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Gibt es eine „Generation Corona“?

Während der Krise den Abschluss machen, in den Beruf starten, mit Zukunftsangst leben: Wie hart trifft die Pandemie die junge Generation?

Generation Corona

Als Julian Bott im Juni dieses Jahres ins Büro seines Chefs gerufen wird, steht er kurz vor seinen schriftlichen Prüfungen zum Zerspanungsmechaniker. Eigentlich hatte der 22-Jährige schon die Zusage, nach dem Abschluss von seinem Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden. Doch als er seinem Vorgesetzten an diesem Tag gegenübersitzt, teilt der ihm mit, dass es damit nun doch nichts werde: Zu schlechte Auftragslage wegen der Corona-Krise. „Das war ein Schock. Ich war erst mal ziemlich fertig“, sagt Julian heute. 

Die Corona-Pandemie hat unser Leben verändert. Den Alltag und die Freizeit, mit Maskenpflicht, Abstandsregeln und eingeschränkter Reisefreiheit. Aber auch das Arbeitsleben – während es für die einen mehr oder weniger normal weiterging, ringen andere seit Monaten mit Homeoffice, Kurzarbeit oder sogar Jobverlust. Vor allem junge Menschen sind von Arbeitslosigkeit durch die Krise betroffen: Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) berichtete im Mai, dass weltweit 17 Prozent der 18- bis 29-Jährigen durch die Pandemie ihre Arbeit verloren haben. In Deutschland betrug zum Beispiel die relative Zunahme der Arbeitslosigkeit durch die Pandemie im Juni 2020 bei den 15- bis unter 25-Jährigen 40 Prozent. Bei den 25- bis unter 55-Jährigen waren es noch 31 Prozent, bei Menschen über 55 nur 20 Prozent. 

Wird die junge Generation die Schulden der Krise tragen müssen?

Neben den harten Zahlen gibt es ein großes, eher abstraktes Unsicherheitsgefühl: Wie wird sich die Pandemie entwickeln? Was werden die langfristigen Folgen sein? Wird die heute junge Generation in Zukunft die Schulden der Krise tragen müssen, sowohl die finanziellen als auch die gesellschaftlichen? Gibt es eine „Generation Corona“?

Seit Juli steigen die coronabedingten Entlassungen in Deutschland nicht mehr – das ist erst mal eine gute Nachricht und wird teilweise als positiver Effekt der Kurzarbeit interpretiert. Aber Entwarnung könne man noch nicht geben, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): „Vor allem nicht, weil wir im Moment niedrige Einstellungszahlen haben.“

Das ist nicht nur für Arbeitslose ein Problem, sondern auch für rund eine halbe Million Studierende und 400.000 Auszubildende, die – so wie Julian Bott – 2020 ihren Abschluss machen oder gemacht haben und auf den Arbeitsmarkt drängen. „Denen bringt die Kurzarbeit nichts, denn sie haben ja noch keine Jobs, die sie halten müssen“, sagt Weber.

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Julian Bott (Foto: Stephanie Möloth)

„Das war ein Schock“: Julian Bott sollte nach der Ausbildung übernommen werden, aber dann kam die Pandemie

(Foto: Stephanie Möloth)

Wenn die Einstellungszahlen nicht bald wieder steigen, kann das „scarring effects“ haben, also Narben hinterlassen. Im Jahr 2006 hat eine US-Studie ergeben, dass junge Menschen, die in einer Rezession, das heißt bei einem rückläufigen Wirtschaftswachstum, ins Berufsleben starten, nicht nur in den Anfangsjahren, sondern auch Jahre später im Schnitt weniger verdienten als andere Berufsanfänger*innen. Sie arbeiteten auch häufiger in Jobs, die nicht zu ihrer Ausbildung passten. Außerdem besteht bei Arbeitslosigkeit die Gefahr, dass sie sich „verfestigt“: Je länger jemand arbeitslos ist, desto größer das Risiko, dass er oder sie mit der Zeit an Motivation und an Qualifikation verliert. Um eine „Generation Corona“ zu verhindern, fordert Enzo Weber vom IAB darum, dass die Regierung nun gezielt Neueinstellungen fördert.

Natürlich kostet eine solche Förderung Geld – und die Bundesregierung plant in diesem Jahr ohnehin bereits, Rekordschulden von rund 218 Milliarden Euro aufzunehmen, um die Auswirkungen der Corona-Krise zu bekämpfen. Das geht auch zulasten der nächsten Arbeitnehmer*innen-Generation. Wirtschaftswissenschaftler*innen sagen allerdings auch, dass eine lang anhaltende Rezession langfristig noch mehr Kosten verursachen würde – Stichwort „scarring effect“. Dass es also besser sei, früh gegenzusteuern, weil dadurch auch die profitierten, die die Schulden später mit abbezahlen müssten. Wobei diese Strategie nur aufgehen dürfte, wenn auch in anderen Ländern die Wirtschaft wieder wächst – Deutschland ist schließlich eine Exportnation. 

Junge Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss trifft die Corona-Krise besonders

Aber wie sieht es abseits von konkreten Arbeitsmarkt- und Schuldenstandszahlen aus? Lässt sich eine allgemeine Aussage darüber treffen, wie die Corona-Pandemie die junge Generation trifft? Während der Schul- und Unischließungen wurde bereits vielfach diskutiert, dass die Bildung in der Krise zuerst „geopfert“ worden sei. Vor allem die Sorge, dass dabei junge Menschen aus sozial benachteiligten Haushalten abgehängt werden könnten, war groß. 

Den langfristigen Effekt dieser Maßnahmen kann man heute noch nicht genau absehen. Was man allerdings jetzt schon weiß: Junge Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss waren auch stärker von finanziellen Einbußen betroffen als höher Qualifizierte. Weil sie häufiger in Jobs arbeiten, die sich nicht aus dem Homeoffice erledigen lassen. Oder weil sie besonders stark unter den coronabedingten Einschränkungen gelitten haben, zum Beispiel als Mitarbeiter*innen im Einzelhandel, produzierenden Gewerbe oder der Gastronomie. „Das betrifft auch in besonderer Weise Menschen mit Migrationshintergrund, weil diese Gruppe seltener einen akademischen Abschluss hat als ihre Altersgenossen“, sagt Jörg Dollmann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. 

„Es wäre schön, wenn schulische Leistung nicht über Gesundheit gestellt würde“

Dollmann, seine Kollegin Irena Kogan und das Team um das CILS4EU-Projekt haben zu Beginn der deutschlandweiten Ausgangsbeschränkungen eine „Corona-Befragung“ mit etwa 3.500 Teilnehmer*innen zwischen 24 und 26 Jahren gemacht, etwa zur Hälfte mit und ohne Migrationsgeschichte. Dabei interessierten sich die beiden nicht nur für die ökonomische Situation der Befragten, sondern auch für ihre Stimmung und ihr Wohlergehen. Das Ergebnis: Viele von ihnen – unabhängig davon, ob mit oder ohne Migrationsgeschichte – machten sich zwar Sorgen um die Gesundheit der Familie, aber weniger um die eigene. Vermutlich, weil junge Menschen seltener als ältere schwere Covid-19-Verläufe haben.

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Nora Teuma (Foto: Kübra Sariyar)

Will mitreden: Nora Teuma setzt sich bei der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen für die Belange junger Menschen ein

(Foto: Kübra Sariyar)

Aber auch das kann man nicht verallgemeinern. Für Stella zum Beispiel ist die Lage anders. Die 20-Jährige aus dem Vogtland, die nicht mit vollem Namen genannt werden möchte, macht aktuell eine duale Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau und leidet an Morbus Basedow, einer Autoimmunerkrankung. Damit gehört sie nach aktuellen Erkenntnissen zwar nicht zur Risikogruppe. Aber die Auswirkungen und vor allem die Langzeitfolgen des Virus sind noch nicht vollständig erforscht, und das macht vielen Menschen mit Vor- und chronischen Erkrankungen natürlich Sorgen.

In ihrem Ausbildungsbetrieb fühlt Stella sich wohl, in der Berufsschule weniger. „Wir haben einen Hygieneplan, aber schon vor der Schultür hält sich keiner mehr daran“, erzählt sie. Außerdem ärgere es sie, dass die Schule schlecht auf potenzielle Krankheitsfälle vorbereitet sei. Kürzlich wurde ein Mitschüler vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt, weil er Kontakt zu einer infizierten Person gehabt hatte. „Keiner hatte einen Plan, was das für alle anderen bedeutet. Auch die Lehrerinnen nicht“, sagt Stella. Sie wünscht sich zwar keine Sonderbehandlung wegen ihrer Erkrankung. „Aber es wäre einfach schön, wenn bei den Prüfungen bedacht würde, dass der Unterricht im vergangenen Halbjahr nicht normal abgelaufen ist. Wenn Leistung nicht über Gesundheit gestellt würde.“

 „Wir haben zu wenig Mitspracherecht in der Politik“

Stellas Beispiel zeigt noch einmal deutlich, dass es „die“ Generation Corona nicht geben kann. Weil jede*r mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen in diese Krise geraten ist. Nora Teuma, 22, Studentin und Jugendbeobachterin der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN), fände es trotzdem gut, wenn junge Menschen stärker in Entscheidungsprozesse einbezogen würden. „Wir, die wir in der Ausbildung stecken, gerade unsere Zukunft gestalten und Fuß fassen müssen, haben zu wenig Mitspracherecht in der Politik“, sagt sie. „Das war auch vor Corona schon ein Problem, aber jetzt wurde es noch mal offensichtlicher: Aktuell werden Entscheidungen getroffen, wie wir in Zukunft arbeiten oder wie unser Gesundheitssystem aussehen soll. Entscheidungen, die unser weiteres Leben maßgebend beeinflussen werden. Und trotzdem wird sehr wenig auf unsere Erfahrungen und Meinungen gehört.“ Zumindest sollte Franziska Giffey, die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, auch im Kleinen Corona-Krisenkabinett – dem Gremium, das die Lage bewerten und Handlungsstränge identifizieren soll – dabei sein, findet Nora. Und auch Jugendverbände könnten stärker in Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Klar ist: Das Erlebnis der Pandemie wird alle jungen Menschen auf die eine oder andere Weise prägen. So wie der 11. September 2001 oder die Finanzkrise 2009 einschneidende Ereignisse für die Generationen vor ihnen waren. Und für manche entsteht aus der Not heraus ja auch etwas Gutes: Julian Bott hat zwar nach seinem Abschluss keinen anderen Job gefunden – dafür aber eine neue Ausbildungsstelle. Nach zwei Praktika lässt er sich nun zum Anlagenmechaniker für Sanitär- und Heizungsbau ausbilden. Ein Beruf, den er schon länger im Hinterkopf hatte und der ihm bisher sehr gut gefällt. „Dass ich nicht übernommen wurde, versuche ich als neue Chance zu sehen“, sagt er. „Ich habe dadurch etwas angefangen, das besser zu mir passt.“

Titelbild: Gaetano Massa

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