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Was ist der Gazastreifen?

Zwei Millionen Palästinenser leben im Gazastreifen, seit dem 7. Oktober ist er Kriegsgebiet. Ein Blick auf seine Geschichte

  • 6 Min.
Israelische Soldaten eskortieren Journalisten bei einer organisierten Tour durch den Gazastreifen

Der Gazastreifen ist ein etwa 40 Kilometer langer, maximal 14 Kilometer breiter Landstreifen an der Mittelmeerküste, südlich begrenzt von Ägypten, nördlich wie östlich begrenzt von Israel. Der Gazastreifen ist Teil der Palästinensischen Autonomiegebiete, ebenso wie 40 Prozent des Westjordanlands. Das Gebiet wurde als Teil des Waffenstillstandsabkommens nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg 1947 bis 1949 geformt und bis zum Sechstagekrieg 1967 von Ägypten kontrolliert. 1948 lebten etwa 60.000 Menschen im Gazastreifen, die meisten davon vertriebene Palästinenserinnen und Palästinenser aus dem frisch ausgerufenen Israel. Für sie stellen die Geschehnisse von 1948/49 die „Nakba“ (arabisch für „Katastrophe“) dar.

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Gazastreifen Karte (Bild: grebeshkovmaxim/iStock/Getty Images Plus)
Nur 365 km² ist der Gazastreifen groß. Die Bevölkerungsdichte von mehr als 5000 Menschen/km² ist eine der höchsten der Erde (Bild: grebeshkovmaxim/iStock/Getty Images Plus)

Während des Sechstagekriegs eroberte und besetzte Israel unter anderem den Gazastreifen, den Sinai und das Westjordanland. Schließlich gab Israel mit dem Friedensvertrag von 1979 Ägypten die besetzte Sinaihalbinsel zurück und zog sich im Frühjahr 1982 endgültig vom Sinai zurück. Israel aber bestand darauf, den Gazastreifen selbst als Besatzungsgebiet zu behalten. Während die Palästinenserinnen und Palästinenser im Westjordanland vor dem Sechstagekrieg offiziell Staatsbürger Jordaniens waren, sind die Menschen in Gaza von jeher staatenlos. Der Frieden mit Ägypten hält bis heute.

Als indirekte Folge des Friedensabkommens radikalisierte sich die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) als nationalistische Bewegung weiter. Gegründet 1964 in Jerusalem, initiiert vom damaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, sollte die PLO für die Rechte der Palästinenser kämpfen. Gleichzeitig hielt sie in ihrer Gründungscharta aus dem Jahr 1968 als ultimatives Ziel die Zerstörung der „zionistischen und imperialistischen Präsenz“ fest − also die Zerstörung Israels.

Die Fatah ist eine Fraktion der PLO. Sie entwickelte sich zur politisch stärksten Kraft und regiert heute das besetzte Westjordanland. Nachdem die Fatah von der Hamas gewaltsam vertrieben wurde, wird Gaza seit 2007 offiziell von der islamistischen Hamas kontrolliert. Diese übernahm nach den Wahlen 2006 die Macht − nachdem sich Israel 2005 aus Gaza zurückgezogen und alle israelischen Siedlungen dort geräumt hatte.

Offizieller Auslöser des Abzugs war die zweite Intifada, eine über mehrere Jahre anhaltende Welle an Terroranschlägen radikaler Palästinenser in Israel und in den besetzten Gebieten. Die erste Intifada dauerte von 1987 bis 1993, die zweite Intifada von 2000 bis 2005.

Sehr junge Bevölkerung

Im Gazastreifen lebten laut Statista im Jahr 2023 Schätzungen zufolge rund 2,06 Millionen Menschen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist unter 20 Jahre alt. Geschätzt rund 278.500 der Einwohner:innen im Gazastreifen waren zu diesem Zeitpunkt zwischen 0 und 4 Jahre alt. Die größte Bevölkerungsgruppe im Gazastreifen war demnach mit 279.000 Menschen zwischen 5 und 9 Jahre alt.

Mit der Machtübernahme der Hamas begann Israel, den Gazastreifen wirtschaftlich zu blockieren − also die Grenzen auf dem Land, in der Luft und auf dem Wasser zu kontrollieren. Damit sollte der Waffenschmuggel der Hamas unterbunden werden. Durch die Blockade gilt Gaza international weiterhin als von Israel besetztes Gebiet. Die Menschen in Gaza waren eingeklemmt zwischen der im Inneren kontrollierenden Hamas und dem von außen kontrollierenden Israel. Dies führte zu massiver wirtschaftlicher Not der Zivilisten. Vor Beginn des Gazakrieges lebten nach Angaben der Weltbank mehr als die Hälfte der Menschen in Gaza unterhalb der Armutsgrenze.

1949 wurde das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA als eigene Hilfsorganisation für die aus Israel vertriebenen Palästinenser und deren Nachfahren gegründet. Allein für den Gazastreifen stellten die UN in den vergangenen Jahren finanzielle Hilfen von rund 4,5 Milliarden Dollar bereit. Rund 80 Prozent des Geldes gehen an UNRWA, das Schulen betreibt, die medizinische Versorgung übernimmt und Nahrungsmittel verteilt. Damit übernimmt UNRWA wesentliche staatliche Aufgaben, für die eigentlich Hamas als regierende Kraft zuständig wäre.

Nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober beschuldigte Israel die UNRWA, dass mehrere Mitarbeitende der Hilfsorganisation an dem Überfall beteiligt gewesen seien. Infolge der Vorwürfe gegen UNRWA stellten mehrere Länder zeitweilig ihre Finanzierung ein.

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Rafah Grenzübergang (Foto: Asmaa Waguih/Redux/laif)
November 2023: Am Grenzübergang Rafah verlassen Palästinenserinnen den Gazastreifen Richtung Ägypten. Doch nur die wenigsten können das Kriegsgebiet verlassen (Foto: Asmaa Waguih/Redux/laif)

Der Angriff der Hamas löste den schwersten Krieg in Gaza seit dessen Bestehen in den Grenzen von 1948 aus. Opfer ist die Zivilbevölkerung, vor dem Krieg rund zwei Millionen Menschen. Etwa 35.000 Menschen wurden seit dem Angriff vom 7. Oktober nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde in Gaza getötet. Unabhängig überprüfen lassen sich die Zahlen nicht. Nach israelischen Angaben befinden sich darunter rund 12.000 getötete Kämpfer der Hamas und anderer Terrororganisationen, die in Gaza operieren.

Die Hamas verfügte vor dem 7. Oktober über ein jährliches Budget von rund 2,5 Milliarden US-Dollar und hat Gaza in den vergangenen Jahren mit einem technisch aufwendigen Tunnelsystem unterhöhlt. Das macht den Krieg Israels gegen die Terroristen zu einem der komplexesten der modernen Geschichte. Die Hamas nutzte auch das Hauptquartier des UN-Palästinenserhilfswerks und Krankenhäuser für terroristische Zwecke. Inzwischen liegen in Gaza ganze Wohnviertel in Schutt und Asche, nahezu 70 Prozent der Häuser und Wohnungen in Gaza sind zerstört oder beschädigt. Laut einem aktuellen Bericht des UN-Welternährungsprogramms haben insgesamt 1,1 Millionen Menschen im Gazastreifen, also die Hälfte der Bevölkerung, ihre Nahrungsmittelvorräte aufgebraucht und sind nun von katastrophalem Hunger betroffen (Stand 18. März 2024).

Aktuell ist die Zukunft des Gazastreifens ungewiss. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden in diesem Jahr noch mindestens 2,5 Milliarden US-Dollar für die Versorgung der Bevölkerung notwendig sein.

Titelbild: Sergey Ponomarev/NYT/Redux/laif

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