Ein Panorama wie aus dem Bilderbuch: Majestätisch schraubt sich der Vulkan Corcovado in den Anden Patagoniens in die Höhe. An der Bergspitze sammeln sich Schnee und Eis, wie verlorene Punkte klettern ein paar Männer unter widrigen Bedingungen der Spitze entgegen. An der tosenden Küste vor dem Vulkan gleitet indes ein Surfer durch die Brandung. Jeff Johnson und seine Begleiter sind am Ziel ihrer knapp fünfwöchigen Reise angekommen, deren Verlauf "180° South" dokumentiert.
Patagonien revisited
Im Jahr 1968 unternahmen die Umweltaktivisten Yvon Chouinard und Doug Tompkins eine Expedition nach Patagonien, die schließlich eines der weltweit größten Umweltschutzprojekte ins Rollen brachte. Heute stehen rund 3.000 km² Patagoniens im sogenannten "Conservacion Patagonica Land Trust" unter Naturschutz. Genau vierzig Jahre später, im Jahr 2008, trat der amerikanische Abenteurer und Buchautor Jeff Johnson in die Fußstapfen seiner Idole und brach mit einigen Mitstreitern ebenfalls Richtung Patagonien auf. Johnsons Nachstellung der legendären Expedition von 1968 gibt den Anlass für eine Dokumentation, die immer wieder Geschichten am Wegesrand aufsammelt und eine kritische Position zu den vielfältigen Eingriffen der Menschen in die Natur bezieht.
Vordergründig ist es das Ziel der Expedition, den 2.300 Meter hohen Corcovado zu erklimmen, der teilweise von Schnee und Eis bedeckt ist und als schwer bezwingbar gilt. Daneben halten Johnson und seine Begleiter auf der Reise nach Südwestchile Ausschau nach geeigneten Küsten, um ihrer zweiten Leidenschaft nachzugehen: dem Surfen. Jeff Johnson, der die nachgestellte Expedition anhand seiner Reisetagebücher aus dem Off kommentiert, tändelt seit Jahren auf der Suche nach neuen sportlichen Herausforderungen durch die Welt. Er selbst und seine Begleiter treten in "180° South" als dementsprechend bärtige und markige Typen auf, die den Charme des Films zu einem Gutteil ausmachen.
Kultureller Verfall einer Landschaft
In einer zentralen Episode stranden die Abenteurer mit ihrem Segelboot auf der Osterinsel Rapa Nui. Eigentlich wollen die Kumpanen nur einige Reparaturen am Segelboot bewerkstelligen, doch es entspinnt sich ein längerer Zwischenhalt. Schnell lernen die Globetrotter eine Einheimische kennen, die ihnen die Kulturgeschichte der Osterinsel näherbringt und die Reisegruppe spontan nach Patagonien begleitet. In einer Scherenschnitt-Animation erklärt "180° South" den dramatischen kulturellen Verfall der Osterinsel: Die Ureinwohner wollten sich mit stets größeren und beeindruckenden Steinstatuen gegenseitig übertrumpfen und ausstechen. Für den Transport und Bau der Statuen waren Massen an Holz notwendig, so dass Rapa Nui schließlich fast vollständig abgeholzt war. Dieses Bild, das "180° South" gleichsam nebenbei aufgreift, projiziert Jeff Johnson im weiteren Verlauf der Expedition auf ökologische Katastrophen wie die Überfischung entlang der chilenischen Küste. Die Osterinsel-Episode ergibt sich zwar zufällig, taucht fortan aber immer wieder als sinnstiftende Metapher auf.
Formal orientiert sich Regisseur Chris Malloy an einschlägigen Extremsport-Dokus. Regelmäßig zeigen Go-Pro-Kameras die Reisenden bei Wellengängen auf ihren Surfbrettern, wobei Gitarren-lastige Songs von Jack Johnson und anderen ein Gefühl von Freiheit und Lagerfeuer-Idylle vermitteln. In ihrer Häufigkeit erscheinen diese Surf-Impressionen zwar etwas austauschbar, doch im Gesamtbild erfüllen sie einen praktischen inhaltlichen Zweck und verweisen auf die Schönheit der Natur, die es zu schützen gilt.
Naturburschen unter sich
Im Mittelpunkt von "180° South" steht die Naturverbundenheit der Protagonisten, die in Wort und Bild immer wieder zum Tragen kommt. Während der Film die Hektik in der chilenischen Hauptstadt Santiago mit Zeitraffer-Aufnahmen darstellt, kommen bei den Surf-Impressionen elegische Zeitlupen zum Einsatz. In steter Regelmäßigkeit verweist der Kommentar von Jeff Johnson auf die Zerbrechlichkeit der Natur und die Pflicht des Menschen, selbige zu bewahren. In Patagonien schlägt sich der Film daher auf die Seite einiger Gauchos, die gegen den Bau eines riesigen Staudamms demonstrieren.
So tritt der Reisebericht nicht nur geografisch in die Fußstapfen der Johnson-Idole Yvon Chouinard und Doug Tompkins, sondern eignet sich auch deren ökologische Botschaft an. Alleine die vielen imposanten Eindrücke von entfernten Gegenden und entlegenen Landschaften, die ein gewisses Fernweh aufkommen lassen, vermitteln ein Gefühl dafür, dass die letzten unberührten Flecken der Erde besondere Schutzmaßnahmen benötigen. Die Kritik am kopflosen Verbrauch von Ressourcen und die Seitenhiebe auf die Konsumgesellschaft im Allgemeinen rücken während der Reise zum Corcovado immer stärker ins Zentrum, was "180° South" letztlich von vielen anderen Dokus über Bergsteiger oder Surfer unterscheidet. Denn hier liegt das Hauptaugenmerk nicht so sehr auf der Abenteuerlust der Protagonisten, sondern vielmehr auf der Natur selbst, die eine solche Reise überhaupt erst möglich macht – und die in näherer Zukunft vielleicht ausgebeutet, zugepflastert und bis zum Äußersten geschröpft am Boden liegt.