Thema – Klimawandel

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Mit Spannung erwartet

Was die Energiewende bringen wird, ob sie sinnvoll ist und wie das alles am besten zu bewerkstelligen ist, darüber wird durchaus gestritten

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Strom werde zum Luxus, warnen Kritiker und weisen darauf hin, dass stromintensiven Industriebetrieben in letzter Zeit einige Male der Strom abgeschaltet wurde. Die Schuld daran geben sie dem Sonnen- und Windstrom. Denn Windräder drehen sich nur bei Wind, Solarmodule erreichen einen guten Wirkungsgrad nur bei blauem Himmel – die Abnehmer aber verbrauchen unabhängig vom Wetter. Und weil der Anteil der Erneuerbaren bis 2050 in Deutschland auf 80 Prozent anwachsen soll, wird, so die Argumentation, der Strom künftig öfter ausfallen und extrem teuer werden. 

Das will niemand. Die nüchterne Frage, die vor dem Schreckensszenario kommt: Kann das Stromnetz ohne Kohle- und Atomkraftwerke stabil laufen? Gegenwärtig decken sie die sogenannte Grundlast: Rund um die Uhr liefern sie ein Polster an Elektrizität. Die Befürworter der Energiewende verweisen darauf, dass auch Wasser-, Biomasse- und Speicherkraftwerke zu diesem Polster beitragen – wenn auch in geringerem Umfang. 

5.900 Kilometer neue Leitungen sollen verlegt werden

Lange Zeit waren daher viele Experten der Auffassung, dass für die Energiewende viele Speicherkraftwerke benötigt würden. Doch 2014 haben Forscher mit der „Roadmap Speicher“ aufgezeigt, dass man bis zu einem Anteil von 90 Prozent erneuerbarer Energien weitgehend ohne Stromspeicher auskomme. Gleichwohl könnten verschiedene Technologien wie Power-to-Gas, Pumpspeicherkraftwerke oder Batteriespeicher helfen, Stromspitzen zu bunkern – allerdings nur als Notfallpuffer. Denn Strom zu speichern ist teuer, und bei der Umwandlung geht ein Teil der Energie verloren. Klimafreundlich ist das nicht.

Noch wichtiger ist deswegen der Ausbau des Stromnetzes. Ohne ihn, so warnt die Bundesnetzagentur, kann es durchaus zu Engpässen kommen. Allein 5.900 Kilometer neue Leitungen bzw. Netzverstärkungen sollen deshalb verlegt werden. Aber dieser Ausbau kommt nur schleppend voran. Betroffene Bürger setzen sich vielerorts zur Wehr, etwa aus Angst vor Elektrosmog oder weil Lebensräume seltener Arten zerstört werden.

Dennoch: Den Schlüssel zu einer sicheren Stromversorgung sehen die Befürworter der Energiewende in einem weiträumigen Stromnetz, das intelligent gesteuert wird. Denn Wind und Sonne liefern zwar kein gleichbleibendes Stromangebot, aber sie können, so die Argumentation, aufeinander abgestimmt werden. Wenn etwa Windräder in NRW stillstehen, drehen sie sich an der Nordseeküste oft trotzdem.

Alle 15 Minuten entscheiden Händler neu, wie der Strom in Europa verteilt wird

Dass die Voraussetzungen für diesen wechselseitigen Ausgleich gut sind, zeigt eine neue Studie des Deutschen Wetterdienstes: Statistisch gesehen kommt es in Deutschland nur an zwei Tagen im Jahr zu einer Wetterlage, bei der über 48 Stunden keine Sonne scheint und nicht genug Wind weht. Allerdings ist und bleibt das Wetter eine unberechenbare Sache. Deshalb empfiehlt die Studie, mit Reservekapazitäten vorzusorgen. Sonst könnte es notwendig sein, an Tagen mit „Dunkelflaute“ Strom aus Nachbarstaaten zu importieren, womöglich sogar Kohle- oder Atomstrom. 

Eine permanente Koordination verschiedener Anlagen geschieht schon heute. Alle 15 Minuten entscheiden Händler neu, wie der Strom in Europa verteilt wird. Sie tun dies aber nicht nur, um die Frequenz stabil zu halten, sondern auch, um jeweils das günstigste Angebot zu nutzen. Eine neue Studie des Göttinger Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation zeigt, dass dieser finanziell getriebene Stromhandel in den vergangenen Jahren in höherem Maße zu Stromschwankungen geführt hat als die erneuerbaren Energien. 

Betrachtet man die Zahlen der Bundesnetzagentur, dann ist Deutschland auf einem guten Weg: Die Zahl der länger als drei Minuten anhaltenden Stromausfälle nahm von 2006 bis 2015 um rund 30 Prozent ab. Teuer wird es aber trotzdem werden: Laut Bundesregierung sind für die Energiewende Investitionen von 550 Milliarden Euro bis zur Mitte des Jahrhunderts notwendig. Sie will verhindern, dass der Strompreis dadurch zu stark steigt. Das wäre vielleicht gut fürs Klima, aber nicht sozial gerecht. Dann würde Strom doch noch zum Luxus.

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