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Wo die Angst zu Hause ist

Wie es war, als aus den Jungs von nebenan Nazis wurden: Manja Präkels’ Debütroman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erzählt vom Erwachsenwerden in einer brandenburgischen Kleinstadt

  • 2 Min.

Puh! Ein bisschen platt lässt einen Manja Präkels’ Romandebüt schon zurück. So kann man sich das also vorstellen, das Aufwachsen in der ostdeutschen Provinz inmitten all der Glatzen, die damals nach der Wende anscheinend dort aus dem Boden sprossen. Präkels weiß, wovon sie schreibt. Es ist auch ihre Geschichte. Und dass ihr Buch ein Roman ist, heißt nicht, dass sie die Geschehnisse darin erfunden hat. Eher ist es vielleicht so, dass man die fiktionale Form wählen muss, um das alles erzählen zu können.

Präkels, geboren 1974 im brandenburgischen Zehdenick, schreibt in der ersten Person. Ihre Ich-Erzählerin heißt Mimi, die Stadt, in der sie lebt, wird „die Havelstadt“ genannt. Mimi gehört einer ganz besonderen Generation an, einer, die aufwächst in dem einen politischen System und erwachsen werden muss in dem anderen. Ihre Mutter ist eine „Rote“, arbeitet als Pionierleiterin an der Grundschule und geht ganz auf in ihrer Arbeit und dem Glauben an den Sozialismus. Mimis Vater hat Diabetes, und seine Krankheit überschattet immer wieder das ansonsten harmonische Familienleben. Ein kleiner Bruder kommt dazu. Als der Hund dem Kleinkind zu nahe kommt, wird er im Wald ausgesetzt. Sowieso herrschen eher raue Sitten. Auf dem Schulhof schenken die Kinder sich nichts, und auch Mimi verfällt zwischendurch dem Zauber, der im gefühlten Recht des Stärkeren liegt, und hilft kräftig mit, ihre eigene beste Freundin zu jagen. Aber da eben raue Sitten angesagt sind, verzeiht man sich meistens irgendwann alles, und vielleicht trugen auch diese Erfahrungen irgendwie dazu bei, dass diese Freundin später bei den Nazis mitmacht. Aber das ist jetzt reine Hypothese, die vom Text nicht nahegelegt wird. Der Text gewichtet nämlich alles gleich und teilt nur mit, was passiert. Manja Präkels erzählt ganz geradeaus, schnörkellos; ihre Sätze machen keine Kunst, denn darum geht es hier nicht.

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Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß

Manja Präkels: Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß. Verbrecher Verlag, Berlin 2017. 280 Seiten, 20 Euro

Sie erzählt vom Erwachsenwerden in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. In der die Jungs von nebenan auf einmal zu rechtsextremen Skinheads mit rasierten Köpfen mutiert sind, die sich zusammenrotten, um Angst und Terror zu verbreiten. Oliver, dessen Familie neben Mimis Familie wohnt und der einst Mimis bester Kindheitsfreund war, wird nur noch „Hitler“ genannt. Nach der Wende gibt er den Obernazi und kontrolliert zudem den Drogenhandel in der kleinen Stadt. Mimi und ihre Freunde sind auf einmal die „Zecken“. Die Erwachsenen sagen nur, sie sollten doch die Nazis „nicht provozieren“. Einer von Mimis Freunden wird totgeschlagen. Und als Mimi und ihre Freunde ein Musikfestival organisieren, das die Nazis stürmen wollen, zieht die Polizei irgendwann ab und überlässt ihnen das Feld.

Dazwischen passieren auch noch andere, normale Coming-of-Age-Dinge wie erster Sex, erste Liebe, erstes Moped. Manches schön, anderes weniger schön. Mimi schreibt Gedichte und wird Mitarbeiterin bei der Zeitung der nächsten Kreisstadt. Doch immer wieder muss sie die Angst vor dem Neonaziterror überwinden, wenn sie nur ganz normal leben will. 

Manja Präkels entwirft keine ausgefeilte narrative Dramaturgie. Ihr Roman kommt daher wie eine rein chronologische Zustandsbeschreibung; die Ereignisse geschehen halt nacheinander, und in derselben Weise muss auch von ihnen erzählt werden. Die sehr sachliche, oft extrem verknappte Erzählweise ist aber ungemein wirkungsvoll. Sozusagen an den Rändern der Berichterstattung blitzt all das hervor, was nicht explizit ausgesprochen wird: das Komische wie das Tragische, die guten und die schlimmen, die großen und die kleinen Gefühle. Und so ganz nebenbei packt sie einen beim Lesen fest am Nacken, die Havelstädter Kleinstadtchronik. 

Ideal für...

... alle, die die ungeschönte Geschichte einer ostdeutschen Kleinstadt lesen wollen. Und als Parallellektüre zu Moritz von Uslars Deutschboden, das ebenfalls in Zehdenick spielt. 

Titelbild:  Tom Stoddart/Getty Images

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.