Am 2. August 2016 veröffentlicht Meg Whitman auf ihrer Facebook-Seite ein Statement. Whitman ist eine einflussreiche Managerin, Chefin von Hewlett Packard Enterprise, Milliardärin – und Republikanerin. Das machte die Sache brisant. Sie schreibt: „Für mich als stolze Republikanerin ist es immer einfach gewesen, meine Entscheidung bei der Präsidentschaftswahl zu treffen. In diesem Jahr ist das anders.“ Ihr Eindruck vom Kandidaten der eigenen Partei ist verheerend, sie befindet, „Donald Trumps Demagogie untergräbt die Substanz unseres nationalen Charakters“, und erklärt: „Ich habe entschieden, Hillary Rodham Clinton zu unterstützen.“
Schon vor und auch nach Whitman haben namhafte Republikaner aus Wirtschaft und Politik vor Trump gewarnt und sich für Clinton ausgesprochen. In sozialen Medien melden sich „Republicans for Hillary“ zu Wort, es gibt Kommentare wie den von Michael Reagan, Adoptivsohn von Ronald und Nancy Reagan und dessen erster Frau Jane Wyman, der auf Twitter schreibt, sein Vater hätte die Trump-Kampagne nicht unterstützt, seine Mutter und Nancy Reagan hätte für Clinton gestimmt. Ausdruck republikanischer Begeisterung für die demokratische Kandidatin ist all das mitnichten. „Diejenigen, die jetzt Clinton wählen, wollen Trump verhindern“, sagt Josef Braml, Politikwissenschaftler bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Auch Professor Christian Lammert, Politikwissenschaftler am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin, konstatiert die Ablehnung Trumps in den Reihen der Republikaner, sagt jedoch: „Ich bin skeptisch, ob so viele Republikaner überwechseln. Viele werden sagen: Ich bin frustriert, ich bleibe zu Hause.“
Skeptisch gegenüber ihrer Kandidatin sind allerdings auch viele Demokraten. Eine Präsidentenwahl, bei der beide Anwärter auf das höchste Amt derart unpopulär sind, ist beispiellos. Und führt zu einem Dilemma. Lammert: „Traditionell ist in den USA die Parteibindung viel schwächer ausgeprägt als bei uns, früher gab es viel häufiger das Phänomen von Wechselwählern. Progressive Republikaner unterschieden sich kaum von konservativen Demokraten, da war eine sehr große Mitte. Die Leute haben geguckt, welcher Kandidat das beste Angebot macht. Das hat sich verschoben.“
Nicht etwa, weil die Bindung an die eigene Partei positiv gestärkt, sondern weil die andere Partei vehement abgelehnt wird, meint Lammert: „Man ist weniger Demokrat, man ist vielmehr Nichtrepublikaner. Das ist wichtig für das Verständnis des Wahlkampfs im Moment. Für viele Republikaner ist Clinton keine Option.
„Traditionell ist in den USA die Parteibindung viel schwächer ausgeprägt, früher gab es viel häufiger das Phänomen von Wechselwählern“
Anfang der 1980er-Jahre war die Durchlässigkeit noch größer.
Viele traditionell demokratisch wählende weiße Arbeiter im Norden konnten mit ihrem Kandidaten, dem Amtsinhaber Jimmy Carter, nichts anfangen und waren empfänglich für die Versprechen des Republikaners Ronald Reagan. „Carter war am Ende seiner Amtszeit nicht mehr populär. Reagan stand für eine sehr viel optimistischere Rhetorik, er versprach: Ich räume euch die staatlichen Regulierungen aus dem Weg und senke die Steuern, und dann geht’s allen besser. Und er hat nicht die ganze Zeit von Minderheiten- und Frauenrechten geredet“, erklärt Markus Hünemörder, Historiker am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität. Die sogenannten Reagan-Demokraten vollzogen mit ihrem Seitenwechsel etwas, das Reagan vorgemacht hatte, der als junger Mann selbst Demokrat gewesen war. Hünemörder: „Er war der Meinung, nicht er habe seine Haltung geändert, sondern die Demokraten, die nach links gerückt waren.“ Überliefert ist Reagans Satz: „Nicht ich habe die Demokraten verlassen, die Demokraten haben mich verlassen.“
So empfanden in den 1960er-Jahren auch viele Südstaaten-Demokraten, die an der Rassentrennung festhalten wollten und die Bürgerrechtsgesetzgebung der liberaleren Demokraten in Washington ablehnten. Im Wahljahr 1964 machte dieser Klientel der republikanische Kandidat Barry Goldwater mit populistischer Agenda ein Angebot, vier Jahre später profitierte der abtrünnige Demokrat George Wallace mit seiner Unabhängigkeitspartei, nun Präsidentschaftskandidat der rechtsgerichteten American Independent Party, von der politischen Heimatlosigkeit dieser Wähler.
Wallace gewann in fünf Bundesstaaten im Südwesten die meisten Stimmen. Da in diesen wie in den allermeisten Bundesstaaten das Mehrheitswahlrecht gilt, bekam er somit alle Wahlmänner. Doch kleine Parteien wie eben 1968 Wallace’ Unabhängigkeitspartei oder bei den Wahlen 2000 die Grünen mit ihrem Spitzenkandidaten Ralph Nader können allenfalls Achtungserfolge erzielen. Um sich zu etablieren, zu wachsen und den großen Parteien als Partner anzubieten, bräuchten sie das Verhältniswahlrecht. So wie im politischen System der Bundesrepublik Deutschland.
The winner takes it all – es soll nur einen Sieger geben
Das amerikanische Mehrheitswahlrecht will diese Art Koalitionsbildungen gar nicht. The winner takes it all – es soll nur einen Sieger geben. Und der ist bei Präsidentschaftswahlen seit 1852 ohne Ausnahme entweder Demokrat oder Republikaner. Besser gesagt: Er benutzt dieses Label. Bei Präsidentschaftswahlen sind Demokratische und Republikanische Partei wie Clubs. Man muss bei einem unterschlüpfen, um Siegchancen zu haben. Man kann das allerdings auch dann tun, wenn Teile der Partei einen gar nicht haben wollen.
„Donald Trump tritt für die Republikaner an, obwohl er die Partei nicht abschätziger behandeln könnte. Obwohl viele Republikaner nichts lieber täten, als ihn wegzudrücken – gibt es da noch Parteien?“, fragt Braml.
Weil eine große Zahl republikanisch gesinnter oder auch einfach nur wütender Wähler es so wollte, konnte kein Partei-Establishment den Siegeszug des Kandidaten Trump verhindern. Denn: Wer bei ihren Vorwahlen antritt, um zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten bestimmt werden, und wer sich registrieren lässt, um bei diesen Vorwahlen seine Stimme abzugeben, darauf hat die Partei, anders als in Deutschland, nur begrenzt Einfluss.
Es gibt keine verbindlichen und verbindenden Programme, keine Parteidisziplin
Sie sind zu wenig Parteien in dem Sinne, wie man sie etwa in Deutschland kennt, um sich gegen eine nicht eben freundliche Übernahme, wie Donald Trump sie gerade praktiziert, zu wehren. Sie sind nicht kohärent organisiert vom kleinen Ortsverband bis hinauf auf Bundesebene, es gibt keine verbindlichen und verbindenden Programme, keine Parteidisziplin. Auch in der Verfassung spielen Parteien keine Rolle, anders als im Grundgesetz, in dem Artikel 21 proklamiert: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“
Im amerikanischen Wahlkampf wirken bei der Willensbildung gerade viel Wut, viele Verschwörungstheorien und viel Verzweiflung mit. In dieser Notlage hat „USA Today“, eine der auflagenstärksten Zeitungen des Landes, erstmals in ihrer Geschichte eine Wahlempfehlung ausgesprochen, so wie es die „New York Times“ oder die „Washington Post“ traditionell tun. „USA Today“ positioniert sich mit dezidierter Argumentation gegen Trump – aber geschlossen für Clinton mochte sich die Redaktion auch nicht aussprechen.
Wie so vieles in diesem Wahlkampf endet der Leitartikel mit einer Einsicht, die weniger auf Gutes hofft als bloß das Schlimmste verhindern will: „By all means vote, just not for Donald Trump.“
Titelbild: M. Scott Brauer