Köln-Sülz, Hamburg-Eimsbüttel, Berlin-Kreuzberg: Abend für Abend schleichen die Autos durch die Wohnviertel der Großstädte. Immer auf der Jagd nach einem Parkplatz. Nicht selten werden die entnervten Fahrer erst nach 20 Minuten und länger fündig. Jeder Zeitvorteil aus der Anfahrt kehrt sich in sein Gegenteil um. Der „Peak Car“ – der Zenit des Autoverkehrs – ist hier längst erreicht. Nahezu alle Metropolen westlicher Industriestaaten zeigen das gleiche Phänomen. Das Auto büßt an Attraktivität ein. Die Anzeichen mehren sich, dass das gesamte Verständnis von Mobilität im Wandel begriffen ist – mit gravierenden Folgen für Autobauer und Stadtplaner, Wirtschaft und Politik.

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Mädchen steuert auf der Straße sitzend an Rennauto vorbei (Foto: Toiletpaper Magazine)

Ohne Auto mobiler: Wer wirklich voran kommen will, belastet sich besser nicht mehr mit einer eigenen Karrosse

(Foto: Toiletpaper Magazine)

Dicht besiedelte Großstädte sind hierzulande klar die „Peak Car“-Trendsetter. Zwar steigt die Autodichte in Deutschland noch an: Mehr als eine Million Pkw kamen im vergangenen Jahr hinzu. 45,1 Millionen Pkw bilanzierte das Kraftfahrt-Bundesamt zu Beginn dieses Jahres. 1.000 Einwohner teilen sich insgesamt 672 Fahrzeuge. Aber insbesondere die Großstädter legen immer weniger Kilometer im Auto zurück. Und dieser Trend setzte zum Beispiel in London bereits Mitte der 1990er-Jahre ein. Für Verkehrsforscher, die die Definition der Autodichte über diese „Personenkilometer“ bevorzugen, ist der „Peak Car“ daher zumindest in Ländern wie Deutschland, Großbritannien und Japan schon seit Jahren überschritten.

Hohe Kosten, lange Stauzeiten, fehlende Parkplätze: Klar messbare Ursachen werden für den „Peak Car“ angeführt

Ob Personenkilometer oder Autodichte: Beide Parameter liefern Beweise für den „Peak Car“. Mal ist er schon überschritten, mal steht er kurz bevor. „Ganz gleich, welche Messgröße wir zugrunde legen, wird Deutschland im kommenden Jahrzehnt einen Höhepunkt – auch Peak Car genannt – der Pkw-Motorisierung und Pkw-Nutzung erleben“, sagt Jörg Adolf, Chefvolkswirt von Shell in Deutschland. Der Mineralölkonzern präsentierte 2014 eine viel beachtete Mobilitätsstudie – „Pkw-Szenarien bis 2040“ –, die den „Peak Car“ in Deutschland erst für das Jahr 2022 mit 45,2 Millionen Pkw prognostizierte. Doch angesichts der 45,1 Millionen Pkw schon Anfang 2016 eilt die Wirklichkeit der Studie offenbar um einige Jahre voraus.

Hohe Kosten, lange Stauzeiten, fehlende Parkplätze: Klar messbare Ursachen werden für den „Peak Car“ angeführt. Ein ganz anderer Faktor, aber nach Einschätzung vieler Experten nicht weniger bedeutend, ist die Abkehr vom Auto als Statusobjekt. Zwar setzen Autohersteller im Marketing immer stärker auf Design und Emotion statt auf technische Details, um Begehrlichkeit für ihre Produkte zu wecken. Doch den 20- bis 29-jährigen Männern gelten Autos oft nur noch als Gebrauchsobjekt. Die Mehrheit der Frauen hat diese Einstellung sowieso schon länger, wie deren Vorliebe für eher praktische Fahrzeuge über Jahrzehnte belegt. Eine Identifikation mit dem eigenen Gefährt findet immer seltener statt.

„Privatautos sind im doppelten Sinne ineffizient“

Diese Entwicklung kann Stephan Rammler, Mobilitätsforscher und Gründungsdirektor des Instituts für Transportation Design an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, nur begrüßen. „Privatautos sind im doppelten Sinne ineffizient“, sagt er und bezieht sich damit auf die benötigte Energie für Bau und Betrieb sowie den Platzbedarf der Fahrzeuge, die immer öfter ungenutzt herumstehen. „Kein Unternehmer würde seine Maschinen 22 bis 23 Stunden am Tag stillstehen lassen.“

In der Zukunft nach dem „Peak Car“ werde nicht mehr das Auto als Besitz im Mittelpunkt stehen, prognostiziert Rammler, sondern die reine Mobilität. Bahn, Bus, Auto, Fahrrad oder gar ein Segway – für jeden Zweck wird ein anderes Gefährt genutzt. Und dieses muss niemand mehr selbst besitzen. Einen Vorgeschmack auf diese „Wirtschaft des Teilens“ bietet die steigende Anzahl von mittlerweile etwa 150 Carsharing-Angeboten in Deutschland mit 1,26 Millionen registrierten Kunden. Ende 2010 waren es nur 190.000. Begleitet wird der Trend von der Elektromobilität, auch wenn sie in Deutschland noch recht langsam Fahrt aufnimmt.

Ob der Staat Kaufprämien springen lässt oder nicht, die flächendeckende Verbreitung von Elektroautos wird sich mit besseren Akkus, sinkenden Kosten und steigender Reichweite in den kommenden Jahrzehnten kaum aufhalten lassen. Ohne eine Elektrifizierung des Verkehrs – gespeist mit regenerativ erzeugtem Strom – wird sich auch der Treibhausgasausstoß in diesem Segment nur schwer verringern lassen. „Städte, in denen gar keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr fahren, werden Wirklichkeit“, ist Rammler überzeugt. So schließen der „Peak Car“ und die Elektromobilität einander nicht aus, sondern befördern gemeinsam eine neue Ära einer klima- und menschenfreundlicheren Mobilität. Die derzeit niedrigen Spritpreise mögen die Entwicklung etwas bremsen, aufzuhalten ist sie nicht.

In Europa gehen derweil Politiker und Stadtplaner dazu über, „Peak Car“ als Realität zu akzeptieren

Mit Elektroautos und eigenen Carsharing-Konzepten haben viele Autohersteller von General Motors und BMW über Audi und PSA Peugeot Citroën bis Daimler und Toyota diesen Trend wahrgenommen. Aber ihr Kerngeschäft richten sie bisher nicht darauf aus. Auch nicht in den westlichen Industrienationen, wo das Phänomen „Peak Car“ und die Idee der Sharing Economy sich bisher am deutlichsten zeigen. In China, Indonesien, Mexiko und anderen aufstrebenden Schwellenländern steigen die Zulassungszahlen privater Fahrzeuge rasant. Die größer werdende Mittelschicht will nicht auf eigene Autos verzichten. Wie lange das automobile Wachstum dort noch anhalten wird, ist fraglich. Schon heute leiden Städte wie Peking unter verstopften Straßen und hartnäckigem Smog, erste Fahrverbote wurden bereits verhängt.

In Europa gehen derweil Politiker und Stadtplaner dazu über, „Peak Car“ als Realität zu akzeptieren. Städte wie Kopenhagen und Amsterdam legen breitere und längere Radwege an. In der Schweiz, Belgien und auch im Ruhrgebiet wird an einem dichten Netz an Radschnellwegen zwischen den Gemeinden geplant beziehungsweise gebaut. Nicht nur Fahrradfetischisten horten mittlerweile drei und mehr Räder in ihrem Keller – ein E-Bike für die Arbeit, ein Rennrad zum Training und ein Mountainbike für den Urlaub. Mag der „Peak Car“ erreicht sein, der „Peak Bike“ ist es längst noch nicht.

GIF: Toiletpaper Magazine