Simon W., Ende 20, tätowiert, lange braune Haare, er ist Fan von den „Simpsons“ und „Dexter“, hört Black Metal, mag Uno und interessiert sich für germanische Mythologie. In seinem öffentlichen Facebook-Profi zeigt er sich seinen 400 Freunden in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Kameradschaft Passau“ in altdeutscher Schrift. Kürzlich hat er mit ihnen eine Umfrage der Seite „Deutsche Opfer, fremde Täter“ geteilt. Simon glaubt, Deutschland sei von Überfremdung bedroht. Damit ist er nicht allein. Er ist einer der knapp 14.350 Fans der Seite „NPD – Die soziale Heimatpartei“. Simon denkt extrem rechts. Das ist in Deutschland nicht verboten. Darum wurden sein Profi und das der NPD-Seite auch bisher nicht gesperrt. „Neonazis werden immer geschulter darin, sich entlang der Nutzungsordnung und Strafbarkeitsgrenze zu bewegen“, sagt Anne Groß von no-nazi.net. Das Projekt richtet sich an Nutzer zwischen 13 und 18 Jahren, die sich in sozialen Netzwerken gegen rechtsextremen Einfluss engagieren wollen. So postete die NPD auf ihrer Facebook-Seite im Februar den Aufruf, die eigenen Freundeslisten komplett unsichtbar zu machen, um sich „vor linken ,Profilspionen‘ zu schützen, die Euch bei Facebook anschwärzen und so zu Profillöschungen beitragen“.

Den idealen Nährboden, um ihr rassistisches und neonazistisch motiviertes Gedankengut zu verbreiten, bietet das Internet Neonazis schon lange. Sie wissen, dass sie dort im Gegensatz zur Straße eine größere Reichweite erzielen. Im „Weltnetz“ hoffen sie auf ein neues „Drittes Reich“, sie stellen Websites, Onlineshops und vermeintliche Nachrichtendienste hinein, planen Demos und Gewalttaten, hetzen gegen ihre Gegner und rekrutieren Neulinge. Denn im Gegensatz zu Mitgliedern der Skater-, Hip-Hop- oder anderer Jugendszenen sind Neonazis auf gezielter Nachwuchssuche. Zwar hat dabei die Zahl ihrer zugänglichen Webseiten abgenommen, doch haben Neonazis ihre Aktivitäten gezielt in soziale Netzwerke verlagert. Laut dem aktuellen Jahresbericht von jugendschutz.net haben sich 2010 die rechtsextremen Beiträge in sozialen Netzwerken im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht.

Auf Facebook wurde „keine Gnade für Kinderschänder“ gefordert

Unverdächtige Codes und Comics statt Nazi-Logos. Populistische Propaganda statt Hetztiraden: In ihrer Ansprache setzen Neonazis auf angesagte Optik und kurze Texte. Verkauft wird ein Image bestehend aus Events, Lifestyle und Multimedia. Die Strategie: erst menscheln, dann einnehmen. „Es hat sich gezeigt, dass subtiler Propaganda eher zugestimmt wird als offen geäußerten neonazistischen Überzeugungen“, sagt Stefan Glaser, Leiter des Referats Rechtsextremismus von jugendschutz.net. Um Neulinge zu ködern, setzten Neonazis auf aktuelle, sozial und emotional aufgeladene Themen, die nicht direkt mit rechtsextremem Gedankengut in Verbindung gebracht werden. Themen wie Arbeitslosigkeit, die Euro-Krise oder Kindesmissbrauch. Weil die Nachrichten voll von Schreckensmeldungen sind und vielen das Verständnis für die wirklichen Zusammenhänge fehlt, ist das Bedürfnis nach Antworten groß. „Wer hier einfache Lösungsansätze anbietet, hat gute Chancen, auf Zuspruch zu stoßen“, sagt Martin Ziegenhagen von der Online-Beratung gegen Rechtsextremismus. So ist es eine neue Technik der Rechtsextremen, in sozialen Netzwerken seriös wirkende Seiten mit „Gefällt mir“-Funktion anzulegen und ihren rechtsextremen Ursprung zu verbergen. Die Zustimmung bringt den Rechtsextremen ihren Zulauf. „Engere Verbindungen werden später über persönliche Kontakte auf Konzerten oder Partys geknüpft.“

„Keine Gnade für Kinderschänder“ hieß die wohl erfolgreichste Online-Rechtsaußen-Kampagne des letzten Jahres. Zuletzt hatte die auf den ersten Blick harmlos wirkende Facebook-Gruppe mehrere Zehntausend Fans. Doch zeigt ein Blick in die Mitgliederliste, welcher Geist sich in der Gruppe wirklich zusammenfindet: ein undifferenziert rassistischer. „Irgendwann wurde in der Gruppe behauptet, dass es sich vermehrt um Täter mit Migrationshintergrund und ‚rein‘ deutsche Kinder handele, die missbraucht worden seien. Außerdem wurden Lieder von rechtsextremen Musikern zum Thema Missbrauch und Leseempfehlungen von NPD-Texten gepostet. Kritische Stimmen wurden gelöscht“, sagt Groß von no-nazi.net. Im November letzten Jahres wurde die Anti-Kinderschänder-Seite von Facebook gesperrt. Doch hat die Nachfolgeseite „Deutschland gegen Kindesmissbrauch“ erneut über 9.500 Fans. Eine Jeanette L. schreibt: „Eine Partei, die was tut!! Andere schauen nur weg!“

Die Online-Strategien der Rechtsextremen sind unterschiedlich und hängen vom Thema ab. In der Rolle des Tabubrechers, der „ja wohl noch etwas sagen darf“, kommentieren sich täglich Hunderte Besucher durch die Artikel des islamfeindlichen Blogs „Politically Incorrect“ (PI). Das Portal beschreibt sich selbst als proamerikanisch und -israelisch. „Die Nutzer von PI sind ein Zusammenschluss Politikverdrossener, die sich als Repräsentanten der schweigenden Mehrheit verstehen, die in der Öffentlichkeit nicht zu Wort kommt, weil die Eliten sich angeblich mit den Minderheiten verschworen haben und die etablierten Medien diese Realität absichtlich verzerren“, sagt Yasemin Shooman. Sie promoviert am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin zum Thema Islamfeindlichkeit. Wenn PI-Nutzern beispielsweise der Artikel einer Zeitung nicht passt, verlinken sie ihn und bombardieren das Kommentarfeld, um das Meinungsbild ins radikal Rechte zu verzerren. Dabei verstünden sie es, bestimmte Themen und Kampfbegriffe – zum Beispiel den der „Deutschenfeindlichkeit“ – in den Mainstream zu überführen und dabei aus der bürgerlichen Mitte heraus zu argumentieren, aus der die meisten von ihnen vermutlich stammen, sagt Shooman. „PI ist ein Beispiel dafür, wie der Rechtspopulismus als Scharnierstelle zwischen dem demokratischen Spektrum und der extremen Rechten dient, die die islamfeindlichen Ressentiments in der Gesellschaft für sich nutzt.“

Im Web kursieren Hasslisten mit Namen von Nazis und Nazi-Gegnern

Mehr als 1.700 rechtsextreme Websites gab es laut jugendschutz.net im Jahr 2010. Einige von ihnen wurden mehrfach von Gegnern „gehackt“ und ihre Inhalte offengelegt. So rief beispielsweise das Hackerkollektiv Anonymous nach Bekanntwerden der Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds zur „Operation Blitzkrieg“ auf. Auf dem Portal nazi-leaks.net wurden Namen und Adressen von vermeintlichen Unterstützern von Neonazis veröffentlicht und immer wieder rechtsextreme Portale lahmgelegt – zuletzt zum Jahreswechsel. Im Netz herrscht eine Art Kampf der politischen Spektren. Denn die rechtsextreme Szene arbeitet schon länger mit derartigen Strategien, um Druck auf ihre vermeintlichen Gegner auszuüben. Seit Jahren werden Politiker, Jugendliche in Vereinen, Journalisten und linke Aktivisten auf Internetpranger- Seiten von unbekannten Rechten gelistet. Auf einer Seite des „Nationalen Widerstands Berlin“ zum Beispiel werden Hasslisten mit Fotos und privaten Informationen über Personen aufgeführt und zu „Stadtrundgängen“ durch den Multikultibezirk Neukölln eingeladen. Ähnliche Informationen präsentiert auch die Webseite „Nürnberg 2.0“. Doch kann man die Seiten nicht sperren, weil sie von einem Server im Ausland gespeist werden. Die Szene hat eigene Dienste, sogenannte Neonazi-Hoster, die Gesinnungsgenossen Speicherplatz im Ausland anbieten.

In Deutschland können Internetprovider Webseiten mit fragwürdigen Inhalten sperren, wenn sie darüber informiert werden. Auch Web-2.0-Betreiber können reagieren. Die Autoren Astrid Geisler und Christoph Schultheis kritisieren jedoch deren Nachlässigkeit. In einem Buch über Neonazis schreiben sie, dass sich die Betreiber dabei nicht mit moralischen, sondern vor allem mit juristischen und wirtschaftlichen Fragen beschäftigen und viele von ihnen „vor allem auf die ,Aufklärung der Nutzer‘ setzen“. Denn auch die können auf rechtsextreme Inhalte reagieren und Beiträge melden – sowohl bei den Betreibern als auch beispielsweise bei jugendschutz.net. Wer verliert am Ende in der Masse an Meldungen schneller den Atem? „Jeder Nutzer sollte sich immer die Frage stellen, wo Toleranz endet und Zivilcourage gefragt ist. Aber nichts ist schlimmer, als nichts zu tun“, sagt Online-Berater Ziegenhagen. Denn Nazis wollten nicht diskutieren – sie wollten ihre Meinung durchsetzen. Deshalb sei es wichtig, sich zu positionieren und rassistische Hetzer in Diskussionen auszubremsen, dabei aber selbst nicht beleidigend zu werden, sondern ruhig und sachlich zu bleiben, sagt Anne Groß von no-nazi.net. Nachfragen, wie ein Kommentar gemeint ist, Verallgemeinerungen ansprechen und sich nicht auf Gespräche über „gute“ und „schlechte“ Migranten einlassen: Wichtig ist es, die Opfer zu schützen. Wie im realen Leben hilft es, sich dabei Verbündete zu suchen. „Denn wenn Nazis nerven, ist es gut, wenn sich mehrere gegen sie aussprechen“, sagt Groß. Und wer mehr über das Thema Rechtsextremismus weiß, sollte dieses Wissen auch weitergeben.