Animiertes GIF mit einem Mann in einem Wald voller Wildkatzen

So ist es, ich zu sein: Wildkatzenschützer

Thomas Mölich, 60, leitet das Wildkatzenbüro des BUND. Mit Baldrianfallen und Lobbyarbeit versucht er, Deutschlands Wälder katzenfreundlicher zu machen

Protokoll: Julia Lauter
Thema: Natur
10. Oktober 2025

Ich habe als Wildkatzenforscher angefangen zu arbeiten, bevor ich je eine zu sehen bekommen habe. Mitte der 1990er-Jahre war das, ich arbeitete am Wildbiologischen Institut der Uni Göttingen, und über diese kleine europäische Raubkatze wusste man damals fast nichts. Sie war ein Phantom, galt vielerorts als ausgestorben. Es gab keine Zahlen zum Bestand, nur Hörensagen von Förstern. 

Also wurde ich im Rahmen eines Forschungsprojektes in den Hainich nach Thüringen geschickt, um mehr herauszubekommen – und um die scheuen Tiere überhaupt mal zu sehen. Denn auch wenn sie Ähnlichkeiten haben: Die Europäische Wildkatze – wissenschaftlich Felis silvestris genannt – ist keine verwilderte HauskatzeFelis catus –, sondern eine eigene Art. Ein kleines Raubtier, das in unseren Wäldern heimisch ist. 

Der Hainich ist das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet Deutschlands und war bis in die frühen 1990er-Jahre noch in Teilen militärisches Sperrgebiet. Wir mussten wegen herumliegender Munition sehr vorsichtig sein. Viele Nächte lang lagen wir auf der Lauer, denn Wildkatzen sind sehr intelligent, sie lassen sich nicht einfach mit Futter fangen. Sie haben nur eine Schwäche: Baldrian. Wir wissen nicht, warum, aber genau wie Hauskatzen finden sie das Kraut unwiderstehlich. 

„Als ich den ersten gefangenen Kater in unserer Falle sah, hatte ich Gänsehaut: Es gibt sie also wirklich!“

Mit etwas Baldrianwurzel in einer Damenstrumpfhose fingen wir unseren ersten Kater. Als ich ihn in der Falle sah, hatte ich Gänsehaut: Es gibt sie also wirklich! Er war grau-braun meliert, etwas größer und kräftiger als eine Hauskatze, mit einem buschigen Schwanz. Und er war sehr aggressiv, hat wild gefaucht und mit der Pfote in unsere Richtung gedroht.

Mit diesem Kater fing alles an. Wir haben dann weitere Tiere gefangen, mit Sendern ausgestattet und mit den Jahren herausgefunden, wie viele Wildkatzen es in Deutschland gibt, wie sie leben und warum sie zu verschwinden drohen. So habe ich beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in den letzten 20 Jahren das „Rettungsnetz für die Wildkatze“ aufgebaut.

Wie auch beim Bären, beim Wolf und beim Luchs haben Menschen größten Aufwand betrieben, um die Wildkatze auszurotten. Man dichtete ihr an, sie reiße Rotwildkälber – eine absurde Vorstellung. Tatsächlich fressen Wildkatzen vor allem Mäuse, gelegentlich auch einmal Eidechsen oder Insekten, sie sind weder eine Gefahr für Menschen noch für Nutztiere. Schwer begreifbar, woher dieser Wille zur Auslöschung kam.

Aber weil die Wildkatze so klein ist, überlebte sie unentdeckt im Mittelgebirge, zum Beispiel im Harz und im Pfälzerwald. Bis heute arbeite ich mit mehreren Kollegen daran, dass sie sich wieder an vielen Orten etabliert. So haben wir 2012 in vielen Wäldern Wildkatzenhaare gesammelt und genetisch analysiert. Über 1.000 freiwillige Helfer haben uns dabei unterstützt, und wir bekamen tatsächlich eine Vorstellung davon, wie viele Tiere in den großen deutschen Wäldern unterwegs sind. 

In den letzten 20 Jahren haben sich die Bestände in weiten Teilen Deutschlands erholt, die Tiere breiten sich aus. Beim letzten Monitoring, das 2019/2020 stattfand, kamen wir auf 8.000 Wildkatzen hierzulande. Inzwischen müssen wir nur noch selten im Wald auf der Lauer liegen. Was ich stattdessen mit vielen Kollegen und ehrenamtlichen Helfern vor allem tue, ist: reden. Denn das, was die Wildkatze am besten schützt, sind naturnahe Wälder, ein heckenreiches Kulturland und eine Landwirtschaft, die Nager nicht mit Gift bekämpft. Doch diese Flächen sind rar, weil Äcker und Wälder hierzulande sehr intensiv genutzt werden. Um Raum für die Wildkatze zu schaffen, spreche ich mit Förstern, Bauern und Landbesitzern, mit Ämtern und Politikern und versuche, Verbündete zu gewinnen.

„Ein Wald, der durch Straßen oder durch intensiv genutzte Felder von anderen Wäldern abgeschnitten ist, ist für Wildkatzen wie eine Insel. Im schlimmsten Fall sterben sie dort aus“

Unsere Forschung an Wildkatzen zeigt, wie wichtig es ist, dass Naturräume verbunden sind: Ein Wald, der durch Straßen oder durch intensiv genutzte Felder von anderen Wäldern abgeschnitten ist, ist für die Wildkatze wie eine Insel. Auf industrielles Ackerland setzt sie keine Pfote, das bietet ihr zu wenig Deckung vor Greifvögeln und anderen Fressfeinden. Und auf Straßen droht ihr der Tod durch vorbeirasende Autos. Doch ein kleiner, isolierter Wald bietet den Katzen nicht genug Lebensraum, es drohen Inzucht und Krankheiten. Im schlimmsten Fall sterben die Tiere dort aus. 

Diese Art der Verinselung betrifft auch Insekten, andere kleine Säugetiere, Fledermäuse, Vögel – und ist ein wachsendes Problem. Das Netz der Ökosysteme, das trägt uns alle. Zerschneidet man es, dann klappt irgendwann alles zusammen. Denn auch wir Menschen sind nur Tiere und von einer artenreichen, widerstandsfähigen Natur abhängig. Darum richten wir seit vielen Jahren Korridore zwischen Waldstücken ein, als ökologische Brücken. Am meisten Zeit und Geld kostete dabei nicht die Bepflanzung, sondern die Verantwortlichen zu überzeugen, uns Flächen zur Verfügung zu stellen. Für den Wildkatzenkorridor zwischen dem Hainich und dem Thüringer Wald mussten wir fast zehn Jahre verhandeln.

Die Wildkatze steht als Symboltier für die Vernetzung zerschnittener Lebensräume und dafür, das ökologische Netz am Leben zu erhalten. Dafür haben wir in den letzten Jahrzehnten einiges erreicht. Allerdings kann dies alles vergleichsweise schnell wieder zunichtegemacht werden. Angesichts der Erderwärmung und des nach wie vor großen Flächenhungers der Menschen steht heute die Arbeit der vergangenen 20 Jahre womöglich auf dem Spiel.  

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.

Illustration: Renke Brandt