Ich komme aus einer Kleinstadt im Erzgebirge, da hat man nur wenige Möglichkeiten: Du bist apolitisch, ziehst deine Ausbildung durch, haust ab oder versauerst hier. Oder du wirst Naziproll, schlägst dich auf der Kirmes rum und hängst am Bahnhof ab. Oder du bist eben links. Es gab natürlich immer Grenzgänger, die mal das eine, dann das andere waren. Es gab hier sogar mal einen Schwarzen, der erst bei den Punks war, dann bei den Hooligans und dann bei den Nazis. Er lief mit einem T-Shirt rum, auf dem stand: I hate my colour.

 

Am Anfang hing ich auch mit Nazis ab. Da haben wir beim Kiffen manchmal rechte Musik gehört oder antisemi­tische Lieder gesungen. Aber dann kam der Punkrock. Linke Musik. Die Toten Hosen, Ton Steine Scherben. Mit 15 war ich das erste Mal in Dresden, um gegen Nazis zu demonstrieren.

Die Nazis warfen ein paar Flaschen und gingen weiter. Sie wollten nur drohen 

Wir hatten einen eigenen Raum zum Rumhängen, einen Probenraum mit Bar. Dort trafen sich antifaschistische Skinheads, Punks, Hippies, Skater. Alle, die genug hatten vom Mief um uns herum. In einer Nacht fuhren ein paar Nazis vor. Wir waren zu zwölft, mein Adrenalinpegel stieg. Die Nazis warfen ein paar Flaschen und gingen wieder. Sie wollten nur drohen. Uns zeigen, dass sie wissen, wo wir sind. Aus meiner Angst wurde irgendwann Wut und der Drang, mich zu wehren. Weil du siehst, dass du nichts machen kannst, außer zurückzuschlagen. Natürlich werden die Hände feucht. Du spürst, wie heftig dein Herz schlägt. Das klingt jetzt so, als ob ich mich immer geprügelt hätte. Das ist falsch. Meistens bin ich geflohen, in neun von zehn Fällen. Meine Beine waren meine treuesten Begleiter. Wie oft ich angegriffen wurde, kann ich nicht zählen. Es waren sicher zehn, fünfzehn Attacken dabei, die ich als heftig in Erinnerung habe. Meistens war es ja so, dass eine Horde Nazis besser trainiert war als ein Haufen wilder Punks. Einmal lauerten ein paar Nazis einem Punk im Zug auf. Sie trieben ihn in den Wald, fesselten ihn an einen Baum und pissten ihn an.Es waren aber nicht immer körperliche Übergriffe. Manchmal reichte es schon, wenn ich am Bahnhof ausstieg. Da saßen dann wieder die fünf trinkenden Faschos, die sagten: „Diesmal holen wir dich auf dem Rückweg.“ Das war Psychoterror, der mir meine Hilflosigkeit vor Augen führte.

Plötzlich marschieren die Nazis auf - bis an die Zähne bewaffnet, mit Schaum vor dem Mund

Als ich 16 war, gab es in unserer Stadt ein selbst organisiertes Konzert. Nach dem Konzert traten die Nazis auf unsere Autos ein und blockierten sie. Ich schrie die Nazis an. Als die auf mich loswollten, bin ich gerannt. Dann flog eine Flasche, sie traf mich im Gesicht, mein Auge schwoll zu. Im Krankenhaus befragte mich die Polizei. Es war einer der wenigen Fälle, der zu einer Verurteilung führte. Der Typ war ein Dorfproll, er gehörte nicht zum harten Kern. Deshalb konnten wir gegen ihn vorgehen. Bis heute überweist er mir Schmerzensgeld. Natürlich hatte ich oft Angst. Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich an die Zeit denke. Mit 17 war ich so weit, dass ich mir das nicht mehr gefallen lassen wollte. Wenn du nur auf die Fresse kriegst, dann haust du irgendwann zurück. Aus Angst wird Offensive. Zum Beispiel, als bei einem Punkrock-Konzert plötzlich Nazis aufmarschierten, bis an die Zähne bewaffnet: Baseballschläger, Stangen, Ketten, zähnefletschend, Schaum vorm Maul. Wir trieben alle Zuschauer, 200 mindestens, in einen Raum, der nur über eine Treppe zu erreichen war, und verbarrikadierten die Treppe. Als die Nazis da waren und die Tür eintraten, warfen wir mit allem, was wir fanden. Uns gelang es, den Raum zu verteidigen. An diesen Tag denke ich bis heute.Die Polizei zu rufen war keine Option. Die nächsten Einsatzhundertschaften sitzen in Chemnitz. Bis ins Gebirge brauchen die eine halbe Stunde. Wenn du am Telefon sagst, dass du von Neonazis attackiert wirst, dauert es eine ganze Weile. Eine Anzeige ist auch keine Option. Spätestens der Anwalt, den die sich besorgen, bekommt unsere Adressen raus und gibt sie weiter.

Gegen einen Rechtsruck der Gesellschaft kann man sich auch nicht mit Pfefferspray wehren

In meiner Stadt hat die Gewalt mittlerweile etwas abgenommen, aber viel hat sich aus meiner Sicht nicht ge­ändert. Vorletztes Jahr hat jemand versucht, einen Döner-Laden anzuzünden. Und neulich wurden über eine Strecke von 20 Kilometern Hakenkreuze gesprüht. Kürzlich habe ich im Zug beobachtet, wie ein Nazi ein Metaller-Pärchen angemacht hat. Der Nazi war dermaßen aggressiv, der war wahrscheinlich auf Crystal Meth. Er ging dem Mann an die Gurgel und würgte ihn. Seine Freundin holte Hilfe. Ein Polizist, der zufällig im Abteil war, ging dazwischen. Als der junge Mann, der attackiert wurde, weinte, habe ich ihn getröstet. Ich schaute den Nazi an und sagte: „Ich werde derjenige sein, der gegen dich aussagt.“ Als ich aus dem Zug stieg, hob er seinen Arm zum Hitlergruß.Mehr Angst als um mich habe ich, wenn ich sehe, wie sich Rechte und Menschen aus der bürgerlichen Mitte verbünden. Wenn ich davon lese, wie gegen Asylbewerber demonstriert wird. Da ist für mich nicht mehr der einzelne Nazi das Problem, sondern Teile der Gesellschaft. Dagegen kann man sich mit Pfefferspray nicht wehren.

Felix Dachsel, 27, studiert am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Der Mut, den Konstantin aufbringt, hat ihn nachhaltig beeindruckt.

Fotos: Hermann Bredehorst, Thomas Meyer/Ostkreuz