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Wenn in einem Stadtteil Mieter mit viel Geld Mieter mit wenig Geld ersetzen, hat das einen Namen: Gentrifizierung. Es ist ein Begriff, der in Städten wie Berlin, Hamburg oder München gerade sehr oft zu lesen ist – auf Fassaden, in Wahlprogrammen und Leitartikeln. Bekannt gemacht wurde das Wort dabei schon in den 1960er-Jahren von der britischen Soziologin Ruth Glass (gentry ist das englische Wort für den niederen Adel), die damit den Prozess der Verdrängung weniger gut Situierter in einem Stadtteil Londons benannte.

Wie kauft man ein Haus...

Während sich Experten nicht einig sind, wie das Phänomen Gentrifizierung zu bewerten ist, welche Rolle etwa Faktoren wie Landflucht (mehr Menschen ziehen in die Städte) oder die Finanzkrise (Immobilien werden als Anlage sehr attraktiv) dabei spielen, ist das Problem für die von der Verdrängung Betroffenen meist schmerzhaft konkret: Sie müssen ihr Zuhause verlassen.

Die Filmemacherin Anne Thiele hat für fluter.de in Berlin und Köln die Bewohner zweier Mietshäuser besucht, die an Privatinvestoren verkauft werden sollten. Was die Mieter in Köln noch zu erreichen versuchen und noch nicht genau wissen, wie, haben jene in Berlin bereits geschafft: Sie haben dem Investor das Haus „vor der Nase weggeschnappt“, wie sie es heute beschreiben. So einfach, wie es klingt, war das allerdings nicht. Das Haus kostete 2,6 Millionen Euro.

 

Um diese Summe aufzubringen, sammelten die Bewohner zuerst Geld durch Kleinkredite – Beträge von meist nur ein paar hundert Euro, die ihnen Freunde, Bekannte und Verwandte zur Verfügung stellten. Erst mit den gesammelten 400.000 Euro Eigenkapital konnten die Bewohner bei einer Bank einen Kredit für den Kauf des Hauses bekommen. Die Schulden zahlen sie nun durch die Mieten ab, die sie weiterhin entrichten. Denn: Die Wohnungen gingen mit dem Kauf nicht in den Besitz der jeweiligen Bewohner über, sondern gehören nun einer GmbH, die extra für diesen Zweck gegründet wurde und deren Gesellschafter – neben dem bundesweiten Mietshäuser Syndikat – die Mieter selbst sind. In fast allen Fragen, die das Haus betreffen, bestimmen die Bewohner selbstständig.

...ohne das nötige Kleingeld zu besitzen?

„Wir experimentieren noch, wie wir abstimmen. Unser Hausprojekt ist ja in vielen Dingen immer noch ein ‚work in progress’“, sagt die Bewohnerin Birgit Ziener. Fällten die Mieter anfangs Entscheidungen, indem sie in Abstimmungen ermittelten, was die meisten wollen (Mehrheitsprinzip), sind sie mittlerweile dazu übergegangen, Vorschläge auszudiskutieren (Konsensprinzip): Ist irgendjemand mit einer Entscheidung nicht zufrieden, kann er ein Veto einlegen. Dann wird so lange weiterdiskutiert, bis sich alle einig sind. Bis jetzt, sagt Ziener, habe das gut funktioniert. „Wenn mal etwas schnell beschlossen oder geregelt werden muss, wie zum Beispiel bei einem Wasserrohrbruch, haben wir Bereichsverantwortliche, die das dann übernehmen.“ Sie kennen sich in Bereichen wie Strom, Müll, Steuern oder Nebenkosten aus und sind für alle Bewohner ansprechbar. Würde jede noch so kleine Entscheidung gemeinsam getroffen, sagt Ziener, „die monatliche Hausversammlung würde nicht drei Stunden, sondern zwei Tage lang dauern.“

Bei grundlegenden Veränderungen wie zum Beispiel einem Verkauf des Hauses oder einer Umwandlung in Eigentumswohnungen muss das Mietshäuser Syndikat zustimmen. Dessen Statuten schließen aber aus, dass die Immobilie wieder in Privatbesitz kommt.

Foto: Hannes Jung / laif