„Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“ – dieser Ausspruch wird verschiedenen Schriftstellern und Politikern zugeschrieben. Worauf er abzielt: In bewaffneten Konflikten wollen unterschiedliche Interessengruppen das Bild bestimmen, das sich die Öffentlichkeit vom Krieg macht. Entsprechend versuchen die verschiedenen Konfliktparteien Einfluss zu nehmen auf die berichtenden Journalisten wie auch auf die Medienkonsumenten. Es geht um die Kontrolle der Schlachtfelder und die Rechtfertigung von Gewalt. Was auf Zeitungspapier begann, setzte sich in Radio und Fernsehen fort und ist heute in sozialen Netzwerken wie Twitter angekommen. Denn dort finden sich keineswegs nur Gegenpositionen zur Sicht der Militärs und der klassischen Medienberichterstattung oder die Blogs einzelner Opfer. Auch die Kriegsparteien twittern. Tweets setzten beispielsweise während des jüngsten Gaza-Kriegs sowohl die palästinensische Hamas als auch die israelische Regierung für ihre Sache ein.

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Kriegsschauplatz Couch: Die Mutter und die Schwester des Kriegsgefangenen Soledad Alvarez verfolgen eine Ansprache von US-Präsident Nixon zum Vietnamkrieg (Foto: picture-alliance / akg-images)

Kriegsschauplatz Couch: Die Mutter und die Schwester des Kriegsgefangenen Soledad Alvarez verfolgen eine Ansprache von US-Präsident Nixon zum Vietnamkrieg

(Foto: picture-alliance / akg-images)

So wie die sozialen Netzwerke heute noch ein relativ junges Medium sind, war es in den 1960er-Jahren, zu Zeiten des Vietnamkriegs, das Fernsehen. Damals griffen die US-Streitkräfte an der Seite des antikommunistischen Südens massiv in den Bürgerkrieg zwischen dem kommunistischen Nordvietnam und dem Süden ein. Und das Fernsehen war dabei. Der Vietnamkrieg gilt als der erste Krieg, der auch auf dem Bildschirm ausgefochten wurde. „Die Bilder vom Krieg im fernen Südostasien kamen in die Wohnzimmer und damit den Menschen so nah wie nie zuvor – auch wenn das natürlich noch längst keine Echtzeit-Berichterstattung war wie heute“, sagt Gerhard Paul, Historiker von der Universität Flensburg, der mehrere Bücher über die Bilder des modernen Kriegs geschrieben hat. „Die Leute hatten quasi den blutenden Vietcong, den Kriegsgegner, im Wohnzimmer. So wurde der Krieg auf neue, direktere Weise privaten moralischen Wertmaßstäben unterworfen.“

Der Vietnamkrieg dauerte für die USA seit ihrem Kriegseintritt 1964 bis zum Jahr 1973, und obwohl die USA bis zu 550.000 ihrer Soldaten einsetzten, konnten sie ihr Ziel, den Süden zu stabilisieren und den Kommunismus in Südostasien einzudämmen, nicht erreichen. 1973 zogen die letzten US-Streitkräfte ab, nachdem sie mit mehr als 58.000 Toten (auf Seiten der Vietnamesen waren es Schätzungen zufolge über fünf Millionen Opfer, davon 80 Prozent Zivilisten) schwere Verluste erlitten hatten und die US-Öffentlichkeit kriegsmüde geworden war.

Welche Rolle die Medien, insbesondere das Fernsehen, für den Meinungsumschwung gegen den Krieg, die Antikriegsproteste und den Abzug der USA spielten, ist bis heute umstritten. Um die Medienberichterstattung und ihren Einfluss ranken sich verschiedene Mythen. Viele sind widerlegt, aber sie wirken sich bis heute aus – etwa bei den Zensurmaßnahmen des US-Militärs.

Besonders schlimme Grausamkeiten wurden dem Publikum vorenthalten

Einer dieser Mythen ist, dass es das Fernsehen und seine drastischen Bilder von der Realität des Krieges waren, die zur Stimmungsänderung in der Bevölkerung führten und damit quasi den Krieg beendete. Diese Auffassung kann Forschern zufolge nicht aufrechterhalten werden. Zwar gab es aus Vietnam Bilder, die es während des Zweiten Weltkriegs oder des Koreakriegs nicht durch die US-Zensur geschafft hätten, schreibt der US-Politologe Daniel Hallin in einem Essay für das Fernseh- und Rundfunkmuseum von Chicago. Doch solche Bilder seien eher selten gewesen. Dazu gehören drei berühmte Schockbilder: 1965 zünden US-Soldaten mit ihren Zippo-Feuerzeugen Dorfhütten an; 1968 richtet der südvietnamesische Polizeichef Nguyen Ngoc Loan in Saigon einen Gefangenen auf offener Straße mit einem Kopfschuss hin; 1972 fliehen schreiende, verletzte Kinder vor einem südvietnamesischen Fehlangriff mit der Brandwaffe Napalm. Laut Hallin hat weniger als ein Viertel der TV-Beiträge Tote und Verwundete gezeigt, meist kurz und flüchtig und nicht besonders drastisch. Manche besonders schlimmen Grausamkeiten seien dem Publikum von den TV-Sendern absichtlich vorenthalten worden, von anderen seien gar keine Bilder verfügbar gewesen.

Ein anderer Mythos ist der vom Vietnamkrieg als „unzensiertem Krieg“. Oder der, dass die Journalisten von Beginn an kritisch gewesen seien. „Die TV-Teams hatten damals einen relativ freien Zugang zu den Schlachtfeldern. Doch längst nicht alle Spielräume wurden genutzt“, sagt der Historiker Gerhard Paul. „Daher sollte man die Rolle des Fernsehens auch nicht überschätzen.“ Eine neue, kritischere Qualität habe die TV-Berichterstattung erst im Zuge des Antikriegsprotests Ende der 1960er-Jahre bekommen. „Der Vietnamkrieg war ja bis dahin in den Medien im Großen und Ganzen akzeptiert gewesen. Das Fernsehen holte da eine Entwicklung nach.“ Es habe sich angepasst, als die Zweifel der Amerikaner am Krieg immer größer wurden.

Das sieht der Historiker Lars Klein von der Universität Göttingen ähnlich. Er hat Aufsätze und Bücher über Kriegspropaganda und den US-Journalismus im Vietnamkrieg geschrieben. „Ich würde die Bedeutung des Fernsehens, insbesondere der Bildwirkung, nicht zu hoch hängen. Denn es war ein noch relativ neues Massenmedium und noch stark ein Unterhaltungsmedium. Der Informationsanteil wurde langsam ausgebaut, und dieser war zunächst noch sehr wortlastig.“ So habe der US-Fernsehjournalist Walter Cronkite im CBS-Studio gesessen, als er 1968 seinen legendären Kommentar sprach: Die USA steckten, so Cronkite, nach blutigen Erfahrungen in einer Sackgasse fest, und der einzige Ausweg seien Verhandlungen, die man nicht als Sieger führen werde, sondern als ehrenhafte Menschen, die ihrem Versprechen, die Demokratie zu verteidigen, so gut sie konnten gerecht wurden. Damals war Cronkite von einer Reportage aus Vietnam zurückgekehrt. Der Historiker Klein meint: „Schwer zu sagen, was stärker wirkte, solche desillusionierenden Sätze oder schockierende Bilder von Blut und Leid.“ Enormen Einfluss hätten die Pressefotos des Massakers von My Lai im März 1968 gehabt, das die US-Armee zu vertuschen versuchte. Sie zeigten wie US-Soldaten rund 500 Zivilisten umbrachten. Die Fotos konnten, so Klein, „die Brutalität des Kriegs viel deutlicher zeigen, als das Fernsehen mit eigenen Mitteln es konnte“. Die Fotos seien aber erst 1969 öffentlich geworden, als ein Meinungsumschwung bereits auszumachen war.

Klein betont, dass „Vietnam keineswegs ein Krieg war, aus dem frei und unbehindert berichtet werden konnte, und auch keiner, in dem sich Journalisten und Militärs gleichberechtigt gegenüber standen.“ Einerseits habe es auch damals Zensur gegeben, andererseits seien sowohl TV- als auch Printjournalisten nicht so durchweg kritisch und ihre Berichterstattung nicht so wirkungsvoll gewesen, wie sie selbst es später gern darstellten. „Es waren letztlich die ausbleibenden militärischen Erfolge und die steigende Zahl eigener toter Soldaten, die den Meinungsumschwung gegen den Krieg brachten.“

Dass es damals angeblich die Medien waren, die die „Heimatfront“ aufweichten und so schuld an der Niederlage waren, machten sich allerdings US-Militärs und -Politiker als Dolchstoßlegende zunutzen. „Vietnam wird bis heute instrumentalisiert, um Medien zu disziplinieren“, sagt Lars Klein. „Auch setzte sich eine rigide Medienpolitik durch, etwa bei den Invasionen in Grenada und in Panama in den 1980er-Jahren sowie im Golfkrieg von 1990.“ Die US-Militärzensur versucht zudem bis heute Bilder verwundeter oder toter Soldaten in „body bags“ (Leichensäcken) zu verhindern.

Der Historiker Gerhard Paul verweist auch auf die spätere Strategie des kontrollierten Zugangs für Journalisten. Diese werden vom US-Militär in „Medienpools“ zusammengefasst und an bestimmte Punkte des Kampfgebiets gebracht. Oder man integriert sie in militärische Einheiten („embedded journalists“), wie etwa beim Irakkrieg 2003. So kontrolliert das Militär die Fortbewegungs- und Kommunikationsmittel der Journalisten. Allerdings wird die Medienpolitik der Militärs in den vergangenen Jahren herausgefordert: durch das Aufkommen neuer TV-Sender – etwa des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera – sowie die Möglichkeiten des Internets. Über soziale Netzwerke wie Twitter oder Video-Plattformen wie YouTube können andere Perspektiven verbreitet werden. So werden auch Kriegsschäden sichtbar, die die Verantwortlichen nicht gezeigt wissen wollen: zivile Opfer etwa oder zerstörte Häuser.

Der Vietnamkrieg war durch das Aufkommen des Fernsehens der erste „Wohnzimmer-Krieg“. Seither ist die Zahl der Sender und auch deren Bilderhunger enorm gewachsen. Das nutzt das Militär aus: „Seit dem Golfkrieg 1990 werden zunehmend Aufnahmen von Zielkameras zur Verfügung gestellt, wo lasergesteuerte Raketen oder Bomben ins weit entfernte Ziel finden“, sagt Gerhard Paul. „Eine saubere Darstellung ohne Blut, abgetrennte Körperteile oder Leichen.“ Bilder, die im Zeitalter des Drohnenkriegs kaum mehr zu unterscheiden sind von denen aus einem Video- oder Computerspiel.

Hans-Hermann Kotte hat schon öfter über Fragen von Krieg und Frieden geschrieben, etwa über totale Kriegsdienstverweigerer oder Wehrmachtsdeserteure. Als Kind hörte er eine wichtige Nachricht zum Vietnamkrieg im Autoradio, das war 1975, als die letzten US-Militärberater aus Saigon abzogen. Hubschrauber holten die amerikanischen Militärs damals vom Dach der US-Botschaft in Saigon ab.