Knapp 60 Länder hat Werner Wallert schon bereist, ausgeraubt wurde er noch nie. Dafür saß der ehemalige Geografielehrer aus Göttingen 127 Tage in Geiselhaft. Zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn wurde er von islamistischen Terroristen aus einem malaysischen Tauchresort verschleppt.

fluter.de: Anfang 2000 machten Sie Ihren Osterurlaub in einem Tauchresort auf der malaysischen Insel Sipadan. Damals gab es keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes.

Werner Wallert: … und das, obwohl der Bundesnachrichtendienst (BND), wie ich später erfuhr, bereits ein Dreivierteljahr vor unserer Geiselhaft wusste, dass Abu Sayyaf westliche Touristen entführen wollte. Dass die philippinischen Terroristen sich ihre Geiseln in Malaysia holen würden, wo auch viele Philippiner leben, damit hatten die vom BND schlichtweg nicht gerechnet.

Ab welchem Moment wurde Ihnen bewusst, dass Sie da wohl nicht mehr so schnell rauskommen würden?

Das Ganze hatte wirklich etwas Surreales. Da saßen wir im einen Moment abends noch mit einem Drink in der Hand, unterhielten uns, leise schlugen die Wellen an den Strand und über uns dieser atemberaubende Sternenhimmel. Im nächsten Moment saßen wir dann zusammengepfercht in einem kleinen Boot, die Waffen auf uns gerichtet. Ich dachte, dass wir ausgeraubt werden und dann zurückschwimmen müssen. Aber als ich den Leuchtturm nicht mehr sah, habe ich den Anführer gefragt, wie lang es denn noch dauert. Ich meinte damit die Überfahrt. Er aber sagte zu mir: drei Monate.

Wurden Sie von Ihrer Familie getrennt, nachdem Sie nach 20 Stunden Fahrt in Jolo ankamen?

Nein, wir waren bis zu dem Zeitpunkt, als meine Frau als erste Geisel entlassen wurde, immer zusammen. Eine emotional besonders schwierige Situation war aber, als ich nach 127 Tagen vor meinem Sohn freikam. Ich habe versucht, mich gegen ihn eintauschen zu lassen – zwecklos. Als Geisel ist man auf die Gnade von schwer bewaffneten Fanatikern angewiesen, da hat man nichts zu melden. Ich habe dann meinen Sohn gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn ich jetzt gehe, und er meinte: Ist okay, wir sind ja noch vier. Dramatisch war es aber dann kurz vor dem Ende, als der Anführer unseren Sohn als letzte Geisel im Dschungel behalten wollte. Wir fürchteten, wenn Marc jetzt nicht freikommt, stirbt er wahrscheinlich durch den Angriff des philippinischen Militärs.

Das philippinische Militär war gegen Lösegeldzahlungen und gegen Verhandlungen mit den Terroristen. Sie wollten die Geiseln mit Gewalt befreien.

Das Militär war sicher eine größere Bedrohung für unser Leben als die Entführer, denn für die waren wir ja wertvoll, quasi Bargeld auf zwei Beinen. Uns wurde später oft die Frage gestellt, ob man an irgendeinem Punkt seine Entführer mag. Man nennt das das Stockholm-Syndrom. Das ist natürlich völliger Quatsch. Aber wenn man von der philippinischen Armee angegriffen wird, ist man erst einmal auf der Seite der Beschossenen.

Marion Bacher volontiert bei der bpb im Fachbereich Multimedia

Fotos: Reuters