Hans-Jürgen Kuhl liegt mit dem Gesicht im Dreck vor seinem Atelier, die Hände auf dem Rücken mit Kabelbinder verbunden. Ein Kampfstiefel hält ihn am Boden, Maschinenpistolen sind auf ihn gerichtet, auf ihn, Kuhl, 65 Jahre alt, unbewaffnet, Raucherhusten. So ein Theater, denkt er, absurd. Es ist ein Maitag im Jahr 2007, die Mittagssonne prallt nieder auf Kuhl und die Männer in den schweren Monturen. Ein paar Tage später vermeldet das Bundeskriminalamt (BKA), einen der größten Geldfälscher des Landes gefasst zu haben. Gut sechs Millionen Dollar wollte Kuhl gerade verkaufen, als sie zuschlugen. Die Presse fotografiert die Bündel, Experten sagen, so gute Imitate hätte fast niemand zuvor hinbekommen.

Seit dem 21. September 2011 ist einer der besten Geldfälscher der Welt wieder frei. Aber an einen Schwerkriminellen erinnert Kuhl nicht, wenn er gebückt durch sein Atelier schleicht. Vier der sechs Jahre, zu denen er verurteilt wurde, hat er gebüßt, im offenen Vollzug der JVA Euskirchen, eine lange Zeit, findet Kuhl. „Im Prinzip habe ich doch niemandem geschadet, ich habe keinen Schein in Umlauf gebracht, keinen einzigen.“ Seine Stimme klingt bitter. „Warum muss das sein?“ Zwei seiner Mithäftlinge, die jemanden getötet hatten, hätten eine kaum höhere Strafe bekommen. Mit denen habe er sich im Knast das Bad teilen müssen. „Hinter Geldfälschern ist der Staat her wie hinter Terroristen.“ Vielleicht liegt darin das Missverständnis: Unser Geldsystem erscheint oftmals wie ein Spiel, ein fragiles Gebilde voller Konventionen, für manche nur gedeckt durch unseren Glauben daran. Deswegen wirkt auch das Fälschen wie eine irgendwie irreale Tat. Vielleicht ahndet der Staat schon den kleinsten Versuch so scharf, um dieser Sicht vorzubeugen.

Knallbunte Collagen hängen in Kuhls Kölner Hinterhofatelier, Szenen aus Hollywoodklassikern wie „Frühstück bei Tiffany“, „Der Pate“, ein verfremdetes Porträt von Benjamin Franklin, wie ihn der 100-Dollar-Schein zeigt. Es sind Ikonen der Konsumwelt, das Geld, das Glitzernde, das Verruchte. Jetzt, in Freiheit, will Kuhl Handtaschen mit Blumenmotiven bedrucken und sie für 1.500 bis 2.000 Euro pro Stück an die „Schickimickis“ bringen, an Damen, „die Louis Vuitton kaufen und Gucci und so etwas“. Aber die Siebdruckmaschine ist kaputt. Zwei Bekannte sind gekommen und wollen sie reparieren. Wirklich bezahlen kann Kuhl sie nicht, und im Flüsterton, aus Scham, aber vielleicht auch weil ihm das Konspirative liegt, bietet er ihnen dafür eines seiner Bilder. Es ist nicht das erste Mal, dass Kuhl wieder ganz unten anfängt. Er hat die Schule abgebrochen und nur mit Mühe die Lehre zum Fotokaufmann durchgezogen. Lieber tauchte er ins Nachtleben ein, zog mit Kumpels aus der Kölner Unterwelt um die Häuser. In den Sechzigern bat ihn einer, Kuhl, den Langen, der seine Sachen ständig selbst passend nähte, lederne Hotpants zu schneidern. So wurde Kuhl Modemacher, erst knappe Damenhosen, später Jacken, er gründete eine Firma und verlor sie, weil ihn ein Freund betrog. In den Achtzigern verdiente er gut mit Kunstdrucken im Stile des Pop-Art-Malers Andy Warhol. Er imitierte den Imitator, wurde reich, sparte nie, an Roulette-Tischen gewann er und verlor.

Es ist ein Leben wie im Rausch, Partys, Frauen, Drogen. Kuhl erinnert sich an eine kleine Beobachtung vor Jahren, die viel offenbarte. Im Porsche schoss er Richtung München, freie Bahn, als ihm kurz bange wurde: Wenn du hier durch die Leitplanke fliegst und im Feld stirbst, wird dich niemand finden, alle sind weit weg. „Dass ich einfach mal vom Gas gehen könnte“, sagt Kuhl, „auf die Idee bin ich gar nicht gekommen.“ Läuft das Spiel, zieht er es durch. Auch zum Geldfälschen hat Kuhl sich irgendwie verführen lassen und es dann durchgezogen. Das erste Mal war Ende der neunziger Jahre. Kuhl hatte eine Kunstserie mit D-Mark-Scheinen gemacht, Collagen mit vergrößerten Details. Das war vielleicht der Grund, weshalb ein Freund ihn fragte, ob er nicht einmal etwas Ähnliches machen könnte, kleiner, authentischer. Über ein paar Ecken sollte das an zwei Schweizer Immobilieninvestoren gehen. Deren arabische Geschäftspartner verlangten angeblich, dass sie mit einem Koffer, gefüllt mit knapp fünf Millionen Dollar, ihre Liquidität demonstrierten. Reine Formsache, nichts wirklich Krummes. Für Kuhl sollte es zwei Millionen Mark geben. „Kommt nicht in Frage“, will Kuhl gesagt haben. „Ich habe auch nicht die passende Maschine für so etwas.“

Ein Köfferchen für die Rente – das war interessant

Sie legten noch einmal 200.000 Mark obendrauf, und Kuhl überlegte hin und her, na ja, dachte er, die Scheine kämen ja nie in Umlauf, sie würden einmal gezeigt und dann vernichtet. Wie Spielgeld. Das Problem war bloß, dass es keine Investoren gab, kein Immobilienprojekt, keine misstrauischen Araber. Hinter der Geschichte steckten verdeckte Ermittler des BKA. Sagt Kuhl jedenfalls. Sie erst hätten aus ihm einen Geldfälscher gemacht. „Nur damit sie einen Fahndungserfolg haben und ihre Beförderung kriegen.“

Viereinhalb Monate saß Kuhl in Untersuchungshaft, in Stuttgart-Stammheim, eine Zelle unter der, in der sich einst der RAF-Terrorist Andreas Baader erschossen hatte. Immerhin kam Kuhl mit einer Bewährungsstrafe davon, womöglich weil die Geschichte so seltsam war. Alle haben mich beschissen, dachte Kuhl, packte seine Sachen in einen Transporter, fuhr nach Barcelona, von da auf die Fähre, und versuchte ein neues Leben auf Mallorca. Aber er kam nicht so richtig rein in den lokalen Kunstmarkt, und im Winter, wenn der Strand matschig war und die Insel ausgefeiert hatte, langweilte er sich unendlich. Keine zwei Jahre später war er wieder in Köln. Ein Kumpel aus dem Milieu, den man dort den Albaner nannte, kam in Kuhls Atelier vorbei. Schön, dass du wieder da bist, Jürgen. Er packte mit an, strich Bilderrahmen. „Heute weiß ich, warum“, sagt Kuhl.

Wenn Kuhl über die schlechten Geschäfte klagte, orakelte der Albaner nur: „Tja Junge, du könntest doch in drei Monaten aus deinem Schlamassel raus sein.“ „Lass deine Sprüche“, entgegnete Kuhl, wieder und wieder und irgendwann nicht mehr. Er habe da jemanden, sagte der Albaner, in der Heimat, die brauchen da Dollar, sichere Sache. Es ist schwer zu verstehen, warum Kuhl sich wieder hinreißen ließ. Das Geld? „Ein Köfferchen für die Rente“, sagt er, „klar, das war interessant.“ Aber eine Ahnung, was ihn trieb, bekommt man erst, wenn man sieht, wie er einen 100-Dollar-Schein durch die Hände gleiten lässt. Wie er Benjamin Franklin wehmütig in die Augen blickt, über die Farbe streicht, die man fühlen kann, was man mit einer normalen Druckmaschine so eigentlich nie hinbekommt. „Hunderte Spezialisten“, sagt Kuhl mit glänzenden Augen, „sitzen da dran, um den Schein fälschungssicher zu bekommen.“ Andere lösen Sudoku, Kuhl knackt Geld.

Er scannte den Schein ein. Vergrößerte ihn. Studierte jede Rille. Änderte mit Photoshop die Seriennummern. Wälzte Hunderte Musterbücher mit Papierproben. Er mischte Farbe, gab Chemikalien dazu, damit sie schnell trocknet und sich auf dem Papier fast so erhaben anfühlt wie beim Original. Beim Rühren spritzte ihm ein Grüntupfer auf die Hand und ätzte die Haut weg. Gut ein Jahr dauerte die Produktion, doch als die Dollar fertig waren, 16,5 Millionen insgesamt, war der Käufer weg. Tja, sagte der Albaner, vielleicht liquidiert von der Mafia, weiß man nicht. „Ohne garantierten Abnehmer hätte ich die ganze Scheiße niemals durchgezogen“, schimpfte Kuhl. Das Geld packte Kuhl in Umzugskartons, mietete einen Container an und lagerte sie ein. Und da wären all die Blüten auch geblieben, beteuert Kuhl, wenn nicht eines Tages eine Eventmanagerin, vielleicht Ende 20, namens Susanne Falkenthal sein Atelier betreten hätte. Seinen Frauengeschmack hatte man durchaus getroffen, für Kuhl, den Charmeur, hieß sie bald nur noch Susanne.

Ursprünglich sollte Susanne für eine andere Kundin ein Bild abholen, aber dann sah sie Kuhls Kunst und war so angetan, dass sie ihn fragte, ob er ihr nicht Einladungskarten für ein Geschäftsevent in Litauen machen könnte. Vielleicht etwas mit einem Dollarmotiv. Ein paar Wochen später kam sie begeistert wieder, an der Hotelbar sei sie angesprochen worden, ob sie nicht irgendwo falsche Dollar auftreiben könne. Sie flachsten. „Na ja“, meinte Kuhl irgendwann, „ich könnte mich mal in Druckerkreisen umhören.“ Vorher fährt er nach Essen zu ihrer Eventagentur, eine ansehnliche Büroetage, erkundigt sich nach Susanne und lässt sich von der Dame am Empfang sagen, Frau Falkenthal sei gerade geschäftlich in Lettland. Na gut, denkt Kuhl. Für einen Tag im Mai 2007 vereinbaren sie die Übergabe.

Das BKA weiß da schon längst von Kuhls Fälscherei. Acht Monate vorher war auf der Deponie ein Gabelstaplerfahrer in einen der blauen Müllsäcke gefahren, die Kuhl und der Albaner dort entladen hatten. Zerschredderte Fehldrucke quollen heraus. Die Ermittler sortierten Schnipsel für Schnipsel und puzzelten einen Brief von der Versicherung zusammen, adressiert an Kuhl, der irgendwie unter die Abfälle geraten sein musste. 16.000 Telefonate hörten sie ab, bezogen heimlich ein Haus gegenüber von Kuhls Atelier, sie wollten wissen, für wen die falschen Millionen bestimmt waren, und dann zuschlagen. Aber es gab keinen Abnehmer. Am Tag der Übergabe beschleicht Kuhl kurz ein mulmiges Gefühl, wie im Porsche damals. Er packt eine Sporttasche für die ersten Tage im Gefängnis. Jetzt geht es entweder schief, oder es klappt, Kopf oder Zahl. Zum Bremsen ist es zu spät.

Kuhl hilft Susanne gerade, die gelben Pakete in den Kofferraum zu laden, als ein Lkw in die Einfahrt rollt und die GSG-9- Männer herausspringen. Susanne, die wohl nie so hieß, sieht er im Gefecht nur noch in einen Dienstwagen des BKA steigen. So ein Theater, so ein Riesenaufwand für nichts, denkt Kuhl, aber die Susanne, die hat ihren Part gut gespielt, denkt er anerkennend, als er abgeführt wird. Die hat ihn sehr gut ausgetrickst.