Mit blutverschmierten Händen steht ein verstörter Junge in Schuluniform hinter einer Fassade aus Glas. Auf der anderen Seite: Blaulicht, Polizei und Sirenengeheul. Wie ein Thriller beginnt die spanische Serie „Elite“. Doch der Mord an der 16-jährigen Marina (María Pedraza), der in Rückblenden aufgeklärt wird, dient in diesem Teenagerdrama vor allem dazu, den Spannungsbogen zu halten. Viel interessanter als die Frage, wer für Marinas Tod verantwortlich ist, sind die Familiengeschichten der Schüler an der Privatschule Las Encinas. Über sie werden – streckenweise leider überfrachtet mit Drama und Intrigen – Themen wie Rassismus, Homosexualität und vor allem soziale Herkunft verhandelt.
Die Architektur ist modern, aalglatt und ziemlich protzig – wie die Schüler auch
Auf den ersten Blick könnte Las Encinas in Florida oder Kalifornien sein, ist aber in Madrid. Hinter einem künstlichen Flussbett liegt von Palmen umsäumt ein langer weißer Flachbau mit Glasfassade. In rot-weißer Uniform strömen Schüler und Schülerinnen ins Gebäude – hinein in weitläufige Gänge aus noch mehr Glas und Beton. Die Architektur ist modern, aalglatt und ziemlich protzig – wie die Schüler auch. Wären da nicht Nadia (Mina El Hammani), Christian (Miguel Herrán) und Samuel (Itzán Escamilla). Anders als ihre Mitschüler hängen sie nicht am Pool ihrer Villen ab, sondern arbeiten im Gemischtwarenladen der Eltern oder kellnern im Restaurant. Als in ihrer alten Schule das Dach einstürzt, vergibt die verantwortliche Baufirma drei Stipendien für Las Encinas, um ihr angekratztes Image aufzupolieren.
Doch dort wird den drei Außenseitern das Leben nicht leicht gemacht. Ihre Mitschüler lassen keine Gelegenheit ungenutzt, sie wegen ihrer sozialen Herkunft bloßzustellen. Nadia trifft es dabei gleich auf doppelte Weise: Sie wird rassistisch beleidigt und von der Schulleitung aufgefordert, ihr Kopftuch abzulegen. Die Diplomatentochter und bisherige Klassenbeste Lucrecia (Danna Paola) hat Angst, dass Nadia ihr ihren Platz streitig macht. „Wollen Sie ein Mädchen fördern, das frauenfeindliche Werte vertritt?“, fragt sie in einer Folge ihren Lehrer.
Samuel wird gleich in der ersten Schulstunde als armer Kellner verhöhnt. Er versucht danach, im Schulalltag möglichst nicht aufzufallen, und schluckt die täglichen Beleidigungen runter. Nur Christian lässt sich nicht einschüchtern. Er reagiert selbstbewusst auf die Attaken. Sein Motto: Ich bin nicht zum Lernen hier. Sondern um Kontakte mit den Reichen und Einflussreichen zu knüpfen. So freundet er sich mit Ander (Arón Piper), dem Sohn der Schulleiterin, an und beginnt eine Affäre mit der adligen Carla (Ester Expósito).
In diesem latenten Softporno-Setting fehlen Momente der Verletzbarkeit, des Zweifelns
Doch während er mit Carla schläft, schaut ihr langjähriger Freund zu und holt sich einen runter. Sie nutzen den Wunsch Christians, Zutritt in ihre Welt zu bekommen, aus und machen ihn zum Objekt. Bis auf die muslimische Schülerin Nadia und den schüchternen Samuel sind die Teenies in „Elite“ extrem selbstbewusst in ihrer Sexualität. In diesem latenten Softporno-Setting fehlen Momente der Verletzbarkeit, des Zweifelns in der gemeinsamen Intimität. Die Jugendlichen haben nicht nur perfekt choreografierten Sex, sie sind auch immer perfekt gestylt – vor allem die Mädchen. Selbst Marina, die als HIV-Positive die Rolle der Rebellin übernimmt und aus der Welt des Überflusses ihrer Eltern ausbrechen will, trägt die meiste Zeit Designerklamotten.
So spricht die Serie zwar wichtige und ewige Jugendthemen an, verbleibt aber in einer Hochglanzoptik, die an schlechte Hollywoodserien wie „Gossip Girl“ erinnert. Dadurch entsteht das Gefühl, die Macher der Serie konnten sich nicht so richtig zwischen Highschool-Thriller und Sozialdrama entscheiden. Dem Erfolg tat das keinen Abbruch: Eine zweite Staffel hat Netflix schon in Auftrag gegeben.
Foto: Netflix