Noch sieht der schmale Streifen Land aus wie ein gewöhnliches brachliegendes Feld, bereit für die Aussaat. Er befindet sich auf dem Gelände in Berlin-Marzahn, wo im kommenden Jahr zwischen Plattenbauten, die noch in der DDR errichtet wurden, die Internationale Gartenausstellung (IGA) eröffnen wird. Doch auf dieser Parzelle sollen den Besuchern nicht etwa hübsche Blumen vor Augen geführt werden, sondern die Auswirkungen ihrer Essgewohnheiten.

Es handelt sich um ein Projekt namens „Weltacker“: Ein Feld von 2.000 Quadratmetern und damit exakt jener Größe, die jedem Erdenbürger rein rechnerisch als Agrarfläche zustehen würde. Auf diesem überschaubaren Stück Land soll anteilig wachsen, was weltweit gesät und geerntet wird. Das Konzept soll zeigen, dass angeblich sehr wenig von dieser Fläche tatsächlich für die direkte Ernährung der gesamten Weltbevölkerung genutzt wird – und rund ein Viertel der globalen Ackerfläche für den Fleischhunger der wenigen Wohlhabenden draufgeht. Betrachtet man den „Weltacker“, dann dominieren gerade mal vier Früchte: Weizen, Mais, Reis und Soja belegen mehr als die Hälfte der globalen Anbaufläche. Die Ernte dieser vier Pflanzen wird jedoch hauptsächlich zu Tierfutter verarbeitet.

„Die Baumwolle erzählt vom fehlenden Lebensmittelanbau in Afrika. Die Sojapflanze vom Tierfutteranbau in Brasilien.“

Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat sich die weltweite Fleischproduktion in den vergangenen 50 Jahren mehr als vervierfacht. 2014 verbrauchte ein Erdenbürger im Schnitt etwa 43 Kilo Fleisch pro Jahr. Die Deutschen waren mit fast 88 Kilo pro Person sogar doppelt so fleischhungrig. 2014 produzierte die deutsche Industrie so viel Fleisch wie nie, insgesamt mehr als 8,2 Millionen Tonnen. Die dafür notwenige Menge an Futtermittel wird jedoch nicht in Deutschland angebaut. Die bei Landwirten beliebte Soja-Futterbasis wird zum größten Teil importiert.

Jährlich bezieht die Europäische Union nach Angaben von WWF Deutschland etwa 35 Millionen Tonnen Sojabohnen und andere Sojaprodukte vor allem aus Südamerika. In deutschen Futtertrögen landen rund 4,5 Millionen Tonnen Sojaschrot. Nimmt man Bohnen und Öle hinzu, führt Deutschland im Jahr fast 8,5 Millionen Tonnen an Sojaprodukten ein. Und das bringt, folgt man der Argumentation der „Weltacker“-Macher von der IGA, vielfältige Probleme mit sich: Monokulturen und Landraub im Ausland, massive Abholzung von Urwäldern für den Futtermittelnbau, Marktkonzentration und Artensterben auch bei uns. Folgen, die auch die IGA-Besucher am „Weltacker“ auf Infotafeln nachlesen können „Jede Pflanze erzählt eine Geschichte“, sagt Luise Körner, die das Projekt koordiniert. „Die Baumwolle erzählt vom fehlenden Lebensmittelanbau in Afrika. Die Sojapflanze vom Tierfutteranbau in Brasilien.“

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Hier wird ein großes Themenfeld abgesteckt: Auf diesem Stück Land wollen Aktivisten von „Weltacker“ während der Internationalen Gartenausstellung zeigen, wie ungerecht die Agrarflächen weltweit verteilt sind (Foto: Leon Reindl)

Hier wird ein großes Themenfeld abgesteckt: Auf diesem Stück Land wollen Aktivisten von „Weltacker“ während der Internationalen Gartenausstellung zeigen, wie ungerecht die Agrarflächen weltweit verteilt sind

(Foto: Leon Reindl)
 

Wegen des hohen Proteingehalts gilt Soja als „Wunderbohne“. 110 Millionen Hektar nimmt der weltweite Anbau mittlerweile in Anspruch, eine Fläche dreimal so groß wie die Bundesrepublik. Zwischen 1960 und 2009 hat sich die Sojaproduktion fast verzehnfacht. Vor allem in Südamerika legte die Bohne ziemlich zu: 2010 zählten Brasilien, Argentinien und Paraguay zu den vier Ländern, die zusammen 93 Prozent der globalen Sojaernte einfuhren. In Argentinien haben sich die Anbauflächen seit 2000 fast verdreifacht, in Brasilien mehr als verdoppelt. Deutschland beansprucht allein in Brasilien eine Fläche von der Größe Schleswig-Holsteins für seine Soja-Importe, rechnet der WWF in der Studie „Fleisch frisst Land“ vor.

Der „Weltacker“ will zeigen, dass die Soja-Monokulturen jedoch nicht nur artenreiche Naturräume wie den brasilianischen Cerrado, eine Savanne von der Größe Alaskas in Zentralbrasilien, gefährden. Sie bedrohen auch die Existenz von Kleinbauern, die häufig von ihrem Land verjagt und für Hungerlöhne von Großgrundbesitzern angestellt werden, die sich auf Anbau von Sojabohnen im großen Stil spezialisiert haben. Auch die brasilianische Kommission für Landpastorale Comissão Pastoral da Terra (CPT) beklagt diese Form des Landraubs seit vielen Jahren. Mittlerweile, schlägt die nationale Landlosenbewegung „Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra“ (MST) Alarm, können rund fünf Millionen Familien nicht mehr von der Landarbeit leben. Sie besitzen zu wenig oder gar kein Land. Laut der nationalen Statistikbehörde IGBE gehören einem Prozent der brasilianischen Agrar-Großbetriebe 50 Prozent der Landfläche.

Monokulturen bedrohen die Existenz von Kleinbauern, die häufig von ihrem Land verjagt werden und für Hungerlöhne von Großgrundbesitzern angestellt werden

Und folgt man den Kritikern, dann bringt das noch eine andere große Gefahr für die Menschen vor Ort mit sich: Pestizide. Brasilianische oder argentinische Großgrundbesitzer bauen die Futterpflanze in riesigen Monokulturen an. Um kurzfristig hohe Erträge zu sichern, sprühen sie große Mengen an Pestiziden und synthetischen Düngemitteln – teilweise mit Hilfe von Sprühflugzeugen. Der Einsatz von Pflanzengiften hat sich vervielfacht, seit gentechnisch veränderte Pflanzen auf dem Markt sind. Denn Gen-Mais oder Gen-Soja können so gestaltet werden, dass sie gegen die Unkrautvernichter resistent sind. Die Bauern können die Pestizide dann auch nach der Aussaat spritzen. So verlieren sie weniger von der Ernte, gefährden aber ihre Gesundheit beziehungsweise die ihrer Feldarbeiter.

In Argentinien, das vor 20 Jahren die erste Gen-Sojapflanze erlaubte, verseuchen die den Ertrag steigernden Pflanzengifte die Böden. Argentinische Ärzte wollen festgestellt haben, dass das Krebsrisiko in der Provinz Santa Fé zwei bis viermal höher liegt als im Rest des Landes. 2012 verurteilte die argentinische Justiz erstmals einen Landbesitzer für das Besprühen seiner Felder. Der Richter sah es als erwiesen an, dass 169 der 5.000 Einwohner von Ituzaingó Anexo durch den Einsatz von Pestiziden an Krebs erkrankten oder starben.

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Ziemlich rührig in Sachen Landwirtschaft und Gerechtigkeit: Luise Körner und Gerd Conradt vom Projekt „Weltacker“ (Foto:  Leon Reindl)

Ziemlich rührig in Sachen Landwirtschaft und Gerechtigkeit: Luise Körner und Gerd Conradt vom Projekt „Weltacker“

(Foto: Leon Reindl)

Argentinische Wissenschaftler des Netzwerkes REDUAS (Red Universitaria de Ambiente y Salud) machen Unkrautvernichtungsmittel wie Glyphosat dafür verantwortlich, das weltweit meistverkaufte Herbizid. Marktforscher der Global Industry Analysts schätzen, dass im Jahr 2017 1,35 Millionen Tonnen Glyphosat gespritzt werden. Der US-Konzern Monsanto, von dem rund 90 Prozent aller gentechnisch veränderten Pflanzen stammen, ist auch hier Marktführer. Sein Top-Pestizid „Roundup“ ist auf seine eigenen gentechnisch veränderten Pflanzen namens „RoundupReady“ abgestimmt. Um seine Marktmacht zu sichern, kauft Monsanto weltweit Saatguthersteller auf, sichert sich die Patente an glyphosat-resistenten Gen-Pflanzen und verbietet Bauern, die bei Monsanto Pestizide kaufen, ihr eigenes Saatgut zu verwenden. Ähnlich agieren auch andere Großkonzerne, die nach eigenen Angaben setzen sie jährlich Milliarden mit Pestiziden und dazu passendem Saatgut umsetzen.

Monsanto bestreitet, dass seine Pestizide die Umwelt und die menschliche Gesundheit gefährden: „Alle zugelassenen Anwendungen von Glyphosat sind sicher für die menschliche Gesundheit“, heißt es in einer Stellungnahme des Konzerns. Ein Zusammenhang zwischen Krebs und Glyphosat sei durch wissenschaftliche Daten nicht feststellbar. Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) hatte das Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat vergangenes Jahr als wahrscheinlich krebserregend eingestuft.

Monokulturen bedrohen die Existenz von Kleinbauern, die häufig von ihrem Land verjagt werden und für Hungerlöhne von Großgrundbesitzern angestellt werden

Auch wenn in der EU gentechnisch veränderte Pflanzen bislang nicht zugelassen sind – Großkonzerne wie Monsanto, Syngenta, Bayer Cropscience oder auch die deutsche KWS Saat kontrollieren bereits mehr als die Hälfte des europäischen Saatgutmarktes. 2013 schlug die EU-Kommission eine Vereinheitlichung des Saatgutes vor. Eine solche hätte jedoch kleine Saatgutzüchter noch weiter vom Markt gedrängt, befürchteten Kritiker. Das EU-Parlament lehnte den Entwurf ab.

Das Projekt „Weltacker“ will auf die heimische Vielfalt aufmerksam machen. Dass es auch Urgetreidesorten wie Einkorn und Emmer gibt

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„Der Weltacker soll uns vor Augen führen, dass genug für alle da ist.“ Bis dahin muss aber noch ziemlich geackert werden (Foto: Leon Reindl)

„Der Weltacker soll uns vor Augen führen, dass genug für alle da ist.“ Bis dahin muss aber noch ziemlich geackert werden

(Foto: Leon Reindl)
 

Trotz dieser Erfolge macht sich die Marktkonzentration bereits auf deutschen Äckern bemerkbar, sagt Volker Gehrmann von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, die auch das Weltacker-Projekt finanziert und den Anbau gentechnikfreier Lebens- und Futtermittel fördert. Denn mit der Vermarktung und Ausdehnung einzelner Standardsorten für Mais, Soja oder Weizen stürben andere Sorten in der Landwirtschaft aus: „In den vergangenen 100 Jahren rund drei Viertel aller Sorten“, sagt Gehrmann. Der Bauernverband spricht von einem „Strukturwandel“. In den letzten 25 Jahren habe ein Viertel der Saatguthersteller den Betrieb eingestellt, sagt Katja Börgermann, die beim Bauernverband unter anderem für Saatgut und Gentechnik zuständig ist Insgesamt sei man heute mit 58 Saatgutzüchtern aber „gut aufgestellt“. Auch beim Thema Artenvielfalt: Landwirte könnten jährlich aus mehr als 3.100 zugelassenen Sorten wählen. Jedes Jahr kämen 200 neu hinzu.

Auf die heimische Vielfalt will auch der Weltacker aufmerksam machen. Dass es statt Weizen und Roggen auch Urgetreidesorten wie Einkorn und Emmer gibt, das sollen die Besucher im Gespräch mit dem „Weltacker“-Team erfahren. Das primäre Ziel sei aber, unseren Konsum zu spiegeln, sagt Projektleiterin Luise Körner: „Der Weltacker soll uns vor Augen führen, dass genug für alle da ist.“