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Zu schön um wahr zu sein

Die Influencerin „Lil Miquela“ ist jung, hübsch und hat 1,5 Millionen Follower auf Instagram. Nur Geld verdient sie selbst keines – sie ist computeranimiert

Lil Miquela (Bild: COURTESY OF BRUD)

Auf den ersten Blick ist Miquela Sousa eine gewöhnliche Influencerin. Ihren Followern präsentiert sich die 19-Jährige in Markenklamotten oder beim Abhängen mit ihrer Clique. Sie bewirbt ihre Musik und teilt linkspolitische Überzeugungen. Auf den zweiten Blick jedoch löst sie Verunsicherung aus: Denn „Lil Miquela“ ist nicht real. Sie ist 3-D-animiert.  

Miquela wurde 2016 erschaffen. Seitdem ist ihr Instagram-Account Schauplatz wilder Spekulationen: So ging anfangs das Gerücht um, es handele sich um Werbung für ein neues „Sims“-Spiel. Bekannt ist inzwischen: Ihrem Schöpfer, einem Unternehmen namens Brud, brachte sie im letzten Jahr sechs Millionen Dollar Risikokapital aus dem Silicon Valley ein; eine weitere Finanzierungsrunde läuft gerade. Einer der beiden Gründer – Trevor McFedries – arbeitet auch als DJ und Produzent, zum Beispiel für Katy Perry. Was die Intention der Firma aus L.A. ist, wer genau von Miquela profitiert und wie viel künstliche Intelligenz am Werk ist, wird dagegen eisern verschwiegen – was den Hype nur verstärkt.

Willkommen im „Tal des Unheimlichen“

Miquela ist nicht allein. Momentan zieht vor allem ein weiterer Instagram-Account große Aufmerksamkeit auf sich: Shudu, das erste digitale Supermodel. Hinter dieser täuschend echt aussehenden Erscheinung steckt der britische Fotograf Cameron-James Wilson, der kürzlich die erste Agentur für digitale Models gründete. Die Reaktionen reichen von ehrfürchtiger Faszination bis zu schockierter Ablehnung: Ein weißer Mann erschafft eine schwarze Frau, um von ihr zu profitieren – und macht, so die Kritik, damit womöglich auch noch echten Frauen of color die ohnehin raren Modeljobs streitig.

Mittlerweile entlarvt man 3-D-Models nicht mehr auf den ersten, sondern erst auf den zweiten oder dritten Blick. Meistens ist es zunächst ein unheimliches Gefühl, das stutzig macht. Es lässt sich schwer in Worte fassen, weshalb ein eigener Begriff dafür erfunden wurde: das „Uncanny Valley“.

Der Begriff des Uncanny Valley – des „Tal des Unheimlichen“ – wurde erstmals in den Siebzigern von dem japanischen Robotiker Masahiro Mori verwendet. Er erforschte, welchen Robotern wir vertrauen und welchen nicht. Man würde zunächst annehmen, dass wir künstlichen Figuren eher trauen, je mehr diese uns ähneln. Die Praxis zeigt aber: Sobald eine Figur stark menschenähnlich aussieht, aber eben nicht komplett, fällt die Vertrautheit rapide ab: in das Uncanny Valley. Erst ab einem Grad, an dem wir das Künstliche nicht mehr vom Menschen unterscheiden können, steigt die Akzeptanz wieder. Das bestätigt sich besonders eindrucksvoll bei Animationsfilmen: Während wir tollpatschige gelbe Wesen in Latzhosen niedlich finden („Ich, einfach unverbesserlich“), gruseln wir uns vor realistisch animierten Menschen („Der Polarexpress“).

Wie real sind überhaupt reale Influencer?

Nichtsdestotrotz hat Miquela 1,5 Millionen Follower, die sie ebenso anhimmeln wie ihre menschlichen Pendants. Wie ist das möglich? Eine spannende Antwort hätte wahrscheinlich der französische Medienkritiker Jean Baudrillard, der allerdings 2007 und damit drei Jahre vor der Einführung Instagrams verstorben ist. So oder so ähnlich hätte sie wohl gelautet: Reale und animierte Influencer unterscheiden sich gar nicht.

Baudrillard war schon in den Siebzigern der Meinung, dass Medien nicht nur Werkzeuge sind, die Informationen vermitteln. Sie können auch etwas Reales generieren, ohne dass es dabei in der Realität verwurzelt sein müsste – so entstehen sozusagen Kopien ohne Original. Als Beispiel nannte er einmal die Ereignisse vom 11. September 2001: Weil sich die Bilder der Terroranschläge in Echtzeit mit Computersimulationen, Werbeblöcken oder musikalischer Untermalung vermischten, wurden die Anschläge zu einem virtuellen Weltereignis – einer Art Realityshow.

Das Internet ist – viel effektiver als Fernsehen oder Radio – imstande, neue Realitäten zu erschaffen. Jeder und jede kann sich eine eigene Wirklichkeit generieren. Auch deshalb ist der Fake-Begriff in aller Munde. 

Ein neues Level von Perfektionismus

Auch Miquela und Shudu sind im Grunde Kopien ohne Original. Von Internetstars aus Fleisch und Blut unterscheidet sie das nur bedingt: Auch menschliche Influencer werden erst auf unseren Smartphone-Bildschirmen zu dem, was sie sind. Die Berichterstattung erschafft das Weltereignis – und Instagram erschafft den Influencer. 

Und die 3-D-Models sind erfolgreich – vielleicht nicht trotz, sondern wegen der komplexen ethischen Fragen, die sie aufwerfen. Befeuern diese perfekten Wesen unsere ohnehin schon unrealistischen Schönheitsstandards? Wem gehört ihre Identität? Und was ist Authentizität überhaupt?

Zumindest eine Sache unterscheidet die digitalen Influencer dann aber doch stark von ihren realen Pendants: Sie machen uns auch ohne Hintergrundrecherche stutzig. Das entscheidende Veto kommt von einer Instanz, die von den Eindrücken der digitalisierten Welt vielleicht noch unberührt ist: unserer Intuition. Möglicherweise finden Miquela und Co. deswegen schon bald im Uncanny Valley ihre letzte Ruhe. Aber vielleicht ist das auch erst der Anfang.

Titelbild: courtesy of  BRUD

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.