1. Die Bootsfahrt der Sex Pistols zum Thronjubiläum der Queen (1977)
Es war, so jedenfalls die Legende, nur eine Notlösung: Die Sex Pistols hatten das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland dermaßen in Unruhe versetzt, dass die Band nahezu überall ein Auftrittsverbot genoss. Also charterte Manager Malcolm McLaren kurzerhand einen Ausflugsdampfer für seine Schützlinge, um die neue Single „God Save The Queen“ auf der Themse vorzustellen. Dass das Boot ausgerechnet am 7. Juni 1977 ablegte, mitten in der Festwoche zum silbernen Krönungsjubiläum und nur zwei Tage bevor Ihre Majestät selbst zu einer feierlichen Schiffsfahrt durch London aufbrechen sollte, war natürlich bloß ein Zufall. Aber es kam, wie es kommen musste: Die Pistols spielten ihren Hit, Johnny Rotten spuckte die berüchtigten Zeilen („God save the Queen/ The fascist regime“), die Polizei enterte den Punkrock-Kahn, prügelte ein wenig herum und verhaftete nahezu die gesamte Besatzung, ausgerechnet die Band selbst allerdings konnte entkommen. Vor allem aber war McLarens Kalkül aufgegangen: Die Aktion sorgte für Werbung für die Sex Pistols und Bilder, die heute unauslöschlich zur Punkhistorie gehören – obwohl die Presse den Vorfall erst einmal totzuschweigen versuchte. In den britischen Wohnzimmern saß trotzdem eine eh schon verängstigte Nation und war sich sicher: Demnächst würde das Abendland untergehen.
Rule the waves: Die Sex Pistols unternehmen eine Bootstour um ihre Single „God save the Queen" vorzustellen – inmitten der Festwoche zum silbernen Kronjubiläum von Elisabeth II. (Foto: Brian Cooke / Kontributor)
2. Der Film „Rock ‘n‘ Roll Highschool“ (1979)
Die Handlung ist schnell erzählt: Rock ‘n‘ Roll-liebende Schüler verschleißen Direktoren und lassen friedliche Anarchie in einer Schule ausbrechen. Nur: Die Rock ‘n‘ Roll-Helden wurden nicht, wie vom Produzenten, dem legendären Trash-Horror-Filmemacher Roger Corman, ursprünglich vorgesehen, von Mainstream-Langweilern wie Todd Rundgren oder Cheap Trick gegeben, sondern von den Punkrock-Pionieren themselves, den Ramones. Das Ergebnis: die Punk-Revolution getarnt als Teenie-Komödie, ein Wolf im Schafspelz. Für viele in der Provinz wahrscheinlich der erste, eher zufällige und scheinbar unschuldige Kontakt mit Punk, und auch heute noch ein erstaunlich frischer Film, nicht nur wegen der großartigen Songs der Ramones.
3. Das Buch „England‘s Dreaming“ von Jon Savage (1991/2001)
Im Vorwort zur 2001 erschienenen Neuauflage seines Standardwerkes schrieb Jon Savage: „Punk hatte Wert darauf gelegt, in einer hyper-intensiven Gegenwart zu leben, aber nun ist er Geschichte – lediglich ein weiterer englischer Traum.“ Das ist natürlich wahr und richtig, Punk ist Geschichte und wirkt in der Rückschau mitunter wie ein lustiger Karneval, den ein paar verzogene Kunststudenten vom Zaun gebrochen haben. Dass er das durchaus war, aber eben auch mehr, eine musikalische Revolution, ein ästhetischer Umsturz, ein sozialer Aufstand und nicht zuletzt eine politische Bewegung, die an den Grundfesten der westlichen Werteordnung nagte, das kann man nirgendwo so analytisch, hellsichtig, umfassend, gut formuliert und auch noch unterhaltsam nachlesen wie in „England‘s Dreaming“.
4. Die Mode von Vivienne Westwood
Bereits im Jahr 1971 eröffneten Vivienne Westwood und Malcolm McLaren in London eine Boutique und nannten sie „Let It Rock“. Der Laden in der King's Road 430 verkaufte Klamotten, Schallplatten, Memorabilia, Musikmagazine und Sexspielzeug, wurde mehrfach umgetauft, ging aber schließlich unter dem Namen „SEX“ in die Popgeschichte ein. McLaren rekrutierte hier die Sex Pistols, und auch sonst ging der Punk-Hochadel hier ein und aus. Chrissie Hynde von den Pretenders arbeitete als Verkäuferin, Adam Ant oder Siouxsie Sioux kauften ein, aber nicht zuletzt wurde Westwood hier zu der Designerin, die die auf den Straßen entwickelte Punkästhetik zu Kleidern schneiderte, die schließlich auch auf Laufstegen und roten Teppichen zu bewundern waren. Dass Punk mehr ist als nur hingerotzter Schrammelrock, dass es auch um künstlerische Selbstermächtigung, um individuellen Ausdruck, um das Ablehnen von Eliten und das Do-it-yourself-Prinzip geht, das wird vielleicht nirgendwo so deutlich wie in der Barock und Müllhalde versöhnenden Mode von Vivienne Westwood.
5. Die Filme von Julien Temple
Es gibt viele Filme, die von Punk erzählen. Aber niemand hat so viele wichtige Punkfilme gedreht wie Julien Temple. Sein Langfilm-Debüt „The Great Rock ‘n‘ Roll Swindle“ (1980) ist Geschichtsklitterung, Grenzüberschreitung, ein großer Klamauk, unglaublicher Schwachsinn und bis heute ein bahnbrechender Musikfilm. Man darf von dieser scheinbaren Nacherzählung der Geschichte der Sex Pistols zwar keine historische Korrektheit erwarten (die holte Temple selbst 21 Jahre später mit „The Filth and the Fury“ nach), aber dafür ein damals ästhetisch radikales, großartig konstruiertes Machwerk, das mal Dokumentar-, mal Spielfilm, mal Animation, mal Film noir, mal Nachrichtenkanal, mal Manifest ist, das Traum und Realität, Vergangenheit und Zukunft ebenso konsequent durcheinander bringt wie die verschiedenen filmischen Formen. Der Anblick eines erbärmlich blassen, von den Drogen gezeichneten Sid Vicious, wie er, nur bekleidet mit einem viel zu kleinen Schlüpfer, den Eddie-Cochran-Klassiker „Somethin' Else“ singt und sich ständig am Sack kratzt, ist eines von vielen mittlerweile ikonografischen Bildern aus diesem Film geworden. Temple, der auch viele Musikvideos inszenierte, ist dem Thema Musik und vor allem dem Punk immer treu geblieben.
6. Der Talkshow-Auftritt von Nina Hagen (1979)
Das österreichische Fernsehen dachte sich nichts Böses, als es Nina Hagen am 9. August 1979 in die Talkshow Club 2 einlud. Hagen war damals eine recht erfolgreiche Rocksängerin, die für ihren kapriziösen Gesang und ihr noch exaltierteres Auftreten berühmt war und in ihrer Musik geschickt den damals noch als extrem provokativ geltenden Punkrock popularisierte. Kurz vor Mitternacht demonstrierte die damals 24-jährige Hagen den anderen Studiogästen und dem Fernsehpublikum, an welchen Stellen und mit welchen Methoden sich eine Frau erfolgreich sexuell befriedigen könne. Die darauffolgende Aufregung beförderte den Moderator der Sendung in die Arbeitslosigkeit und die Hagen zur Skandalnudel, bewies aber vor allem wie verklemmt die Gesellschaft damals noch war.
7. Die Kunst der Neuen Wilden
Die grundsätzliche Idee von Punk war simpel: Jeder kann Musik machen. Handwerk galt plötzlich sogar als hinderlich, wenn man zu einem unverstellten, direkten Ausdruck gelangen wollte. Andere Kunstformen übernahmen dieses Prinzip: In der Malerei setzten die Neuen oder auch Jungen Wilden in den frühen 1980er-Jahren diese Idee in Deutschland, aber auch anderen europäischen Ländern und Nordamerika mit zuerst großem künstlerischen und später dann auch kommerziellen Erfolg um. Viele der Künstler übersetzten nicht nur den rotzigen Punkrock in Malerei, oft mit großformatigen, grellen Bildern mit figurativen Motiven und wuchtigen Pinselstrichen, sondern pflegten auch direkte Verbindungen zur Musik. Martin Kippenberger führte eine Weile den legendären Berliner Punk-Club SO 36, Markus Oehlen spielte in Bands wie Mittagspause, Fehlfarben oder The Red Krayola, und auch Salomé gründete in der Berliner Bar Dschungel eine Punkband namens Geile Tiere.
Kunst kommt von Chaos: Die Maler Martin Kippenberger und Albert Oehlen beim Wodka-Wetttrinken in der Wiener Kneipe „Club“ (Fotos: ullstein bild - Imagno / Didi Sattmann)
8. Das Klagenfurter Blutbad von Rainald Goetz (1983)
Rainald Goetz ist kaum einer Jugendbewegung begegnet, in die er nicht eingetaucht wäre. Aber bevor er der literarische Prophet des Techno wurde, war der 1954 geborene Schriftsteller ein Punk. Sein erster Roman „Irre“ (Suhrkamp) war wie ein guter Punkrock-Song: ein verzweifelter, nihilistischer Aufschrei eines gesellschaftlichen Außenseiters. Als Goetz beim Literaturwettbewerb in Klagenfurt 1983 vor Jury und Publikum aus dem Buch vorlas, ritzte er sich mit einer Rasierklinge die Stirn auf und ließ das Blut auf sein Manuskript tropfen. Goetz in Klagenfurt, das ist bis heute die ultimative Punkgeste in der Literaturgeschichte geblieben.
Rainald Goetz: Ingeborg Bachmann-Preis
Titelbild: "JORDAN OUTSIDE OF SEX " Sheila Rock
Thomas Winkler, 51, entdeckte Punk erst mit Provinz-bedingter Verspätung. Erstes Album: "London Calling" von The Clash