Thema – Integration

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„Gestern Role Model, heute Buhmann“

Ein Gespräch mit dem Autor und Politikberater Imran Ayata über Mesut Özils Rückzug aus der DFB-Elf und die neue Rassismus-Debatte in Deutschland

Mesut Özil

Fluter.de: „Das deutsche Sommermärchen“ bei der WM 2006; zur WM 2010 die „Internationalmannschaft“, in der die Hälfte der Spieler einen Migrationshintergrund hatte; 2014 dann der Weltmeistertitel. Welches Schlagwort wird von der WM 2018 in Erinnerung bleiben?

Imran Ayata: Fail auf ganzer Linie, würde ich sagen. Vor allem wegen des Vorrundenaus, dann aber vermutlich auch das Gündogan-Özil-Erdoğan-Gate und schließlich die Debatte um Rassismus im DFB sowie in der Gesellschaft im Anschluss an den angekündigten Rückzug Özils aus der Nationalmannschaft.

Als Begründung für seinen Rücktritt nannte Mesut Özil rassistische Anfeindungen von Seiten der Medien, des DFB und seiner Sponsoren. Was meinen Sie dazu?

Er hat recht und unrecht zugleich. Die Kritik an seiner Person folgte oft rassistischen Denkmustern. Diese bedienten letztlich auch DFB-Präsident Reinhard Grindel oder Oliver Bierhoff. Die versteckte Botschaft lautete: So ganz gehört einer wie Özil dann doch nicht dazu. Besonders drastisch zeigten sich diese Denkmuster in der geradezu kampagnenhaften Berichterstattung der „Bild“-Zeitung.

Und wo kritisieren Sie seine Stellungnahme?

Wenn Mesut Özil es mit dem Rassismusvorwurf wirklich ernst meint, hätte er das Foto mit Erdoğan allein deswegen bedauern müssen. Denn wenn du dich als deutscher Nationalspieler kurz vor der WM mit einem türkischen Despoten fotografieren lässt, spielt das den Rechtspopulisten in die Hände – also all denen, die gegen Vielfalt sind und die eine rassistische Kampagne nach dem Motto „Ist der überhaupt richtiger Deutscher?“ mit offenen Armen begrüßen. An der Diskussion um Özil und die Nationalmannschaft wird eine tektonische Rechtsverschiebung offensichtlich: Plötzlich ist es wieder normal, von „Ausländern“ und „Fremden“ zu reden.

 „Wenn ein Spieler richtig gut ist, dann entscheidet er sich automatisch für die deutsche Nationalmannschaft“

Ihr Fußballroman „Ruhm und Ruin“ spielt in einem der 25.000 Fußballvereine in Deutschland. Sport wird generell gerne als „Integrationsmotor“ gesehen. Ist er durch die Özil-Debatte ins Stocken geraten?

Was das beispielsweise für die Vereine im Amateurbereich heißt, wage ich nicht vorherzusagen. Die richtig guten Spieler mit Migrationshintergrund werden jedenfalls weiterhin für den DFB spielen wollen. Für meinen Roman habe ich damals viele Interviews geführt, auch mit einem Fußballscout, der für den türkischen Fußballverband tätig ist. Er meinte, dass dieses ganze Gerede um deutsch-türkische Identität für ihn nicht entscheidend ist. Es sei simpel: Wenn ein Spieler richtig gut ist, dann entscheidet er sich automatisch für die deutsche Nationalmannschaft. Denn sie hat mehr Prestige und bietet mehr fußballerische Entwicklungsperspektiven. Nur diejenigen, die von vornherein wissen, dass sie es nicht in die deutsche Nationalmannschaft schaffen, entscheiden sich für die türkische.

An erster Stelle steht im Ethik-Kodex des DFB „Respekt und Vielfalt“. Hat der deutsche Fußball ein Problem mit Rassismus?

Der DFB hat mit Kampagnen wie „Zeig Rassismus die Rote Karte“ Zeichen gegen Rassismus gesetzt. Das Engagement gegen Rassismus im Fußball hat unter dem ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger eine wichtige Rolle gespielt. Im Fußball gibt es Rassismus, weil Fußball ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Gleichzeitig ist der Fußball eine eigene Welt mit eigenen Kriterien, zum Beispiel, was die Frage nach Zugehörigkeit und Zugang zu Ressourcen betrifft. Du wirst stärker an deinen fußballerischen Fähigkeiten und weniger an Herkunft, Religion oder Aussehen gemessen: Wenn du auf dem Platz überzeugst, dann merkst du schnell, wie dein Ansehen steigt und wie du umgarnt wirst. Ich möchte es vereinfacht so sagen: Auch im Fußball gibt es Rassismus, aber die strukturellen Formen der Ausgrenzung sind weniger entscheidend als beispielsweise jene auf dem Wohnungsmarkt oder im Bildungssystem.

Im Anschluss an Özils Rücktritt ist der Hashtag #MeTwo populär geworden. Darunter erzählen Menschen von persönlichen Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Wie hoch ist der Gehalt dieser Debatte?

Ich bin froh, dass die individuellen Erfahrungen mit Rassismus jetzt in den sozialen Medien geteilt werden. Wie erbost und irritiert viele auf diese Geschichten reagieren, zeigt, dass da wirklich was in Bewegung geraten ist.

 „Eine stärkere Auseinandersetzung mit Rassismus gehört ins Pflichtenheft der Mehrheitsgesellschaft“

Warum brauchte es dafür den Fall Özil?

Die Debatte um Özil bringt die merkwürdige Geschichte vom „Erfolgsmigranten“ ins Wanken. Migranten wird oft gesagt: „Seid erfolgreich, dann seid ihr auch kein Problem.“ Özil ist erfolgreich, auch wenn er eine wenig überzeugende WM gespielt hat. Aber welcher deutsche Nationalspieler hat in Russland überhaupt überzeugt? Özil war in den letzten Jahren immer ein „Vorzeigemigrant“, dem 2010 sogar der Bambi für „Integration“  verliehen wurde, was ich damals schon schräg fand. Gestern Role Model, heute Buhmann – so schnell kann das gehen.

Steht dem Hashtag #MeTwo eine ähnliche Karriere wie #MeToo bevor, mit dem vor allem Frauen von sexueller Belästigung berichten?

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Imran Ayata (picture-alliance / dpa )

Imran Ayata ist Autor, Campaigner und DJ. Zuletzt erschien sein Roman „Ruhm und Ruin“, Verbrecher Verlag, Berlin 2015

(picture-alliance / dpa )

Ich sehe keine so nachhaltige Debatte. Dafür müsste Deutschland sich viel klarer als eine Einwanderungsgesellschaft verstehen, die über Rassismus differenziert sprechen kann. Das Wissen darüber, was Rassismus ist und wie er sich äußert, steckt in Deutschland noch immer in den Kinderschuhen. Wenn man von Rassismus spricht, wie es jetzt unter #MeTwo passiert, entsteht sofort eine Abwehrhaltung. Dann machen die Leute dicht, fühlen sich persönlich angegriffen: Sie seien kein Rassisten. Das hat viel mit der deutschen Geschichte zu tun.

Das Wort „Rassismus“ muss in Deutschland also ‚sagbarer‘ werden?

Rassismus, so wie ich diesen Begriff verwende, basiert nicht auf biologischen Konzepten. Der franzöische Denker Étienne Balibar hat schon in den 1990er-Jahren von einem „Rassismus ohne Rasse“ gesprochen. Heute determinieren vor allem kulturelle Kategorien Rassismus. Für mich ist Rassismus ein dynamisches ideologisches Feld, in dem viele kulturelle, historische und biologische Muster miteinander verwoben werden. Und diese Form des Rassismus gibt es selbstverständlich auch in Deutschland. Doch die gute Nachricht ist: Die Existenz des Rassismus macht nicht jeden zum Rassisten. Aber: Eine stärkere Auseinandersetzung mit Rassismus gehört ins Pflichtenheft der Mehrheitsgesellschaft.

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Titelbild: Thomas Eisenhuth / picture alliance / GES

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