima trage) sah ich dieser Britin plötzlich zum Verwechseln ähnlich.

Es wurde immer wieder mit dem Finger auf mich gezeigt

Auf dem Flug nach Nairobi und in der Stadt ging noch alles gut. Es wurde zwar immer wieder mit dem Finger auf mich gezeigt, es gab verunsicherte Blicke und manchmal auch Rufe, aber eben nichts Ernsthaftes. Am Abflugtag begleiteten mich mein Schwager, meine Schwiegermutter und mein Mann zum Jomo Kenyatta International Airport. Alle machten sich große Sorgen, ob ich Probleme mit der Sicherheitskontrolle haben würde, und wollten vorsorglich in meiner Nähe bleiben, falls sie für mich aussagen müssten.

Bei der ersten Kontrolle direkt am Eingang wurde mein Pass zwar lange studiert und Vorgesetzte wurden dazugeholt, aber letztendlich durfte ich passieren. Auch beim Check-in gab es nicht mehr als Verunsicherung und fragende Blicke. Dann kam die eigentliche Ausreise, also der „Immigration“-Schalter. Auch hier wieder ein übergenaues Studieren meines Passes und der ausgefüllten Formulare, einige Nachfragen zu meinem Aufenthalt – schon hatte ich meinen Stempel und konnte weiter zum Gate. Von dort rief ich meinen Mann an, um Entwarnung zu geben. Sie könnten alle nach Hause fahren. Alles in Ordnung.

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Nach der Erstürmung der Mall durch kenianische Soldaten waren Teile des Gebäudes komplett zerstört. (Foto: Tyler Hicks / The New York Times)

Nach der Erstürmung der Mall durch kenianische Soldaten waren Teile des Gebäudes komplett zerstört.

(Foto: Tyler Hicks / The New York Times)

Am Gate und der nächsten Sicherheitskontrolle dann wieder das gleiche Spiel: Blicke, emsiges Blättern in unseren Pässen, Nachfragen beim Vorgesetzten. Dann stand der Sicherheitschef des Flughafens mit Vertretern zweier anderer Abteilungen vor mir und fragte, ob wir kurz reden könnten. Im Wartebereich stellte er mir Fragen zu meinem Aufenthalt, zu meiner Herkunft und so weiter – alles total freundlich, sich immer wieder entschuldigend für die Umstände. Ich gab ihm auch die Nummer meines Mannes, damit er gerne alles noch einmal überprüfen konnte. Nachdem ich ja damit gerechnet hatte, dass es Nachfragen geben würde, war das alles im Rahmen und nicht weiter lästig oder gar beängstigend.

Nachdem man mir versichert hatte, dass alles in Ordnung sei, habe ich erst mal ein Gläschen für meinen Kleinen ausgepackt, der bis dahin friedlich in seinem Tragetuch saß. Und während ich die ersten Löffel verfütterte, kamen plötzlich zwei andere Offizielle um die Ecke. Man hätte noch Fragen an mich. Also alles wieder einpacken, Baby vor den Bauch, zurück durch die Sicherheitskontrolle und über den halben Flughafen zum „Immigration“-Schalter.

Innerlich habe ich gekocht

Dort erwartete mich ein grimmig dreinblickender Uniformierter, der mir noch einmal dieselben Fragen wie kurz zuvor stellte und immer wieder versuchte, mir eine Lücke oder einen Fehler in meiner Geschichte nachzuweisen. Innerlich habe ich zwar gekocht, aber schön brav seine Fragen beantwortet. Danach wurde ich wieder zum Gate zurückgebracht, zu den anderen Fluggästen, die mittlerweile interessiert blickten, mit wem sie denn da gleich im Flieger sitzen würden.

Knappe zehn Minuten später kamen die nächsten Uniformierten. Man hätte doch noch ein paar Fragen. So langsam musste ich mich ziemlich zurückhalten, um ihnen keine Szene zu machen. Schließlich sollte das Boarding gleich beginnen, und ich wollte nicht meinen Flug verpassen. Ein französisches Ehepaar, das alles beobachtet hatte, bot mir Hilfe an, aber ich sagte ihnen, dass ich meine Botschaft anrufen würde, wenn sich nicht gleich alles klärt.

Wieder ging es durch die Sicherheitskontrolle und durch den halben Flughafen – und kurz vor der Immigration bekam einer der beiden einen Anruf: Der Sicherheitschef hätte ja schon mit mir geredet und sein Okay gegeben. Ein weiteres Gespräch wäre nicht nötig. Also alles wieder zurück.

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Samantha Lewthwaite, hier auf dem Foto eines gefälschten Passes, den sie verwendet hat (Foto: picture alliance / dpa)

Samantha Lewthwaite, hier auf dem Foto eines gefälschten Passes, den sie verwendet hat

(Foto: picture alliance / dpa)

Ob man ein Foto von mir machen könnte? Nein, eigentlich nicht, denn wer weiß, wo solche Fotos dann landen; und wenn man sich anschaut, wie konfus dieser Sicherheitsdienst arbeitet, findet man sich plötzlich auf irgendeiner Fahndungsliste wieder. Aber da ich mir beim Blick auf die Stewardessen an der Flugzeugtür ziemlich sicher war, dass es Air France völlig egal war, ob ich mitkam oder nicht, habe ich sie Fotos machen lassen und Kopien und was auch immer, nur damit ich zurück an Bord konnte.

 

Zurück auf meinem Platz, hatte ich dann wirklich Herzrasen. Dabei hatte ich die eigentliche Gefahr – dass ich ins Gefängnis gesteckt werden könnte – noch gar nicht realisiert. Ich machte mir die ganze Zeit nur Sorgen um meinen Anschlussflug.

Bis zuletzt habe ich damit gerechnet, dass sie das Flugzeug à la Hollywood noch auf der Rollbahn stoppen würden. Erst in Europa interessierte sich niemand mehr für die hidschabtragende weiße Frau.

Ich war schon lange nicht mehr so froh gewesen, endlich wieder daheim zu sein.

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