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Warum Deutschrap in der Türkei so erfolgreich ist

Ein Shoutout an die Gastarbeiter – und Kunstfreiheit aus Rüsselsheim

  • Zwei Mero-Tracks

Summer Cems „Tamam Tamam“ kommt bei YouTube auf stolze 226 Millionen Klicks. Woher die kommen, ist nicht schwer auszumachen. „Türkler neredesiniz be ya?“, fragt jemand unter dem Video. „Türken, wo seid ihr?“ Der Kommentar hat 2.800 Likes.

Diplomatisch kriselt es zwischen der Türkei und Deutschland seit Jahren – in der Rap-Welt kennt die Zuneigung kaum Grenzen. Mero und Eno, Symbolfiguren des neuen Deutschrap, touren durch die Türkei. Ezhel, der populärste Rapper der Türkei, nahm mit dem Berliner Ufo361 ein erfolgreiches Kollabo-Album auf.

Jedem Rap-Fan in Deutschland ist klar, was gemeint ist, wenn Rapper sich damit brüsten, Ot (Türkisch für Gras) zu ticken. Sie feiern den orientalischen Klang der Saz (türkisches Zupfinstrument). Und viele kennen das Gefühl, zwischen zwei Kulturen aufgewachsen zu sein. „Für Deutsche sind wir Türken. Für Türken sind wir Deutsche“, rappte Eko Fresh. Eine Ablehnung, die viele Hörer bis heute fühlen, 60 Jahre nach der Ankunft der ersten türkischen Gastarbeiter.

EKO FRESH HALT DIE FRESSE 04 NR. 157 (OFFICIAL HD VERSION AGGROTV)

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„Für Deutsche sind wir Türken. Für Türken sind wir Deutsche": Eko Fresh ist für viele Deutschtürken zweiter Generation eine Ikone

Deutschrap war ohne türkische Einflüsse ohnehin nie vorstellbar. Aber wie ist es andersherum? Woher kommt die Begeisterung vieler Türken für Deutschrap?

Enes Meral ist 19 Jahre alt, Sohn türkischer Eltern und kommt aus Rüsselsheim. Für die meisten ist Enes Meral einfach nur Mero. Seit im vergangenen Jahr sein Debütalbum „Ya Hero Ya Mero“ erschien, hat er geschafft, worauf die meisten Rapper ihre gesamte Karriere warten. Eines seiner Musikvideos wurde an einem Tag mehr als vier Millionen Mal geklickt, fünf seiner Singles landeten auf Platz eins der Charts. Als Mero anfing, auf Türkisch zu singen, erreichte der Hype auch die Türkei: Vier Wochen stand „Olabilir“ im Sommer 2019 an der Spitze der türkischen Spotify-Charts. Im Song rappt Mero Doubletime über das Leben im Ghetto. In der Hook besingt er mit wachsweicher Stimme, wie unvorhersehbar das Leben ist. Wahrscheinlich ist er das beste Beispiel dafür.

„Deutsche Rapper können auftreten wie sie wollen“

Für Meros Kritiker sind die Reime zu simpel, der Flow zu holprig. Den erfolgversprechenden Spagat zwischen Schnulze und Straßenrap finden sie misslungen. Melike sieht das anders. Sie ist wie Mero 19 Jahre alt, kommt aus der westtürkischen Stadt Bursa und führt auf Instagram einen Account für türkische Mero-Fans. Melike sagt, das Beste an ihm sei seine Stimme. „Obwohl Mero nicht bei dir ist, fühlst du dich ihm nah.“

Türkisches Song-Vokabelheft

Summer Cem – tamam tamam: Alles klar (wörtlich: okay okay)

Eno – Bana ne?: Was interessiert mich das?

Ezhel und Ufo361 – Wir sind Kral: Wir sind König

Mero – Olabilir: Alles ist möglich (wörtlich: Es kann sein)

KC Rebell feat. Summer Cem – Hayvan: Tier 

Alpa Gun feat. Sido – Sor bir bana: Frag mich

Killa Hakan ft. Eko Fresh & Ayaz Kapli – Her Şey yolunda: Alles im Lot

Brado feat Mero – Kafa leyla: Der Kopf ist betrunken (oder bekifft)

Fuat – Hassickdir: Fick dich

Deutsch kann Melike nicht. Ab und zu schnappt sie türkischen Slang wie „Kafa leyla“ auf. Wenn sie wissen möchte, worüber Mero genau rappt, wie seine Beziehungen zu anderen Rappern sind, fragt sie ihren Cousin aus Hamburg. Der zeigte ihr auch die ersten Songs von Mero.

Melike feiert Mero nicht aus Stolz auf einen türkischstämmigen Rapper, der es in Deutschland geschafft hat. „Deutsche Rapper“, sagt Melike, „können auftreten, wie sie wollen.“ Sie seien freier in ihrer Art zu rappen, erzählen offen von ihrem Lebensstil, von Frauen, Drogen, Alkohol. Von dieser Freiheit können die Rapper in der Türkei nur träumen. „Ezhel ist wegen seines Rap im Knast gelandet“, erzählt Melike.

Ezhel ist riesig in der Türkei. 2019 zählte ihn die „New York Times“ zu den 15 wichtigsten Popmusikern Europas. Zeitgleich saß Ezhel in Istanbul in Haft. Die Justiz warf ihm vor, seine Zuhörer zum Kiffen angestiftet zu haben. Das kann in der Türkei mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden, Ezhel kam nach einem Monat raus. Vermutlich auch wegen des öffentlichen Drucks, der Hashtag #FreeEzhel trendete auf Twitter.

Heute pendelt der Rapper zwischen seiner Heimatstadt Ankara und Berlin. Für Ezhel ist Kreuzberg die Wiege des türkischen Rap: In den 1980er-Jahren entstanden dort erste türkischsprachige Rap-Crews wie Cartel und $lamic Force. Berliner Untergrundrap war nicht nur für Ezhel prägend. Er schaffte es von Kreuzberg bis in und durch die Türkei.

Dort, im zentralanatolischen Eskişehir, wuchs Muhsin auf. An seine erste Deutschrap-Erfahrung erinnert er sich genau. Muhsin war elf Jahre alt, als der Neffe seines Nachbarn das Tape „Hassickdir“ von Fuat mit in den Türkei-Urlaub brachte.

„Deutschland war für mich Helmut Kohl, Mercedes-Benz und Nazis in Solingen“

Auf dem Tape lässt Fuat seinen Gewaltfantasien freien Lauf. Er jagt MCs mit Harpunen und fantasiert, sich aus der Rückenhaut „deiner Mutter“ einen Gürtel herauszureißen. Provokationen, die so umstritten sind wie kalkuliert: Die winzige Rap-Szene der 90er-Jahre buhlte um Aufmerksamkeit.

Als Kind ist Muhsin geschockt. Beleidigungen wie die von Fuat hatte er vorher noch nicht gehört. „Bis dahin war Deutschland Helmut Kohl, Mercedes-Benz und Nazis in Solingen“, sagt er. Nun ist er angefixt vom düsteren Sound und den aggressiven Texten, mit Rap fängt Muhsin an, Deutsch zu lernen. Die Türkei verlässt er das erste Mal, als er ein Stipendium bekommt und nach Deutschland ziehen kann.

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Muhsin und Fuat

Muhsin mit Fuat (rechts), dessen Tapes ihm Rap und Deutsch beibrachten (Foto: privat)

Mittlerweile ist Muhsin 30 und lebt wieder in Istanbul. Er fremdelt mit der aktuellen Entwicklung im Deutschrap. Die Hits von Mero und Summer Cem findet er „zu poppig und austauschbar“. Hinter den Songs stecke mehr Marketing als Musik. „Für die Menschen hier in der Türkei ist es einfach interessant, wenn jemand türkischen Slang benutzt und damit im Ausland Erfolg hat.“ Fuat ist eine Ausnahme geblieben: Im vergangenen Sommer setzten er und andere Rapgrößen die türkische Regierung unter Druck. Der Hashtag #Susamam trendete weltweit.

Rap klinge mittlerweile eh überall gleich, sagt Muhsin. Auf dem Siegeszug durch den Mainstream habe er alle Ecken und Kanten verloren, und meist auch seine Botschaft. Muhsin sagt das nicht nur als Hörer, er rappt selbst unter dem Künstlernamen Necip Mahfuz. „Durch Rap kann ich mich am besten ausdrücken“, sagt er.

Tatsächlich scheint die große Zeit der Geschichtenerzähler vorbei zu sein. Zeitgenössischer Rap lebt vom Vibe, also von der Atmosphäre. Gut funktionieren: seichte Melodien und Assoziationsketten über die Vorzüge des Rapperlebens. Weniger angesagt: Erzählungen, die den Hörern länger Aufmerksamkeit abverlangen.

Wenn es tatsächlich um die Qualität der Musik gehen würde, müsste Kool Savas in der Türkei erfolgreich sein, sagt Muhsin. „Aber Savas betont nicht ständig seinen türkischen Migrationshintergrund.“ Er baue nicht zwanghaft türkische Redewendungen in seine Songs ein.

Ist Kool Savas damit die Ausnahme im neuen Rap-Game? Das, in dem es am Ende doch nur um Para geht, also um Geld, um Millionen Hörer, doppelt so viele Klicks und Streams, um Absatzmärkte? Zwischen der Türkei und Deutschland gelte das nicht, sagt Muhsin. „Wir haben schon immer eine besondere Verbindung.“ Er erinnert an das Bündnis von Kaiser und Sultan im Ersten Weltkrieg, an die Integration der Gastarbeiter aus Anatolien. Rap aus Rüsselsheim erwähnt Muhsin nicht. Aber irgendwie gehört der ja jetzt auch dazu.

Das Titelbild von Gina Wetzler/Redferns zeigt ein Konzert von Mero.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.