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Na, wo kommt ihr her?

Unser Autor isst für sein Leben gern Lachs. Aber wie kommt der eigentlich auf seinen Teller? Die Frage hat ihm keine Ruhe gelassen

Für mich beginnt jeder Sonntag gleich: Ich gehe zum Kühlschrank, nehme die Packung mit dem Räucherlachs raus, dazu Meerrettich und packe alles zusammen aufs Brot. Das fettig glänzende rosafarbene Filet gehört für mich zum Sonntagsfrühstück wie Kaffee und gekochtes Ei.

Mit meiner Vorliebe für Lachs bin ich in Deutschland nicht allein. 13,5 Kilo Fisch aß jeder Deutsche 2017 – fast ein Sechstel dieser Menge entfällt auf Salmo salar, den Atlantischen Lachs. Eine stattliche Menge für einen Fisch, der mal als Delikatesse galt und zu teuer war, um ihn jeden Sonntag aufs Frühstücksbrot zu legen. Heute liegt er in jedem Supermarktregal.

Der Atlantische Lachs ist ein Star unter den Speisefischen: Der Deutsche Angelfischerverband hat den „anspruchsvollen Wanderfisch“ schon dreimal zum Fisch des Jahres erklärt, zuletzt 2019. Mit dem wanderlustigen Lachs aus den Flüssen – das ahne ich bereits – hat das, was auf meinem Brot liegt, wahrscheinlich nicht viel gemeinsam. Auf der Verpackung steht „aus Aquakultur“. Aber was heißt das eigentlich?

Das Leben meines Lieblingsfischs beginnt nicht in einem wilden Bergfluss, sondern in einem Tank

Ich gebe eine Nummer, die auf der Verpackung meines „Premium-Räucherlachses“ steht, auf der Website eines deutschen Discounters ein. Dort erfahre ich, dass dieser mein Filet von Hanseatic Delifood mit Sitz in Schenefeld bei Hamburg einkauft – der Importeur des fertig geräucherten Fischs. Unter „Aquakulturmethode“ steht, dass der Lachs in „Netzgehege und Käfiganlage“ mit dem „Intensitätsgrad intensiv“ gehalten wurde. Und ich finde heraus, dass die Heimat meines Fischs in der Provinz Nordland im Norden von Norwegen liegt.

Die Wanderung meines Frühstücksfischs beginnt dort oben nicht in einem Fluss, sondern in einem mit Süßwasser gefüllten Tank des Unternehmens Nordnorsk Stamfisk AS in der Kommune Steigen. Bis zu 7.000 nach speziellen genetischen Merkmalen ausgewählte „Elternlachse“ produzieren hier jährlich an die 200 Millionen orangefarbene, stecknadelkopfgroße Eier, die als „Rogen“ bezeichnet werden. Wenn im Rogen nach einigen Wochen kleine schwarze Punkte zu sehen sind, kommt der ungeschlüpfte Nachwuchs in eine Aufzuchtstation der Firma Nordlaks, die in der Nähe liegt. Am Boden mehrerer großer, mit kaltem Süßwasser gefüllter Tanks liegen dort nach dem Schlüpfen unzählige winzige Jungtiere, die sich innerhalb von 8 bis 14 Monaten zu Fischen entwickeln, die auch äußerlich als Lachse erkennbar sind.

Durch ein System von Rohren und Schläuchen werden die Lachse auf ein „Wellboat“ gepumpt, ein Spezialschiff für den Transport lebender Fische. Dieses fährt zu einer der 40 Aquakulturen, die Nordlaks in den Fjorden und vor der Atlantikküste Nordnorwegens betreibt, und pumpt die Fische dort ins salzige Meerwasser. Die Aquakulturen sind immer ähnlich aufgebaut: Runde oder rechteckige Netze sind von der Wasseroberfläche bis zum Meeresboden gespannt mit Durchmessern von bis zu 65 und einer Tiefe von bis zu 50 Metern. In diesen Käfigen schwimmen dann die Lachse – einige Zehntausend Fische pro Käfig. Weil die meisten Aquakulturen aus mehreren Käfigen bestehen, schwimmen häufig Hunderttausende Fische in einer einzigen Anlage.

Neun von zehn der Lachse in deutschen Supermärkten kommen aus Norwegen

Die Norweger sind in Deutschland klare Marktführer: Neun von zehn der Atlantischen Lachse in deutschen Supermärkten kommen aus dem Land, der überwiegende Teil davon aus den industriellen Zuchtfarmen in den Fjorden und vor der norwegischen Atlantikküste. Im Jahr 2018 schwammen in den norwegischen Aquakulturen insgesamt 402.759.000 Zuchtlachse und warteten auf ihre Verarbeitung zu Räucherfisch und Tiefkühlfilet. Im selben Jahr starben oder entkamen allerdings auch mehr als 50 Millionen Lachse, bevor die Fischproduzenten sie verarbeiten konnten.

Gefüttert werden die Fische in den Lachsfarmen mit kleinen Pellets, die meist ein über dem Käfig angebrachter drehbarer Arm ins Wasser streut – gesteuert von einer Kontrollstation, in der ein kleines Team alles per Video- und Datenverbindung überwacht.

Während wilde Lachse sich von Fischen und Krebstieren ernähren, enthalten die Pellets nur noch gut ein Fünftel Fischöl und Fischmehl. Zum größten Teil besteht das Futter aus pflanzlichem Proteinkonzentrat und Pflanzenölen – meist hergestellt aus brasilianischem Soja, dessen Anbau unter Verdacht steht, die Abholzung des Regenwaldes im Amazonas zu beschleunigen. Durch das vegetarische Futter nimmt der Anteil der als besonders gesund geltenden Omega-3-Fettsäuren im Zuchtlachs immer weiter ab. Um den Filets die schöne und verkaufsfördernde orangerosa Farbe zu geben, setzen die Produzenten des Futters das meist synthetisch erzeugte Pigment Astaxanthin zu; sonst wäre das Fleisch der Lachse grau. In freier Wildbahn entsteht die Farbe, weil die Lachse kleine Krebse fressen – und diese sich von bestimmten Algen ernähren, die natürlicherweise Astaxanthin bilden.

Und noch etwas anderes ist in den Pellets enthalten: Damit die Öle im Futter nicht ranzig werden und sich beim Transport nicht entzünden, setzen die Futtermittelproduzenten einen Stoff namens Ethoxyquin zu. Die Substanz war in den 1920er-Jahren entwickelt worden, um Reifen aus Naturkautschuk haltbarer zu machen. Ab den 1950ern vermarktete der heute zu Bayer gehörende US-Konzern Monsanto den Stoff dann als Pflanzenschutz. In der EU ist Ethoxyquin als Pestizid verboten, im Lachsfutter ist es als Zusatz nach wie vor erlaubt. Bei Lachsen reichert sich das Ethoxyquin vor allem im Fettgewebe an und ist auch im fertigen Produkt nachweisbar. Ist das nicht bedenklich?

Um die lästige Lachslaus zu bekämpfen, nutzen die Züchter Chemikalien

Ich frage beim Fischereiwissenschaftler Fabian Schäfer nach, der beim Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin arbeitet: „In Versuchen mit Säugetieren hat sich gezeigt, dass diese bei vergleichsweise hohen Dosen empfindlich auf Ethoxyquin im Futter reagieren. Aber eine abschließende Aussage zu treffen ist schwierig: Wir haben dazu einfach zu wenige Daten“, sagt Schäfer. Für Fleisch und Hundefutter gibt es in der EU Ethoxyquin-Grenzwerte, für Speisefisch nicht. Eine systematische Forschung zu dem Thema gibt es bisher kaum. Die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA will deshalb bis Ende März 2020 auch für Futtermittel die Zulassung von Ethoxyquin schrittweise aussetzen.

Der größte Feind der Aquakulturbetreiber allerdings ist ein wenige Millimeter großes, ziemlich hässliches Tier, das den Namen Lepeophtheirus salmonis trägt – die Lachslaus. Dieser maritime Parasit findet in Lachsfarmen paradiesische Bedingungen vor. Er verbreitet sich extrem schnell, ernährt sich von Blut und Schleimhäuten der Lachse und kann jüngere Exemplare auch töten.

Um die Plage einzudämmen, nutzen die Lachsfarmer – neben Putzerfischen wie Klippenbarschen – verschiedene Chemikalien, mit denen sie die Fische behandeln. Durch die Gifte sterben zwar die Läuse ab; sie können allerdings auch tödlich für Krill und andere Krebse in der Umgebung der Aquakulturen sein.

Dabei haben die Ökosysteme, die sich in direkter Nähe befinden, ohnehin schon mit den Ausscheidungen der Lachse und den Futterabfällen zu kämpfen. Diese werden durch Bakterien zersetzt, die dabei so viel Sauerstoff verbrauchen, dass dieser für andere Meeresbewohner nicht mehr zur Verfügung steht.

Ein weiteres Problem sei, dass immer wieder Lachse aus den Farmen entkämen, sagt Fabian Schäfer: „Die Zuchtfische unterscheiden sich manchmal massiv von ihren wilden Verwandten. Sie können beispielsweise auf die wilden Bestände Krankheiten übertragen.“

Gepumpt, betäubt, getötet, geräuchert, verpackt und exportiert: Alltag für einen Zuchtlachs

Antibiotika hingegen werden in norwegischen Aquakulturen heute kaum noch eingesetzt. Kamen 1987 auf eine Tonne Lachs durchschnittlich fünf Kilo Antibiotika, hat sich die Menge 2016 nach Schätzungen des Thünen-Instituts auf weniger als ein Gramm reduziert. Stattdessen werden die Lachse geimpft, wenn sie etwa handgroß sind; das macht die Medikamente überflüssig.

Inzwischen sind in der Aquakultur in Nordnorwegen etwas mehr als anderthalb Jahre vergangen. Der letzte Abschnitt seiner gänzlich industrialisierten Wanderung führt meinen Frühstücksfisch wieder durch die Schläuche und Rohre auf das Spezialschiff, das jetzt mit ihm zur Fischfabrik an die Küste fährt. Dort pumpt das Schiff Zigtausende Lachse in große Ruhebecken, in denen sie sich vor der Schlachtung von den Strapazen ihrer letzten Reise erholen sollen.

Nach einigen Tagen werden sie von dort in die Schlachtanlage gepumpt, mit Elektroschocks betäubt, mit einem Kiemenschnitt getötet und zu verschiedenen Produkten weiterverarbeitet. Von dort gehen die Fische, Filets und Steaks an die Kunden. In meinem Fall an eine Firma in Litauen, die den Fisch räuchert, verpackt und schließlich nach Deutschland exportiert.

Wie kann ich Lachs ersetzen?

Für Norwegen ist die Lachszucht der zweitwichtigste Wirtschaftszweig nach dem Erdölexport. Bis 2050 soll sich die Zucht der Fische verfünffachen. Norwegische Unternehmen sind auch in Chile vertreten und kümmern sich – anders als in der Heimat – oft nicht um Umwelt- und Arbeiterschutz.

Aquakulturen sind aber kein Phänomen, das sich auf Norwegen oder die Fischart Lachs beschränkt. Die Haltungsform ist längst weltweit verbreitet – die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass heute bereits knapp die Hälfte aller Speisefische aus Aquakulturen stammt.

Also künftig lieber keinen Fisch mehr auf dem Teller? Umweltschonendere Alternativen gibt es, zum Beispiel ökologische Aquafarmen, bei denen die Hälfte des Futters aus dem Meer kommt und unter anderem aus Krebsen und Algen besteht. Noch besser wären aber Aquakulturen an Land oder hermetisch abgeriegelt im Wasser. Sonst belasten Futterabfälle oder Ausscheidungen der Fische immer die umliegenden Ökosysteme. Vielleicht ist es aber auch Zeit, ein neues Ritual einzuführen und sonntags mal eine Forelle aus dem Fluss aufs Brot zu legen.

Titelbild: Doug Plummer / Getty Images

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