Keine zwei Sekunden lang war das muslimische Model Mariah Idrissi 2015 in dem H&M-Spot „Close the Loop“ zu sehen. Zu kurz, um ihr Outfit – altrosa Mantel, runde Sonnenbrille, Nasenpiercing – wirklich auszumachen. Aber lang genug, um für Wirbel zu sorgen.

Es war das erste Mal, dass der schwedische Moderiese mit einem kopftuchtragenden Model warb. Das Video – das offiziell für Textilrecycling werben sollte – wurde millionenfach geklickt, gelobt, kritisiert und kommentiert: Wird damit die Unterdrückung der Frau beworben? Zeugt es von Toleranz, eine kopftuchtragende Muslima zu zeigen? Oder ist es nur ein kluger Schachzug, um noch mehr Views zu bekommen?

„How great that you're modelling with a hijab! What do think about ISIS?“ – Interviewfragen an Mariah Idrissi, dem muslimischen Model aus dem H&M-Spot „Close the Loop“, sind mal mehr, mal weniger reflektiert, wie Idrissi in diesem TED-Talk erzählt 

Sich bedeckt zu halten, kann für westliche Modefirmen durchaus von (finanziellem) Vorteil sein

Wie der Spot zu interpretieren ist, darüber ist sich die Modewelt bis heute nicht einig. Dass „Islamic Fashion“ im westlichen Modebusiness angekommen ist, daran gibt es aber keinen Zweifel mehr. Vergangenes Jahr erklärte das Wirtschaftsmagazin „Fortune“ muslimische Frauen als „nächsten großen unberührten Modemarkt“. Einer der Gründe dafür: Die muslimische Bevölkerung wächst weltweit rapide, so das Forschungsinstitut „Pew Research Center“.

Und auch die Liste der „Islamic Fashion“ produzierenden Marken wächst und wächst: Den Anfang machte 2014 das US-amerikanische Label DKNY mit einer Ramadan-Kollektion. Ein Jahr später folgte das Modehaus Tommy Hilfiger. Im Januar dieses Jahres brachte dann das italienische Luxuslabel Dolce & Gabbana eine entsprechende Kollektion heraus: weite Kleider, bodenlange Mäntel und farblich abgestimmte Kopftücher. Und auch vergleichsweise günstige Modeketten wie Zara, Mango, Uniqlo und H&M sind dabei.

Designern wird vorgeworfen, die Unterdrückung von muslimischen Frauen zu unterstützen...

Während manche diese Entwicklung als Zeichen von Fortschritt, Respekt und Akzeptanz feiern, bemängeln Kritiker, dass ein Kopftuch und andere Formen der Verschleierung keine Kleidungsstücke wie andere seien. Pierre Bergé etwa, Mitbegründer des Modehauses Yves Saint Laurent, erklärte im Frühjahr: „Ich dachte immer, dass ein Modeschöpfer dazu da sei, Frauen schöner zu machen, ihnen Freiheit zu geben, und nicht Komplize dieser Diktatur zu sein, die Frauen dazu zwingt, sich zu verstecken.“ 

Ähnlich wie bei der immer wiederkehrenden Grundsatzdebatte „Kopftuch: Ja oder nein?“ und dem aktuellen Streit um Burka- und Hijabverbote ist auch in der Diskussion um die „Islamic Fashion“-Industrie eines besonders augenscheinlich: Sie wird fast immer ohne jene Personen geführt, die sie am meisten betrifft – kopftuchtragende muslimische Frauen.

...auch, wenn die Zielgruppe von „Islamic Fashion“ das mitunter ganz anders sieht

Frauen wie Zeynep Mutlu, die sich über die neue Bewegung in der Modeindustrie freut. Die 32-jährige Hamburgerin betreibt zusammen mit einer Freundin den Mode- und Lifestyleblog „Makzey“. In mal kleineren, mal größeren Abständen zeigen die beiden darauf ihre Outfits, verraten, wie man grüne Bulgur-Dürüms macht und welche Gedanken sie sich um Fragen des täglichen Lebens machen. 

Die kritische Aussage Pierre Bergés kann Mutlu verstehen: „Das Bild der unterdrückten muslimischen Frau ist in den Medien einfach sehr präsent. Gut möglich, dass Bergé gar keine Kontakte wie mich hat, die ihm auch ein anderes Bild vermitteln könnten.“ Dass ein Designer sein Handwerk als Ausdruck von Freiheit sehe, fände sie ganz logisch. Nicht nachvollziehen könne sie dagegen, warum diese Freiheit nur in eine Richtung gedacht werde: „Es kann doch auch Freiheit bedeuten, Mode für jene anzubieten, die ein bisschen mehr auf Körperbedeckung achten wollen als andere. Ich verstehe diese Doppelmoral nicht.“ Wenn sich eine Frau zum Beispiel aus Karrieregründen dafür entscheide, bei der Arbeit keinen Minirock zu tragen, ginge das voll okay – „sie will eben nicht auf ihren Körper reduziert werden“. Wenn der Grund für einen die  Haut bedeckenden Kleidungsstil aber ihre Religion sei, würde sofort irgendwer mit der Unterdrückung der Frau ankommen, sagt Mutlu.

Blogs wie der von Zeynep Mutlu und ihrer Freundin sind im Netz längst keine Rarität mehr. Sogenannte Hijabistas – ein Wortkonstrukt aus „Fashionista“ und „Hijab“, dem arabischen Wort für „Schleier“ – posten auf Instagram täglich neue Outfits – mal bescheiden, mal gewagt und manchmal blingbling. Bloggerinnen wie Ascia Farraj aus Kuwait oder Dina Torkia aus Großbritannien zählen auf Instagram bereits Hunderttausende Follower. „In Deutschland steckt ‚Islamic Fashion‘ noch in den Kinderschuhen“, sagt Hasania Aqarrout aus Aschaffenburg. Die 28-Jährige betreibt seit zwei Jahren einen Onlineshop für muslimische Mode.

Könnte „Islamic Fashion“ tatsächlich zu mehr Akzeptanz in der Gesellschaft führen?

Im letzten Jahr gründete sie außerdem ein Onlinemagazin namens „Basma“. Zielgruppe der Publikation: modebewusste muslimische Frauen. „Wir wollen aber ganz bewusst offen sein für jedes Publikum“, sagt Aqarrout.

Hasania Aqarrout findet es toll, dass Mode endlich als wirkungsvolles Mittel entdeckt wird, um Vorurteile gegenüber Muslimas abzubauen: „Mode ist wie Musik – sie ist keiner Sprache bedürftig“, sagt Aqarrout. Die modernen Kollektionen der großen Modeketten würden es muslimischen Frauen einfacher machen, eine Balance zwischen muslimischer und nichtmuslimischer Gesellschaft zu finden. Doch bei allem Modebewusstsein – zum Accessoire dürfe ein Kopftuch nicht werden, sagt Aqarrout: „Dieser Spagat zwischen religiös motivierter Bescheidenheit und Ausdruck der eigenen Individualität ist schwierig zu meistern.“ 

Hijabs erobern nicht nur Einkaufsmeilen, sondern auch Catwalks: Hier z.B. Entwürfe der indonesischen Designerin Anniesa Hasibuan auf der New York Fashion Week vor zwei Wochen

Nach einer 2009 herausgegebenen Studie der Deutschen Islam Konferenz (DIK) tragen in Deutschland weniger als ein Drittel der Musliminnen ein Kopftuch. Bei den jungen Frauen zwischen 16 und 25 Jahren ist es nur jede Fünfte. Die Gründe, warum sich Musliminnen für oder gegen das Kopftuch entscheiden, sind zwar äußerst unterschiedlich. Bei vielen jungen religiösen Musliminnen jedoch, so die Studie, scheint das Kopftuch Teil eines Selbstverständnisses geworden zu sein: Er soll demonstrieren, dass Modernität und Religion Hand in Hand gehen können.

– und welche Rolle spielen dabei die Absichten der Modebranche?

 

Wie wichtig Mode für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft als Ganzes auch sein mag – dass es der Modeindustrie mit „Islamic Fashion“ vor allem um ein Streben nach Akzeptanz geht, darf nach Ansicht der Bloggerin Zeynep Mutlu bezweifelt werden. „Wie in jeder anderen Branche auch geht es den großen Modehäusern sicher in erster Linie einfach darum, möglichst viel Geld zu machen“, sagt sie. Eine moralische Intention schließe das zwar nicht aus, „aber das ausschlaggebende Argument ist sicher ein anderes.“

Verwerflich findet Zeynep Mutlu dieses wirtschaftliche Kalkül aber nicht: „Akzeptanz in der Gesellschaft hat ganz viel mit den Medien zu tun. Wenn islamische Mode nun seiner Wirtschaftlichkeit halber neutral dargestellt und konstruktiv besprochen wird, hat das ja auch etwas Gutes.“ 

Illustration: Héctor Jiménez