Technisch gesehen war es keine große Meisterleistung, eine Seite zu entwickeln, die es Kunden ermöglicht, mit nur einem Klick ein Buch, eine DVD oder CD zu kaufen. Trotzdem ließ sich Amazon das Verfahren 1999 patentieren. Seitdem müssen Käufer aller anderen Onlinehändler in den USA die Maustaste mindestens zweimal drücken, bevor das Päckchen auf den Weg geschickt wird. Trotz Protesten von Konkurrenten und Netzaktivisten gilt das Patent nach wie vor. Es spiegelt das Bestreben wider, es den Käufern so leicht wie möglich zu machen, an ihre Produkte zu kommen. Beides hat seine Schattenseiten.
Innerhalb weniger Jahre errichtete Amazon- Gründer Jeff Bezos mit seinem unerschütterlichen Glauben an die wirtschaftliche Sprengkraft des Internets einen Konzern, der die Einkaufsgewohnheiten von Millionen Menschen verändert hat. Allein in Deutschland setzte Amazon im Jahr 2012 fast sieben Milliarden Euro um, 20 bis 30 Millionen Deutsche sollen schon mal auf dem Portal eingekauft haben. Alle paar Wochen sprießt irgendwo auf der Welt ein neues Lagerhaus aus dem Boden.
Es ist sehr bequem, im Internet zu bestellen – es hat aber auch Folgen
Doch warum ist das Unternehmen überhaupt so erfolgreich? Amazon gilt als schnell und relativ günstig, und es hat ziemlich viel Auswahl. Und während klassische Versandhändler aus der Katalog-Ära die Entwicklungen des Onlinehandels verschlafen haben, peitscht Firmenchef Bezos seinen Konzern mit dem absoluten Bestreben nach Innovation voran. Erst kürzlich hat er angekündigt, in naher Zukunft Päckchen mit Minidrohnen zum Kunden bringen zu wollen. Vom Lager zur Haustür sollen dann nicht mehr als 30 Minuten vergehen.
In seinem Buch "The Everything Store" erzählt der US-amerikanische Wirtschaftsjournalist Brad Stone von einem "Alexandria- Projekt", das sich Bezos vorgenommen hatte, als es noch vor allem um Bücher ging. Je zwei Exemplare von allen Büchern, die jemals erschienen waren, sollten in einem Amazon-Lager vorgehalten werden. Das klingt biblisch wie die Geschichte der Arche Noah, doch christliche Nächstenliebe trauen die wenigsten Amazon zu.
Im öffentlichen Ansehen kommt der Online-Riese hierzulande schlecht weg. Gewerkschaften werfen ihm miese Arbeitsbedingungen vor und fordern seit Jahren mehr Gehalt. Ausgerechnet zu Amazons Hauptgeschäftszeit vor Weihnachten erreichte der Protest den bisherigen Höhepunkt: Hunderte Lagerarbeiter in Deutschland ließen die Päckchen über viele Tage in den Regalen und traten in Streik. Amazon hat den Forderungen nicht nachgegeben, der Arbeitskampf soll sich dieses Jahr fortsetzen.
Legal, aber moralisch fragwürdig
Legal, aber moralisch fragwürdig versteuert das Unternehmen die Einnahmen aus seinem zweitwichtigsten Markt hinter den USA nicht etwa beim deutschen Staat, sondern in Luxemburg – zu einem viel geringeren Steuersatz. Und schon immer waren Kritikern die Unmengen von Kundendaten ein Dorn im Auge.
Aus beruflichen Gründen ist Thilo Weichert kürzlich auf amazon.de gegangen. Was dann passierte, erstaunte den Leiter des "Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz" Schleswig-Holstein. "Das Erste, was die Seite angezeigt hat, war eine Buchempfehlung über Datenschutz. Ein sehr spezielles Buch sogar, zu einem Thema, mit dem ich mich gerade beschäftigt hatte. Beweisen kann ich das nicht, aber es ist plausibel, anzunehmen, dass Amazon sämtliche Aktivitäten seiner Kunden im Netz auswertet." Und anscheinend nicht nur seiner Nutzer.
Über seine Geschäftspraktiken gibt der Konzern nur sehr spärlich Auskünfte. Schon lange kein Geheimnis ist aber, dass Amazon so viele Daten seiner Kunden wie möglich zu Marketingzwecken verwendet: Die Chronik der Einkäufe, Sucheingaben und sogar die Cursorbewegung auf der Seite werden gespeichert und als Grundlage für Einkaufstipps herangezogen, die dann noch Wochen später auf dem Bildschirm auftauchen.
Zu gern würden Weichert und seine Mitarbeiter Amazon und andere Giganten des Internet-Zeitalters wie Facebook und Google in ihrem Eifer bremsen. "Die Gerichte haben uns das aber im wahrsten Sinne des Wortes aus der Hand geschlagen", sagt der Datenschützer. Im vergangenen Jahr erklärte das schleswig-holsteinische Oberverwaltungsgericht, im Fall Facebook sei das deutsche Recht nicht anwendbar und die Behörden nicht zuständig. Denn seine europäische Zentrale betreibt Facebook in Irland. Ähnliches dürfte auch für Amazon gelten.
Für viele Nutzer scheint der persönliche Datenschutz jedoch weniger wichtig zu sein als der Komfort, den Amazon bietet. Seine Kunden sollen branchenübergreifend die treuesten sein, wie eine repräsentative Studie der Uni Bamberg kürzlich ergeben hat. "Amazon hat es wirklich extrem einfach gemacht, zu bestellen und die Ware zurückzuschicken, wenn sie nicht funktioniert oder nicht gefällt", sagt Peter Höschl, dessen Portal "shopanbieter.de" sich als Forum für den E-Commerce etabliert hat. Höschl ist seit den 90er-Jahren im Onlinehandel tätig und stellt eine bedrohliche Entwicklung fest: Wenige große Unternehmen wachsen prächtig, während kleine Anbieter stagnieren.
"Es macht nicht wirklich Spaß, auf Amazon zu verkaufen."
Tausende kleine und mittelgroße Händler nutzen Amazon als Marktplatz, um ihre Waren zu verkaufen. Das Unternehmen verdient mit den Geschäften seiner Partner durch Provision einen Gutteil seines Umsatzes – und auf neue Ideen kommt es auch."Es macht nicht wirklich Spaß, auf Amazon zu verkaufen", sagt ein Branchenkenner. Es heißt, dass das Unternehmen auch die externen Verkäufe genau analysiert, gut laufende Produkte in das eigene Sortiment aufnimmt und die kleinen Verkäufer durch einen niedrigeren Preis langfristig ausbootet.
Für manche Händler ist Amazon mittlerweile der wichtigste Vertriebskanal. Allein wegen der Sichtbarkeit in Suchmaschinen gebe es keine andere Wahl, als unter den Mantel des Branchenprimus zu schlüpfen. So bleibt am Ende für viele Konkurrenten die fatalistische und vermeintlich einzige Erkenntnis: Man kann nicht mit Amazon, und man kann nicht ohne.