Thema – Türkei

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Schwieriger Kurs

Wenn es um Geld geht, stößt auch die Macht eines Autokraten an ihre Grenzen: die türkische Währungskrise kratzt an Erdoğan. Wie ist sie eigentlich zustande gekommen?

Literweise Cola, die vor laufender Kamera ins Klo geschüttet wird, und Dutzende kaputte iPhones, manche zertrümmert, andere dramatisch verbrannt. In Videos, die im Sommer in der Türkei gedreht wurden und seitdem durch das Netz wandern, geht es nicht um Konsumkritik, sondern um Protest gegen die USA. Denn die machen viele Türken für die Abwertung ihrer Währung, der Lira, verantwortlich. 

Dieser Protest ruft auch Kritiker auf den Plan: Er basiere auf nationalistischen und verschwörungstheoretischen Behauptungen und folge nur der Logik der türkischen AKP-Regierung unter Präsident Erdoğan, sagen sie. Die schiebe, wann immer etwas im eigenen Land schieflaufe, diese Missstände anderen Regierungen in die Schuhe. Fremden Mächten, die angeblich die Türkei zerstören wollen. 

Was viele nicht wissen: Unabhängig von den jüngsten Querelen zwischen der Türkei und den USA gibt es eine längere Vorgeschichte der aktuellen Währungskrise

Die alleinige Verantwortung tragen die USA nicht an der derzeitigen Währungskrise, aber sie spielen tatsächlich eine gewisse Rolle. Als Auslöser für den extremen Wertverfall der Lira sehen Erdoğan und viele seiner Anhänger die amerikanischen Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der Türkei. Die hatten die USA verhängt, nachdem ihre Forderung zurückgewiesen worden war, den in der Türkei festgehaltenen (seit kurzem steht er nur noch unter Hausarrest) evangelikalen Pastor Andrew Brunson freizulassen. Er steht seit Oktober 2016 unter Spionage- und Terrorverdacht. Erdoğan fordert im Austausch für Brunson die Auslieferung von Fethullah Gülen, einem ehemaligen Weggefährten, den er inzwischen zum Staatsfeind erklärt hat. Der lebt in den USA im Exil und wird von der türkischen Regierung für den missglückten Putschversuch im Sommer 2016 verantwortlich gemacht.

Dem scheinbar ungebrochenen Wirtschaftswachstum fehlte eine solide Grundlage

Was viele nicht wissen: Unabhängig von den jüngsten Querelen zwischen der Türkei und den USA gibt es eine längere Vorgeschichte der aktuellen Währungskrise. Die Fehlentwicklungen, die dazu geführt haben, sind schon seit Jahren bekannt. Auch infolge des Konflikts mit den USA haben nun Kreditgeber und Investoren das Vertrauen in die Wirtschaftspolitik der türkischen Regierung verloren. Die türkische Wirtschaft wird oft nicht mehr für eine profitable Anlegeoption gehalten.

Die Lira-Krise dauert bereits über neun Monate an. Ende 2017 stieg die Inflation auf 14 Prozent und erreichte damit den höchsten Wert seit der Weltwirtschaftskrise 2007. Während die Lira zuerst nur leicht an Wert verlor, sorgte Anfang April 2018 die Entscheidung des Staatspräsidenten Erdoğan gegen eine Leitzinserhöhung für eine Eskalation. Mit dieser Entscheidung verletzte Erdoğan faktisch die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank. Mitte Mai 2018 gab Erdoğan nach, und die Zentralbank durfte die Leitzinsen von 13,5 Prozent auf 16,5 Prozent erhöhen. Dies sorgte zwar für eine kurze Entspannung, aber Äußerungen von Erdoğan, wonach der Leitzins wieder gesenkt werden sollte, ließen die Lira erneut abstürzen. Zum vorläufigen Höhepunkt der Lira-Krise kam es am 10. August 2018, als die USA die Strafzölle gegen die Türkei verhängten. 

Auch der zunehmend autoritäre Kurs der türkischen Regierung führte nicht dazu, dass Investoren der Türkei den Rücken zukehrten

Dem scheinbar ungebrochenen Wirtschaftswachstum, das der jetzigen Krise über viele Jahre vorausging, fehlte eine solide Grundlage. Es beruhte zum Teil nur darauf, dass es anderswo größere ökonomische Krisen gab. Kredite und Investoren wanderten von Ländern wie Griechenland oder Portugal in die Türkei ab, weil sie glaubten, ihr Geld dort profitabler anlegen zu können. Weil der Stern anderer Volkswirtschaften verblasste, erschien der türkische Halbmond für ein paar Jahre heller, als er wirklich war. Denn diese finanziellen Ressourcen wurden in der Türkei nicht genutzt, um die Wirtschaft so umzugestalten, dass profitable Sektoren gestärkt werden. Zu viel Geld verschwand im Konsum und in zahlreichen Großbauprojekten. All den Krediten und Investitionen zum Trotz blieb das Außenhandelsdefizit der Türkei hoch: Das Land musste weiterhin deutlich mehr Güter importieren, als es selbst ins Ausland exportierte.

So sorgen dieselben verschwörungstheoretischen, teils antiwestlichen Erzählungen nun dafür, dass die Hilfe vorerst ausbleibt

Die Stabilität war trügerisch. Solange Investoren darauf vertrauen konnten, dass sich in der türkischen Wirtschaftspolitik so schnell nicht viel änderte, blieb die Schieflage weitgehend unbeachtet. Auch der zunehmend autoritäre Kurs der türkischen Regierung, der sich spätestens 2013 mit der brutalen Niederschlagung der Gezi-Proteste zeigte, führte nicht dazu, dass Investoren der Türkei den Rücken zukehrten.

Nach dem Putschversuch im Juli 2016 gerieten jedoch viele Unternehmen mit Verbindungen zur dafür verantwortlich gemachten Gülen-Bewegung (dessen geistliches Oberhaupt Gülen ist) ins Visier der Regierung. Sie wurden beschlagnahmt oder unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt, Gülen-nahe Unternehmer wurden verhaftet oder mussten ins Exil. Gleichzeitig verschärfte die Regierung ihre Kritik an westlichen Staaten, unter anderem, um so mehr konservative Wählerstimmen für sich zu gewinnen. Doch genau diese antiwestliche Rhetorik wird nun zu einem Problem für die Regierung, weil die Türkei (anders als in der Erzählung der AKP) auf westliche Investitionen und auf die politische Zusammenarbeit mit dem Westen angewiesen ist. So sorgen dieselben teils verschwörungstheoretischen, teils antiwestlichen Erzählungen, mit denen die türkische Regierung innenpolitisch punkten konnte, nun dafür, dass die nötige wirtschaftliche Hilfe aus dem Ausland vorerst ausbleibt. 

Um die Lira-Krise zu beenden, wäre wahrscheinlich eine deutliche Leitzinserhöhung notwendig. Dies wird aber von Staatspräsident Erdoğan abgelehnt. Am 13. September verkündete die Notenbank wieder Erwarten dennoch, dass sie den Leitzins von 17,75 auf 24 Prozent anhebt. Ob dies der Befreiungsschlag für die Lira sein könnte, bleibt abzuwarten. Schließlich besteht auch weiterhin das Problem, dass das Wachstum schwach ist.

Foto: Joris van Gennip / Hollandse Hoogte / laif

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