In wenigen Stunden werden sich die Präsidentschaftskandidaten der USA beim zweiten TV-Duell im fernen St. Louis so erbittert duellieren wie selten zuvor. Sie werden sich zur Begrüßung nicht einmal die Hand geben. Es werden Beleidigungen ausgesprochen und mit Gefängnis gedroht. Die Kandidaten werden von sich sagen, dass sie um die Zukunft ihres Landes kämpfen, und dieses Land selbst als „gespalten“ bezeichnen. Doch die größte Auslandsgemeinde des US-Militärs – rund um Kaiserslautern in Rheinland-Pfalz – lauscht an diesem Sonntag lieber nostalgischen Gitarrenriffs statt den schrillen Tönen des Wahlkampfes.
„Anyway you want it“ – dieser Song ist jetzt wie eine musikalische Reise in die wilden 80er. Und wen gerade der Mut verlässt, dem rufen die Musiker mitreißend bis melancholisch zu: „Don’t stop believin’!“ Nur sehen sie so gar nicht wie langmähnige Stadionrocker aus. Sie tragen ihr Haar akkurat, dazu dunkelblaue Hosen und hellblaue Hemden mit Epauletten an den Schultern. Sie sind Militärangehörige aus den USA und ihre Bühne steht in einem Festzelt in dem Dorf Landstuhl. Hier wird, zwischen Fachwerk und gewundenen Gassen, heute Oktoberfest gefeiert.
„Mir gefällt gerade der Gedanke, in einem ganz anderen Land zu wohnen. In Republik K-Town!“
Auf den langen Bierbänken sitzen sowohl Deutsche als auch US-Soldaten mit ihren Familienmitglieder und Mitarbeiter der zahlreichen Kasernen der US-Armee in dieser Gegend. Viele klatschen Beifall, manche schunkeln, fast alle trinken Bier aus Maßkrügen. Aber beinahe nur die Amerikaner tragen Dirndl und Lederhose. Ein Junge, der laut „Mom, mom!“ ruft, rennt in einem grünen Jägerhut umher.
Wollen die Amerikaner hier deutscher sein als die Deutschen? Während die ganze Welt gebannt dem Wahlkampf um das höchste Amt der USA folgen, scheinen viele der US-Bürger hier an diesem Tag ganz glücklich darüber zu sein, dass ein ganzer Ozean zwischen ihnen und ihrer Heimat liegt. Ein Amerikaner im gelbweiß karierten Hemd und kurzer Lederhose verzieht, angesprochen auf die Kandidaten Donald Trump und Hillary Clinton, schmunzelnd das Gesicht. „Mir gefällt gerade der Gedanke, in einem ganz anderen Land zu wohnen. Nicht USA, nicht Deutschland, sondern Republik K-Town!“
Der Ausdruck „K-Town“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt, als die Amerikaner diese Gegend von Rheinland-Pfalz, und vor allem die „Ramstein Air Base“, zum „Flugzeugträger des Westens“ ausbauten. Aktuell haben die US-Streitkräfte laut offiziellen Angaben gut 46.000 aktive Soldaten, Reservisten und zivile Mitarbeiter in Deutschland stationiert, die meisten davon in Rheinland-Pfalz. Ein stolze Anzahl, ist das US-Militär doch in den meisten Staaten der Erde vertreten – mit insgesamt 273.000 Frauen und Männern im Ausland.
Insgesamt leben Schätzungen zufolge 57.000 US-Bürger in Kaiserslautern und Umgebung, denn viele Soldaten bringen ihre Familien mit. Manche bleiben für immer.
„Viele stimmen eher gegen einen Bewerber, als aktiv jemanden zu unterstützen“
Das sind zwar sehr viele US-Amerikaner auf einem Fleck, dennoch handelt es sich bei ihnen nicht um einen Querschnitt der Gesellschaft der USA. Wie sich Militärangehörige vom durchschnittlichen US-Bürger unterscheiden, kann Sarah Wagner erklären. Sie ist Bildungsreferentin bei der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern, einer von der rheinland-pfälzischen Landesregierung gegründeten Institution, die sich den deutsch-amerikanischen Beziehungen widmet. „Natürlich ist das Militär kein monolithischer Block“, erklärt Wagner. Traditionell gebe es weniger Soldaten, die sich den Demokraten zurechnen. Bei den niedrigeren Dienstgraden sei Trump besonders beliebt, bei den Offizieren kann auch Clinton punkten. Insgesamt zeigt eine im September durchgeführte Umfrage der Zeitschrift „Military Times“, dass Clinton bei Militärangehörigen hinter Trump und dem libertären Kandidaten Gary Johnson zu dem Zeitpunkt nur an dritter Stelle lag.
„Genau wie in den USA gibt es aber auch unter US-Soldaten in Deutschland eine große Unzufriedenheit mit den Kandidaten“, erklärt Wagner. „Viele stimmen eher gegen einen Bewerber, als aktiv jemanden zu unterstützen.“ Rund um die Air Base winken denn auch viele US-Bürger gefragt nach ihrer politischen Meinung ab. „Politik ist eine deprimierende Angelegenheit“, sagt eine Frau in den Dreißigern, die mit einem US-Soldaten verheiratet ist. „Leider!“, fügt sie lachend hinzu. „Aber ein wichtiges TV-Ereignis gibt es heute wirklich. Football!“
Doch es scheint eben nicht alles wie immer, denn nicht nur Expertin Wagner und viele andere professionelle Beobachter erklären diesen Urnengang zu einer „besonderen Wahl“. Das liegt vor allem an Donald Trump, der mit seinem populistischen Stil kein gewöhnlicher Kandidat ist.
Weniger zurückhaltend äußern sich die Leute, die keine Mitglieder der US-Armee sind
Die Mitglieder der Band aus dem Festzelt erklären hingegen, über Politik zu diskutieren, komme ihnen nicht in den Sinn, Politik sei eher „etwas Privates“. In Deutschland gefalle es ihnen super, alle seien nett – und wer auch immer Präsident in den USA werde, sei dann ihr neuer Chef. „Es ist alles wie immer im Wahlkampf. Kein Grund zur Sorge!“
So fallen denn auch die Urteile über die zweite TV-Debatte weltweit vernichtend aus. Von der „hässlichsten Debatte der Geschichte Amerikas“ schreibt „Politico“, in Deutschland wertet „Spiegel Online“ sie als „Tiefpunkt des Wahlkampfs“, in den sozialen Medien gibt ein Post den allgemeinen Tenor besonders gut wieder: Es sei strittig, wer gewonnen habe, nur der Verlierer stehe fest: die USA.
Zu ähnlich drastischen Bewertungen kommen rund um „K-Town“ vor allem jene US-Bürger, die keine aktiven Soldaten sind. Sie äußern sich weniger zurückhaltend als die Leute von der Armee.
Patty und Penny etwa, beide Anfang 60, aus dem US-Staat Michigan und zu Besuch in Deutschland, finden beide Kandidaten „sehr peinlich“. Die beiden Frauen sind pensionierte Lehrerinnen und geben sich als Anhängerinnen der Demokraten zu erkennen. „Auch diesmal. Damit Trump nicht Präsident wird.“ In ihren Regenjacken und Wanderschuhen wirken die beiden wie auf dem Sprung in die Natur. „Es ist unglaublich wie Trump über Frauen spricht, das darf nicht sein“, erklärt Patty. Den politischen Konflikt müsse sie auch zu Hause austragen – ihr Mann sei für Trump. „Wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig werden.“ Penny sagt: „Ich bekomme tatsächlich Angst, wenn ich mir das ansehe. Trump hat trotz allem viele Fans.“
„Amerika muss wieder Zähne zeigen“, sagt Mike und pfeift seinen Hund aus dem Gebüsch zurück
Am Morgen nach dem zweiten TV-Duell ist es herbstlich und still, es regnet orangefarbene Blätter auf das Festzelt in Landstuhl. Unweit der Airbase erinnert ein in roten Containern beheimatetes „Docu Center“ an die Geschichte der US-Soldaten in Rheinland-Pfalz, an das gegenseitige Misstrauen direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, an die bald aufkommende Begeisterung der Deutschen für Jazz und die amerikanische Lebensart, aber auch an das Unglück bei der militärischen Flugschau in Ramstein im Jahr 1988 mit 70 Toten. Unterlegt von Ella Fitzgeralds „Too darn hot“ kann dort auch ins Schwärmen kommen, wer die Herzenswärme zwischen Amerikanern und Deutschen in der Zeit des Kalten Kriegs nur aus Geschichtsbüchern kennt.
Sie reden gerne mit den Deutschen, die Leute von der US-Armee, aber zurzeit eben nicht so gerne über den Wahlkampf und schon gar nicht über das TV-Duell der letzten Nacht. Dazu möchte sich an diesem Morgen kaum einer äußern. Dann findet sich doch noch jemand: Mike, 29, der hier mit seinem Schäferhund spazieren geht. Er sei „von weit weg, aus dem mittleren Westen“, sagt er und erklärt: „Ich bin für Trump. Viele bei uns wollen nicht über den Wahlkampf reden, aber es geht doch nicht anders.“ Trump habe eben „Substanz“. Mike guckt umher, nach seinem Hund. „Die Demokraten sind zu weit gegangen. Amerika muss wieder Zähne zeigen“, sagt Mike und pfeift seinen Hund aus dem Gebüsch zurück. Der kommt – und fletscht kurz die Zähne.
Titelbild: Heinrich Holtgreve/OSTKREUZ