Was ist ein gutes Leben? Wie schafft man es, ein gutes Leben zu führen?
In der Antike begannen Philosophen darüber nachzudenken, wie das Leben in einer Gemeinschaft mehr sein könnte als nur ein funktionierendes Miteinander. Sie fragten sich, ob es dazu moralische Regeln geben müsse und, wenn ja, wer diese Regeln aufstellen sollte. Bereits im 4.Jahrhundert vor Christus entwickelten sie zwei verschiedene Vorstellungen: Moral ist objektiv, also für alle Menschen und alle Umstände gültig – oder Moral ist subjektiv, sie gilt nur in einigen Kulturen und Situationen. Beide Ansätze fanden im Laufe der Jahrhunderte Anhänger, sie stehen sich in der Moralphilosophie noch heute gegenüber. Sokrates, Platon und Aristoteles, die zwischen 469 und 322 v. Chr. lebten – Aristoteles war Platons Schüler, dessen Lehrer wiederum Sokrates war –, vertraten die Position, den Unterschied zwischen Gut und Böse könnten nicht die Menschen festlegen. Um das Wahre erkennen zu können, sollten sie ihren Verstand benutzen, der durch Wissen geschärft wird – für Sokrates ist Wissen der Schlüssel zum moralisch guten Leben. Er sagte: „Der Mensch handelt schlecht, wenn er das Gute nicht weiß.“
Auch die Stoiker waren der Auffassung, es müsse eine universale Wahrheit und so eine objektive Moral geben, also eine Regel wie „Du sollst nicht lügen“, die uneingeschränkt gilt. Aufgabe des menschlichen Verstandes sei es, das Gute und Richtige zu erkennen. Ein im stoischen Sinne moralisch guter Mensch ist, wer sein Schicksal akzeptiert und erträgt. Einer der wichtigsten Vertreter der späten Stoa war Epiktet (50-138 n. Chr.). Seine Schrift „Handbüchlein der Moral“, in dem er über Sittlichkeit und Religiosität als moralische Tugenden schreibt, hatte großen Einfluss auf das spätere Christentum.
Vor allem im Mittelalter wurde Moral als etwas durch Gott Bestimmtes gesehen, Moralvorstellungen wurden in erster Linie durch die Religion vermittelt. Thomas von Aquin (1225-1274), Anhänger der aristotelischen Philosophie, verfocht dessen Theorie, ein Mensch verhalte sich dann moralisch gut, wenn er eine Vernunftordnung einhält. Diese Vernunftordnung ist durch einen göttlichen Willen bestimmt, der einfach existiert und nicht ausgehandelt werden kann.
Diese Unverhandelbarkeit vertritt im 18. Jahrhundert auch Immanuel Kant (1724– 1804), der bekannteste Moralphilosoph der Moderne. Er vertrat eine radikale Vernunftethik und formulierte den kategorischen Imperativ, der vereinfacht lautet: Handle immer so, wie du willst, dass es ein allgemeines Gesetz wird. Kant erklärt diese Forderung am Beispiel der Lüge, die er grundsätzlich ablehnt. In seinem Beispiel versteckt sich jemand bei einem Freund, auf der Flucht vor seinem Mörder. Wenn der Mörder den Freund fragt, ob er wisse, wo der Gejagte sei, muss der Freund die Wahrheit sagen. Kant begründet diese drastische Handlung damit, dass es keine Ausnahme von der Moral geben dürfe. Denn: Fängt einer an zu lügen, kann sich bald niemand mehr darauf verlassen, dass irgendjemand die Wahrheit sagt. Das müsse der vernunftbegabte Mensch erkennen.
Im Gegensatz zu den Stoikern vertrat in der Antike Epikur (341-270 v. Chr.) die Position, es sei moralisch, lustbetont zu leben. Damit meinte er ein Leben im Einklang mit sich und der Natur – für ihn die höchste Lebensform. Da jeder selbst entdecken muss, wie er mit sich in Einklang kommt, ist Moral seiner Meinung nach subjektiv.
Thomas Hobbes (1588–1679) begründete das Entstehen von Moralstandards mit dem Wunsch der Menschen, in einer Gemeinschaft glücklich zusammenzuleben. Im Naturzustand, in dem „der Mensch dem Menschen ein Wolf“ sei, gebe es keinerlei Moral. Damit nicht jeder jeden beraubt und mordet, schließen sich Menschen zu Staaten zusammen und schaffen moralische Regeln, die für alle Bürger dieses Staates gelten. Diese Idee nennt die Moralphilosophie Kontraktualismus. Ein Kontrakt kann ein tatsächlicher Vertrag sein – für alle Bürger gilt: Du darfst nicht lügen, sonst wirst du bestraft. Es kann aber auch ein „Vertrag“ im Sinne des „common sense“ sein – man ist sich einig, dass man nicht lügen sollte.
Mitleidsethiker wie Arthur Schopenhauer (1788-1860) und Adam Smith (1723-1790) sehen im Mitleid den Ursprung für moralisches Verhalten. Adam Smith glaubte, weil die Menschen Empathie empfinden können, würden sie zum Beispiel nicht stehlen. Sie wären sich bewusst, wie schrecklich der Diebstahl für den Bestohlenen sein kann. Das Problem einer Mitleidsethik ist allerdings, dass die Menschen den Willen haben müssen, sich in andere hineinzuversetzen.
Die Utilitaristen gingen noch einen Schritt weiter: Für sie ist eine Handlung moralisch gut, deren Folgen am meisten Gutes und am wenigsten Schlechtes bewirkt. Jeremy Bentham (1748-1832) brachte die Idee einer moralischen Kosten-Nutzen-Rechnung auf, der Ökonom John Stuart Mill (1806–1873) entwickelte sie weiter. Bei solch einer Rechnung gewinnen die Umstände einer Situation an Gewicht – daher beziehen sie zu Kants Lügen-Beispiel ganz klar die Position, dass eine Lüge gerechtfertigt sei, weil der Gejagte ansonsten sterben würde.
Daran knüpfen auch die Pragmatisten seit Ende des 19.Jahrhunderts an. Für sie sind Moralvorstellungen immer durch den „common sense“ geprägt, der je nach Kultur ganz unterschiedlich sein kann und auch nur so lange gilt, bis sich eine Gemeinschaft auf neue, bessere moralische Standards einigt. Der amerikanische Philosoph Richard Rorty(*1931), wichtigster Vertreter des Neo-Pragmatismus der Gegenwart, ergänzt Immanuel Kant im Sinne des Pragmatismus daher so: „Handle stets so, dass die Maximen deines Handelns ein allgemeines Gesetz werden können, aber finde dich ohne Groll damit ab, wenn daraus nichts wird.“