Drei Männer restaurieren ein historisches Steingebäude: links arbeitet einer auf einem Gerüst an filigranen Steinornamenten, rechts stehen zwei in einem staubigen Raum und flexen Stein

Eine Stadt beginnt zu heilen

Vieles in Syrien liegt derzeit in Trümmern. Auch wichtige historische Bauten wie das Bayt Wakil in Aleppo wurden im Bürgerkrieg beschädigt. Zwei junge Architektinnen kämpfen dafür, dem Palast zu seinem alten Glanz zu verhelfen

Text: Anna-Theresa Bachmann und Fotos: Chiara Wettmann
20. Oktober 2025

Hammerschläge und das Kreischen von Winkelschleifern hallen durch eine schmale Gasse in der Altstadt von Aleppo. Hinter den hellen Kalksteinmauern hat der Wiederaufbau begonnen. „Dieser Ort ist eng mit der Erinnerung an das alte Aleppo verknüpft“, sagt die 35-jährige Bau- und Trainingsleiterin Sozdar Abdo, eine Kurdin aus Aleppo. Zusammen mit ihrer Kollegin, der sudanesisch-syrischen Architektin Rama Omar, koordiniert sie die Restauration des Bayt Wakil.

Ein christlicher Kaufmann ließ das Gebäude im 17. Jahrhundert im damals typischen Stil errichten: mit einem kühlen, mit Ornamenten geschmückten Innenhof, in dessen Mitte ein Brunnen thront. Im Bayt Wakil konnte man einst das berühmte „Aleppo-Zimmer“ bestaunen, eine bemalte Holzvertäfelung, die das Empfangszimmer schmückte. Die interreligiösen, mystischen und literarischen Motive erzählen vom vielfältigen Zusammenleben in der Stadt. 

Das Prunkstück zeugt vom einstigen Reichtum der Handelsmetropole an der Seidenstraße, einem Netz von Handelswegen, das von der Antike bis ins Mittelalter Ostasien mit Europa und Nordafrika verband. Anfang des 20. Jahrhunderts kaufte ein deutscher Kunsthistoriker die Vertäfelung für ein Berliner Museum an, heute ist sie das Herzstück des im Pergamonmuseum beheimateten Museums für Islamische Kunst.

Ein Mann mit Schutzmaske und Handschuhen vor einer Fassade mit ausgebrochenen Fenstern und Steintrümmern

Neustart in der Altstadt: Der Wiederaufbau schließt die steinernen Wunden, die der Bürgerkrieg in Aleppo hinterlassen hat

So entging das Kunstwerk dem Bürgerkrieg, der selbst vor Syriens Kulturschätzen nicht Halt machte. Zahlreiche Gegenstände wurden geplündert und von bewaffneten Gruppen ins Ausland geschmuggelt. Die Kämpfe verschonten auch die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende Altstadt Aleppos nicht. Rund 30 Prozent der Gebäude wurden zerstört, 60 Prozent beschädigt. Darunter das Bayt Wakil, das bis zum Kriegsausbruch 2011 als Hotel und Restaurant genutzt wurde. 2023 erschütterte zusätzlich ein schweres Erdbeben Nordsyrien. Viele der filigranen Steinornamente des Hauses wurden zertrümmert, die Kuppel im Empfangszimmer stürzte ein. Nun soll das Bayt Wakil im vom Assad-Regime befreiten Syrien zu seinem alten Glanz zurückkehren.

Die historische Verbindung zu Berlin spielt dabei eine wichtige Rolle: 2013 starteten das Museum für Islamische Kunst und das Deutsche Archäologische Institut das „Syrian Heritage Archive Project“. In den Folgejahren trugen deutsche und syrische Forschende mehr als 300.000 Fotografien, Karten und Baupläne syrischer Kulturgüter in einer Datenbank zusammen. Als digitales Zeugnis und in der Hoffnung, irgendwann dem Wiederaufbau Syriens nützlich zu sein. Allein vom Bayt Wakil, sagt die 30-jährige Architektin Omar, seien 2.500 Bilder aus verschiedenen Epochen überliefert: „Die Fotos haben uns dabei geholfen, zerbrochene Ornamente wieder zusammenzupuzzeln.“

Die beiden führen in eines der Zimmer, zur Quelle des Baulärms, wo eine Handvoll junger Steinmetze in einer Wolke aus Staub an neuen floralen und grafischen Ornamenten arbeitet. Die Restaurierung ist mit einem Workshop-Programm verknüpft, denn viele Handwerker sind während des Krieges aus Aleppo und Syrien geflohen. Mit ihnen ging auch wertvolles Wissen über traditionelle Techniken verloren – Wissen, das hier nun vor dem endgültigen Vergessen bewahrt werden soll.

Sozdar Abdo und Rama Omar

Die Architektinnen Sozdar Abdo (links) und Rama Omar koordinieren den Wiederaufbau

Anas Sheikh Al-Ashra ist einer der Workshop-Teilnehmer. Er zeigt auf eines der verschnörkelten Ornamente an der Wand, das er nachgemeißelt hat. „Das zu sehen, macht mich stolz“, sagt er: „Meine Arbeit ist jetzt Teil dieses historischen Ortes.“ Bald sollen im Bayt Wakil auch Maurer und Tischler ausgebildet werden, deren Fertigkeiten dringend gebraucht werden.

Nach fast 14 Jahren Krieg steht Syrien nun vor einer neuen Herausforderung, die Übergangspräsident Ahmad al-Sharaa im Mai bei einer Rede in der Zitadelle von Aleppo als „Schlacht um den Wiederaufbau“ bezeichnete. Dieser Prozess dürfte Jahrzehnte dauern. Schätzungen zufolge liegen die Kosten zwischen 250 und 400 Milliarden US-Dollar– eine Summe, die Syrien allein nicht aufbringen kann.

Internationale Hilfe blieb lange aus. Wegen der Sanktionen der EU und der USA gegen das Assad-Regime und weil viele Staaten befürchteten, dass die Diktatur durch den Wiederaufbau gestärkt würde – schließlich war sie eng mit der Wirtschaft verwoben. Seit dem Sturz des Regimes im Dezember 2024 wurden viele Sanktionen aufgehoben. Doch die instabile Sicherheitslage bremst Investitionen. Auch Einsparungen im globalen Entwicklungssektor drosseln den Wiederaufbau.

Mehrere kunstvoll gemeißelte Steinplatten mit geometrischen Mustern lehnen an einer Steinwand in einer Werkstatt oder Baustelle

Lego für Profis: Diese Ornamente müssen noch an die richtigen Stellen gesetzt werden

Die Arbeiten im Bayt Wakil begannen bereits kurz vor dem Ende der Assad-Diktatur. Da das Gebäude im Besitz der griechisch-orthodoxen Kirche ist, betont Omar, seien keine Mittel an das frühere Regime geflossen. Die Kirche soll später entscheiden, wie das restaurierte Haus genutzt wird. „Wir wünschen uns, dass das Bayt Wakil wieder zu einem Ort wird, an dem die verschiedenen Communitys der Stadt zusammenkommen können“, sagt Omar. Ein erstes derartiges Event gab es bereits: ein Filmabend unter der rekonstruierten Kuppel im Empfangszimmer – jenem Raum, aus dem einst die berühmte Vertäfelung stammte.

Ob das „Aleppo-Zimmer“ eines Tages von Berlin nach Aleppo zurückkehrt, ist ungewiss. Für Abdo ist das zweitrangig: „Es ist dort gut aufgehoben. In Syrien ist es noch zu unsicher“, sagt sie. Vielleicht wird die Holzvertäfelung künftig als Hologramm ins Bayt Wakil projiziert, schlägt ihre Kollegin Omar vor – ins originale Gebäude, das langsam zu neuem Leben erwacht.

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