Auf Immobilienseiten surfen, anrufen, Nachrichten schreiben, Absagen abholen. Schon seit einem Dreivierteljahr ist Tamer auf Wohnungssuche. Er ist 28, lebt in Bonn und hat eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre. Jeden Tag geht er zum Deutschkurs, um möglichst bald einen Job zu finden. Momentan aber will er vor allem eins: raus aus dem kleinen Zimmer im Heim, das er sich mit vier anderen Männern teilt. „Ich kann das nicht mehr lange“, sagt Tamer, „meine Verlobte will auch kommen. So können wir dann nicht leben.“ Doch in Bonn ist die Konkurrenz groß, und bei einem syrischen Arbeitslosen sind viele Vermieter skeptisch – obwohl die Miete vom Jobcenter bezahlt würde.

Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln werden bis 2020 je nach Szenario jedes Jahr etwa 110.000 neue Wohnungen aufgrund der jüngsten Zuwanderungen benötigt. Besonders in den Ballungsräumen ist der Druck groß. Theoretisch werden Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Es geht nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft, der Wohnungsmarkt ist egal. Daher kann es passieren, dass besonders viele Flüchtlinge dort landen, wo der Wohnraum eh schon knapp ist.

Asylbewerber und Geduldete können bis zu sechs Monate lang verpflichtet werden, in der Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen. Aufgrund der sogenannten Residenzpflicht dürfen sie grundsätzlich drei Monate lang ihren zugewiesenen Wohnsitz nicht verlassen. Danach legen Landesregelungen fest, wo sie sich bewegen und wohnen dürfen. Wer aber erst mal Asyl erhalten hat, kann deutschlandweit umziehen. Die Große Koalition erwägt nun aber eine Wohnsitzauflage, um auch sie eine Zeit lang an einen bestimmten Ort zu binden. Denn: Die meisten zieht es dann in große Städte, die für Toleranz und Offenheit stehen und oft schon ethnische Communitys haben. So leben viele Flüchtlinge aus Eritrea in Frankfurt am Main, Syrer in Berlin, Iraker in Köln oder Bielefeld. Alles Städte, in denen Studenten und Menschen mit wenig Geld um günstige Wohnungen konkurrieren. Flüchtlinge gehen da oft unter, und wer überhaupt fündig wird, muss sich oft mit der letzten Absteige abfinden.

Dabei sind woanders Wohnungen frei, aber eben nicht in den attraktiven Gegenden: Laut dem Berliner Empirica-Institut gibt es rund 1,7 Millionen leer stehende Wohnungen überwiegend außerhalb der Ballungsgebiete, Zehntausende allein in Sachsen. In Brandenburg oder Sachsen-Anhalt beziffern einige Städte und Wohnungsbaugesellschaften den Leerstand auf mehr als zehn Prozent. Auch in manchen Städten in NRW gibt es unvermietete Wohnungen. „Wenn sich die neuen Flüchtlinge so verteilen würden wie die bisherigen Immigranten, könnten immerhin 43 Prozent von ihnen in leer stehenden Wohnungen leben“, sagt Harald Simons von Empirica. Das hieße demzufolge auch: Wenn sie gezielter als bisherige Zuwanderer aufs Land und in die unbeliebten Städte gingen, könnten es sogar noch mehr sein.

Manche Kommune würde sich über den Zuzug freuen – Gemeinden wie Goslar zum Beispiel. Zum ersten Mal seit 1996 ist die Stadt im vergangenen Jahr wieder mal gewachsen – auch durch die Flüchtlinge. „Es gibt einen Wettbewerb um integra-tionswillige Flüchtlinge. Als tendenziell kleiner werdende Stadt müssen wir doch ein ganz egoistisches Interesse daran haben, diese Leute hier zu halten“, sagt Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk. Nur wenn eine Kleinstadt zügig echte Anreize biete, einen Job, eine Wohnung, Anschluss, würden die Ballungsräume ihre Anziehungskraft verlieren. 

Arbeitsmarktexperten vom Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit oder von Pro Asyl sind skeptisch, ob es auf dem Land genügend Arbeitsplätze gibt, um für Neubürger auf Dauer attraktiv zu sein. Das Empirica-Institut widerspricht. „Der ländliche Raum hat einen großen Arbeitskräftemangel“, heißt es dort. In einem Papier verweist das Institut auf viele offene Stellen, zum Beispiel in Thüringen.

In brandenburgischen Städten wie Cottbus, Frankfurt (Oder) oder Eisenhüttenstadt könnten rund 4.000 Wohnungen vor allem in leer stehenden Plattenbauten bewohnbar gemacht werden. Andere setzen auf Neubau-Komplexe. Jürgen Friedrichs, emeritierter Stadtsoziologe aus Köln, hält solche Großprojekte für problematisch. „Wir bauen Siedlungen, die zwar Probleme der Unterkunft lösen, aber neue Konflikte rund um die Integration aufwerfen.“ Er spricht sich dafür aus, keine neuen Großsiedlungen zu schaffen, sondern kleinere Gruppen von Flüchtlingen über die Städte zu verteilen – am besten nicht dort, wo andere arme Menschen wohnen, sondern in wohlhabenderen Stadtteilen. „Wir wissen, dass die Vorurteile gegenüber Migranten umso größer sind, je geringer die Schulbildung ist.“