Thema – Körper

Suchen Newsletter ABO Mediathek

„Es geht nicht darum, fit zu sein, sondern fit auszusehen“

Ein Gespräch mit der Psychoanalytikerin Ada Borkenhagen über Körperbilder, Idealfiguren und Gelassenheit

fluter: Welche Vorstellung haben wir überhaupt von unserem Körper?

Ada Borkenhagen: Unseren Körper betrachten wir als etwas relativ Zeitüberdauerndes, das aber heutzutage stark veränderbar und optimierbar ist. Sozusagen als eine teure Ware, in die wir investieren müssen – zum Beispiel durch gute und gesunde Ernährung. Eine sehr deutsche Haltung übrigens.

Wie sieht heute die weibliche und männliche Traumfigur aus?

Seit den 1920er-Jahren wird das westliche Körperideal zunehmend schlanker. Dazu kommt bei Frauen ein sehr großer Busen und ein wohlgerundeter Po, was ja eigentlich im Widerspruch zur Schlankheit steht. Bei Männern sind breite Schultern das Ideal und ein schlanker, muskulöser Körper. Der Oberkörper sollte haarlos sein – wobei sich das gerade wieder zu ändern scheint.

Wer bestimmt denn unsere Körperbilder?

Es gibt keine bestimmte Gruppe oder Macht, die das festlegt. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel aus Moden und deren medialer Verbreitung. Natürlich spielen immer auch Vorbilder eine Rolle. Wichtig sind in dem Zusammenhang die technischen Möglichkeiten der Retusche. So makellose Haut, wie man sie durch Photoshop in der Werbung sieht, hat kein Mensch. So kursieren dann völlig unrealistische Körperbilder, die zum Ideal werden.

Erklärt das, warum sich viele Jugendliche so exzessiv mit ihrem Körper beschäftigen, sich in den sozialen Medien inszenieren und permanent Bilder von sich verschicken?

Natürlich. Zur Kultur des Selfies gehört zum Beispiel das starke Schminken. Weil man ja ein schönes Selfie von sich machen möchte. Wie ein Maskenbildner tragen manche Mädchen Schminke auf, um einen makellosen Teint zu erreichen. Indem man solche Bilder verschickt, werden sie zum Maßstab.

Wie wirken Werbung und Medien auf das Körperbild von Jugendlichen?

Die medialen Bilder beeinflussen die Wahrnehmung meiner Körperform extrem stark, weil ich sie ständig mit mir selbst abgleiche und das als Ideal verinnerlicht habe. Durch die Selfie-Kultur wird mir auch noch vorgemacht, dass alle so aussehen. Als es Anfang der Neunziger nur wenige international bekannte Supermodels mit Idealmaßen und noch kein Photoshop gab, war der Abstand zwischen dem Normalmenschen und den Models sehr groß. Es war klar, dass diese Menschen relativ unerreichbar für den Einzelnen sind. Diese Grenzen verschwinden immer mehr.

Haben Sendungen wie „Germany’s next Topmodel“ wirklich so viel Einfluss auf jugendliche Körperbilder? Werden dadurch mehr Mädchen magersüchtig?

Diese Sendungen haben erheblichen Einfluss. Und natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Schlankheitsideal und der Zunahme von Essstörungen. Der existiert nur in einem gesellschaftlichen Milieu, in dem es genügend Nahrung oder einen Überfluss an Nahrung gibt. Und wo sich gleichzeitig ein Schlankheitsideal herausgebildet hat, das vor allem mit Weiblichkeit verbunden wird. Mit dem Aufkommen des Bürgertums bildeten sich spezifische Geschlechterrollen heraus, wobei der Frau der häusliche Bereich zugewiesen wurde und dem Mann die Arbeitswelt. In der Folge entstand das Schönheitsideal der schlanken, ätherischen Frau, die der Arbeitssphäre enthoben ist und dadurch das Prestige ihres Mannes mehrt. Dieses weibliche Schlankheitsideal existiert bis heute, auch wenn sich im 20. Jahrhundert die Vorzeichen geändert haben und weibliche Schlankheit heute die emanzipierte moderne Frau verkörpert.

Yoga und Fitnessstudios haben Konjunktur. Ist es übertrieben, von einem Fitnesswahn zu sprechen?

Das Entscheidende heute ist nicht, dass man fit ist, sondern fit aussieht. Bei all den sitzenden Tätigkeiten ist es nicht mehr so einfach, Muskeln zu haben, dafür muss man trainieren. Das Sportstudio oder die Yogastunde ist Ausweis Ihrer Investition in den Körper. Und das wird anerkannt.

Ist das Äußere generell wichtiger geworden?

Auf jeden Fall. Das hat mit der gesellschaftlichen Entwicklung und der stärker werdenden Individualisierung zu tun. In der westlichen Welt sind wir dazu aufgefordert, die eigene Identität herauszubilden. Früher geschah das über den gesellschaftlichen Stand. Man war Arbeiter, Angestellter oder Bauer, und damit war die Identität für das ganze Leben festgelegt. Das hat sich fundamental verändert. Heute muss man ein eigenes Profil haben, ganz gleich welches. Deshalb ist das Aussehen wichtiger geworden und der eigene Körper das Medium, über das die Identität ausgedrückt wird. Das ist gesellschaftlich etwas relativ Neues.

Sieht man auch deshalb häufiger Körpermodifikationen wie Piercings oder Tattoos?

Das ist eine Möglichkeit, den Körper mit Individualitätszeichen zu versehen und nach außen zu präsentieren. Es geht darum, den Körper zu schmücken und mit einem Tattoo oder Piercing seine Besonderheit auszudrücken. Noch vor 20 Jahren waren Tattoos ein Symbol der Arbeiterklasse – heute sind sie ein Massenphänomen.

Bezieht das alle Schichten ein?

Tattoos sind heute nicht mehr eindeutig auf bestimmte Schichten begrenzt. Eine repräsentative Studie hat aber ergeben, dass vor allem mehrfach Tätowierte häufiger ohne Job sind als Menschen ohne Tattoos. Trotzdem: Jeder Fünfte, der in Deutschland lebt, ist mittlerweile tätowiert. Besonders die jungen Frauen haben bei den Tattoos aufgeholt.

Gibt es Tabus, wie man seine äußere Form nicht manipulieren darf?

Man darf sich nicht hässlich machen. Ein Gesichtstattoo zum Beispiel stößt noch viele Menschen ab. Auch Zeichen des Verlebtseins wie tiefe Falten dürfen Sie nicht zeigen. Graue Haare gehen, aber nur, wenn es ein schönes Grau ist und alles andere stimmt. Es darf nicht alt aussehen. Auch die Bereitschaft, seinen Körper mithilfe von Schönheits-OPs zu optimieren, scheint größer geworden zu sein. Das hängt zum einen mit den technischen Möglichkeiten zusammen, zum anderen sind die Eingriffe kostengünstiger geworden. Dadurch sind sie nicht mehr ausschließlich für Prominente, sondern auch für die Mittelschicht bezahlbar. Hinzu kommt, dass der Körper nicht mehr als Schicksal, sondern als veränderbar erlebt wird. Und mit schönheitsmedizinischen Eingriffen ist er das ja tatsächlich.

Was verspricht man sich davon? Macht man es für sich selbst oder für die anderen?

Ein wesentliches Motiv ist, dass man sich bessere Berufschancen und Chancen auf dem Partnermarkt ausrechnet. Und dem ist auch so. Wir wissen zum Beispiel, dass ein attraktiveres Aussehen zu mehr Gehalt führt, insbesondere bei Männern.

Was sagen diese Körperideale denn überhaupt über die Gesellschaft und ihre Machtund Geschlechterverhältnisse aus?

Es ist offensichtlich, dass das Schönheitsideal für Frauen sehr viel restriktiver ist, es umfasst mehr Körperbereiche als bei Männern. Daher ist es für Frauen immer noch wichtig, gut auszusehen. Es entscheidet über ihren gesellschaftlichen und sicher auch ökonomischen Erfolg. Für Männer sind die Schönheitsideale nicht ganz so restriktiv. Allerdings ist es keineswegs so, dass keine gelten. Manager mit Tränensäcken oder großem Bierbauch sind heute die absolute Ausnahme. Auch der männliche Körper muss Dynamik und Fitness ausstrahlen, und dazu gehören nun mal keine starken Alterszeichen oder Übergewicht. Jeder muss einem bestimmten äußerlichen Ideal entsprechen.

Gehen Männer entspannter mit dem eigenen Aussehen um?

Das männliche Schönheitsideal des muskulösen Körpers ist durch Training erreichbar, für Frauen ist das schwieriger. Sie haben eine andere Art von Muskel-Fett-Zusammensetzung. Auch Falten und graues Haar werden bei Männern und Frauen unterschiedlich bewertet. Schauspieler wie George Clooney gelten mit grauen Haaren als attraktiv, bei Frauen wäre das ein Ausdruck des Alterns. Hinzu kommt, dass wir die Alterszeichen bei Männern eher als Zeichen von Reife, Macht und Reichtum werten. Ende der Achtziger erschien ein Lied, das „Dicke“ heißt und sich über diese Menschen lustig macht. Das könnte man sich 2018 nicht mehr vorstellen.

Gibt es heute einen sensibleren Umgang mit anderen Körpern und Körpereinschränkungen?

Nein, den gibt es meiner Meinung nach nicht. Für mich ist es auch kein Zeichen der Befreiung, dass ein solches Lied heute politisch unkorrekt wäre. Weil die Schlankheitsnorm unverändert unterschwellig weiterexistiert, man darf nur nicht mehr darüber reden. Keiner wird heute noch sagen: Oh, ist die aber dick! Aber jeder wird es denken. Diese Körperideale sind bei uns sehr stark verankert, alle kennen sie. Und deshalb wird man bewertet und in eine bestimmte Schicht eingeordnet, wenn man massiv übergewichtig ist. Wir sind viel strenger als zu Zeiten von Marius Müller-Westernhagen.

Stichwort Apps: Kommt es zu einer Entfremdung von unserem biologischen Körper unter dem Einfluss digitaler Technologie?

Ja und nein. Es gibt keinen nicht entfremdeten Körper. Wir haben schon, wenn wir auf die Welt kommen, keinen natürlichen Körper. Der ist sehr früh kulturell überformt. Wir werden als Menschen immer schon in eine bestimmte Kultur hineingeboren, die von Anfang an auch die Vorstellungen prägt, die wir von unserem Körper im Lauf unserer Entwicklung herausbilden. Insofern stellen die digitalen Techniken nur eine weitere kulturelle Entwicklung dar. Wenn ich anfange, meinen Schlaf zu überwachen, und morgens nicht mehr weiß, ob ich gut geschlafen habe, ohne auf meine Fitnessuhr zu schauen, ist das ein Zeichen, dass wir uns stärker auf die Technik als auf unser Gefühl verlassen. Oder wenn ich bei jedem Essen die Kalorien zähle. Das alles macht einen sehr unentspannt. Diese Menschen, die über Fitnesstracker jede Körperfunktion kontrollieren, stecken in einer Art Zwangskorsett. Gleichzeitig profitieren viele kranke Menschen vom technischen Fortschritt.

Will unsere Gesellschaft nur gesunde, funktionierende Körper?

Auf jeden Fall. Bei bestimmten seelischen Erkrankungen ist es heute ein Segen, dass man mit medizintechnischen Mitteln helfen kann. Allerdings werden sich die meisten Depressionen damit nicht behandeln lassen. Das sage ich als Psychoanalytikerin. Weil es sich quasi um Grundkonflikte des Menschseins handelt, die mit einem Hirnschrittmacher nicht zu therapieren sind. Dagegen sind medizinisch-technische Maßnahmen bei endogenen, also körperlich verursachten Depressionen sinnvoll. Aber die Vorstellung, alles mit Technik lösen zu können, halte ich für schwierig. Es entwickeln sich auch neue Krankheiten – zum Beispiel die Orthorexia, eine Form der Essstörung, bei der man davon getrieben ist, sich wahnsinnig gesund zu ernähren. Ernährung ist in Deutschland eine Ideologie, über die man auch gut seine Neurosen ausleben kann.

Und über alldem steht der gesunde Körper, der nicht krank werden darf?

Ja, das ist das Heilsversprechen der modernen westlichen Medizin, die Überwindung von Alter und Krankheit und letztlich dem Tod. Man darf nicht mehr sterben, also auch nicht krank sein. Dahin soll es für die optimierte Gesellschaft gehen. Bis ins hohe Alter soll man heute geistig und körperlich fit bleiben.

Was raten Sie einem jungen Menschen, der mit seinem Körper hadert und ihn als unzulänglich empfindet?

Er muss sich klarmachen, dass Schönheit nicht unbedingt glücklich macht. Es ist ein Irrglaube, dass ich per se glücklicher bin, wenn die Brust größer oder die Nase kleiner wäre.

Aber haben Sie nicht gesagt, dass schöne Menschen mehr Chancen haben?

Real haben sie bessere Chancen in bestimmten Bereichen, das heißt aber nicht, dass sie deswegen im Leben glücklicher werden. Wenn man mit seinem Leben nicht zufrieden ist, hilft einem auch die geradere Nase nicht. Mit Schönheits-OPs kann man seine Identität nicht verändern, man wird kein anderer Mensch.

Die Psychoanalytikerin Dr. Ada Borkenhagen lebt in Berlin und ist Mitbegründerin und Vorsitzende des Vereins Colloquium Psychoanalyse. An der Universität Magdeburg arbeitet sie seit 2015 zudem als Privatdozentin der Medizinischen Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.