In my gabel era
Warum essen plötzlich viele Leute Pudding mit Gabeln statt mit Löffeln? Und was hat das mit Brainrot zu tun? Unsere Autorin hat nachgefragt, warum Sinnlosigkeit Gemeinschaft stiftet
Im James-Simon-Park in Berlin-Mitte klirren Gabeln im Chor. „Zehn, neun, acht …“, schreien Hunderte Jugendliche synchron und stechen dann damit in Becher voll Vanille- oder Schokoladenpudding. Warum, weiß unter ihnen niemand genau. Aber alle wissen: Das ist das „Pudding mit Gabel“-Treffen, klar.
Was mit einem Flyer aus Karlsruhe begann, der auf TikTok viral ging, ist zu einem Phänomen geworden. In Parks, auf Marktplätzen und Wiesen treffen sich junge Menschen seit August 2025, um gemeinsam Pudding mit Gabeln zu essen. Mittlerweile ist die Bewegung über die deutschsprachigen Länder hinaus bekannt, auch in Finnland, Portugal, England und den USA wird Dessert mit dem falschen Besteck gegessen. Ohne Grund, ohne Forderung, ohne Botschaft. Nur ein absurd einfaches Ritual. Warum also machen Menschen das?
„Das ist eine Lust an der Sinnlosigkeit – etwas, das jetzt unter dem Label Brainrot einen ganz eigenen Gen-Z-Spin bekommen hat“, sagt Medienwissenschaftler Marcel Lemmes. „Brainrot“, wörtlich übersetzt „Hirnverrottung“, ist das ironische Schlagwort, mit dem Menschen ihre eigene Medienüberforderung benennen und feiern. Gemeint ist die Überflutung durch schnelle, die Aufmerksamkeit strapazierende Inhalte, die so sinnlos sind, dass sie schon wieder tröstlich wirken.
„Pudding mit Gabel essen ist eine Kombination aus Meme und Ritual. Man versteht, dass man nichts verstehen muss“Marcel Lemmes, Medienwissenschaftler
„Das Label Brainrot ist nur die jüngste Form einer langen Linie von absurdistischer Meme-Kultur“, erklärt Lemmes. „Pudding mit Gabel essen ist eine Kombination aus Meme und Ritual. Man versteht, dass man nichts verstehen muss.“ Auch vor TikTok und in anderen Generationen habe es bereits Phänomene gegeben, die ähnliche Funktionen hatten, sagt Lemmes. Die Flashmobs in den 2000er-Jahren zum Beispiel, oder dann, als eine Art Weiterentwicklung, der Harlem-Shake.
Für eine Generation, die zwischen Klimakrise, Kriegsnachrichten und LinkedIn-Optimierung aufwächst, wirkt das gemeinsame Unsinnmachen wie eine kleine Befreiung. Gerade darin liegt für Lemmes auch eine subtile politische Dimension. „Dass man das Sinnlose zelebriert, deutet darauf hin, dass ein Ziel oder ein eigener Sinn fehlt – und genau das macht es politisch.“ Es ist keine Rebellion gegen etwas Konkretes, sondern gegen das Gefühl permanenter Anforderungen. „Die Gen Z struggelt damit, digitale Welt und echte Welt zusammenzuhalten“, sagt Lemmes.
Maya ist 16, sie hat das Pudding-mit-Gabel-Treffen in Berlin mit zwei Freunden besucht. Sie hatte das auf TikTok gesehen. Beim Gabeln hat sie vier andere Jugendliche kennengelernt, mit denen sie sich bald noch mal treffen möchte.
45 Prozent der jungen Menschen zwischen 16 und 30 Jahren fühlen sich stark oder moderat einsam, zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Mai dieses Jahres. Vielleicht ist das ein Grund, warum das, was im Netz als ironischer Kommentar auf das Internet selbst beginnt, offline zu einem echten Treffen wird. Das gemeinsame Gabeln wird so zu einem Code, einer Zugehörigkeitsmarke.
„Kinotickets werden immer teurer wegen der Inflation, und wir jungen Leute haben halt nicht so viel Geld – da ist so was einfach viel cooler, weil wirklich jeder mitmachen kann“Maya, 16
Der Medienwissenschaftler Christian Möller sieht in diesem Trend vor allem den Wunsch nach greifbarer Gemeinschaft: „Es ist ein großes Bedürfnis nach Analogisierung. Etwas Echtes in der wirklichen Welt zu tun.“ Der Trend sei kein Aktivismus und lebe von Zugänglichkeit. „Ein Pudding kostet 69 Cent – das kann sich jeder leisten. Es ist kein teures Bouldern in der Halle.“ Maya geht aktuell in die zwölfte Klasse, sie erzählt: „Kinotickets werden immer teurer wegen der Inflation, und wir jungen Leute haben halt nicht so viel Geld – da ist so was einfach viel cooler, weil wirklich jeder mitmachen kann.“
Dass der deutsche Trend über Ländergrenzen hinaus solche Wellen schlägt, liegt laut Lemmes daran, dass er überall funktioniert: Kein Text, kein Ton, kein kultureller Code ist nötig, um zu verstehen, dass eine Gabel im Pudding absurd ist. „Jede*r weiß das sofort. Das ist interkulturell verständlich.“
Möller vermutet, dass der Trend so schnell wieder verschwindet, wie er gekommen ist. Das dürfte auch einfach an den Wetterbedingungen liegen, die es inzwischen schwerer machen, sich in öffentlichen Räumen zu treffen. „Vielleicht wird in der Vorweihnachtszeit dann bald Glühwein mit dem Löffel getrunken.“
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Illustration: Renke Brandt