Riesenportionen Eis, Schule schwänzen, abends bis in die Puppen aufbleiben. Wie gut war’s wirklich?

Lara: Das war natürlich toll, weil wir einfach machen konnten, was wir wollten. Zwar hatten wir vorher auch Freiheiten, aber es ist schon etwas anderes, wenn einem bewusst ist, dass man das Sagen hat.

Jonny: Das war schon ganz nice alles. Viel gechillter! Auf jeden Fall ein gutes Erlebnis, aber es muss auch nicht zur Gewohnheit werden. Es hatte auch Nachteile.

Nämlich welche?

Jonny: Zum Beispiel musste man den Eltern die ganze Zeit sagen, was sie machen sollen. Irgendwie ist es auch nervig, jedem sagen zu müssen: „Mach dies, mach das!“

Aber es hat euch schon auch Spaß gemacht, andere herumzukommandieren?

Lara: In manchen Momenten: Ja! Wenn meine Mutter wieder versucht hat, mir zu sagen, dass sie das an meiner Stelle ganz anders machen würde. Diese Gewissheit: Das kann sie jetzt ja sagen und finden – aber es bringt nix und hat überhaupt keine Auswirkung auf das, was passieren wird. Das war eine Genugtuung.

Erzählt mal genauer. Was habt ihr in den vier Wochen besonders ausgekostet?

Lara: Vor allem saßen wir vor dem Fernseher – wir sind von der Schule nach Hause gekommen und haben ihn eingeschaltet, davor gegessen, davor Hausaufgaben gemacht. Mein Bruder hat auch einen ausgeliehenen Nintendo zurückverlangt von dem Freund meines Vaters. Vorher durften wir damit nicht viel spielen, aber das konnte uns dann ja keiner mehr verbieten.

Jonny: Mein Papa hatte auch eine Wette verloren und musste mir ein neues Spiel dafür kaufen. Das hab ich dann eine Weile lang gesuchtet.

Dein Vater hat irgendwann ja auch heimlich den Fernseher sabotiert, weil du Serien in Dauerschleife geschaut hast.

Jonny: Ja, ich habe erst mal gedacht: „Alter, was soll der Kack?“ Ich hätte so gerne die ganze Zeit Fernsehen geguckt! Multitaskingmäßig – mit einer Hand Nintendo spielen, mit der anderen durchs Fernsehen zappen! Ich fand es aber auch ganz lustig, dass Papa mich die ganze Zeit reingelegt hat.

War doch ganz schön anstrengend, den Eltern zu sagen, wie’s läuft

Lara, dein Vater hat beschrieben, dass du die Familie geführt hast wie ein Unternehmen. Hast du dich auch wie eine Unternehmerin gefühlt?

Lara: Ja, ein bisschen wie eine Managerin. Ich habe mich oft hingesetzt und Pläne für die ganze Woche gemacht, was es zu essen gibt, was eingekauft werden muss und wann.

Bei dir gab es strikte Geldrationen und Gartenarbeit als Strafe für die ungehorsame Mutter. Meinst du, man wird mit zunehmender Verantwortung auch ein bisschen spießiger?

Lara: Ja, auf jeden Fall. Zumindest wenn man eine bestimmte Vorstellung davon hat, wie es laufen soll.

Und welche hattest du?

Lara: Ich wollte meinen Eltern nicht zu viele Vorschriften machen, man hat irgendwie auch an die Zeit nach dem Experiment gedacht. Ich wollte nicht so tyrannisch sein und den „neuen Kindern“ eine schlimme Zeit bereiten.

Wart ihr am Ende froh, dass die Rollen wieder getauscht wurden?

Jonny: Also für mich war das alles sehr entspannt! Aber ich glaube, wenn man alleine lebt wie Pippi Langstrumpf – dann ist es schwieriger. Man muss selber kochen und das Haus sauber halten. Die Aufgaben habe ich eigentlich gar nicht übernommen, die anderen haben ja gearbeitet. Lara hat das alles ein bisschen ernster genommen.

Lara: Neben der Schule wurde mir das am Ende viel zu viel, obwohl ich Sachen delegiert habe an meine Eltern. Ich genieße es deshalb gerade, noch nicht die volle Verantwortung für mein Leben übernehmen zu müssen.

Funktioniert das Zusammenleben am besten mit Regeln?

Lara: Ich finde schon, dass Regeln wichtig sind. Zum Beispiel, dass man zumindest grob einteilt, wer wofür verantwortlich ist und welche Aufgaben übernimmt. Damit man sich nicht in die Haare kriegt, weil man das Gefühl hat, dass nichts passiert – während man selbst aber auch nichts tut.

Jonny: Hm, nicht unbedingt Regeln. Ich finde, das Wichtigste ist, dass jeder wenigstens ein bisschen Verständnis für den anderen hat. Damit es nicht zu Streit kommt. Ich bin ja nicht so scharf darauf, die ganze Zeit zu helfen, aber ab und zu mal den Geschirrspüler ausräumen und so – das sollte jeder mal machen. Später mach ich das auch öfter.

Wenn Verantwortung für euch so anstrengend war: Könnt ihr verstehen, warum manche Politiker oder Manager ihre Macht nicht wieder abgeben wollen?

Lara: Ich nicht. Wahrscheinlich ist es diese Gewissheit von Kontrolle: das Wissen, dass sie sich durchsetzen können.

Jonny: Es gibt bestimmt auch Leute, die ihre Macht genießen. Ich bin ja jetzt noch ein Kind, und die sind erwachsen, die sind es also schon gewohnt, über sich selbst zu bestimmen. Dann finden sie diesen Zusatz, über noch mehr Leute bestimmen zu können, gar nicht so schlecht und kosten das aus.

Kann es denn nicht manchmal auch sinnvoll sein, dass nur einer bestimmt – wie ein König, der regiert?

Jonny: Ab-so-lu-tis-mus! Finde ich total blöd. Ist doch viel besser, wenn die Leute zusammen entscheiden.

Lara: Wenn man der König ist, ist es vielleicht praktisch für einen selbst. Aber dadurch sind viel mehr Leute unzufrieden mit den Dingen, die geschehen, weil nur eine einzige Person ihre Interessen durchsetzt. Ich finde zum Beispiel, dass es den Menschen im Durchschnitt in Demokratien wesentlich besser geht als in Diktaturen, dass es einen größeren Mittelstand gibt und es vielen gut geht.

Glaubt ihr, dass Kinder in Deutschland im Familienalltag genug mitentscheiden dürfen?

Lara: Ich finde, dass Kinder mehr entscheiden sollten bei Sachen, die ihr eigenes Leben betreffen. Irgendwann ist man von zu Hause weg, hat aber bis dahin vielleicht immer nur von den Eltern zu hören bekommen, was man wie tun soll. Eltern sollten ihre Kinder früher mehr Verantwortung übernehmen lassen und sie nicht so stark bevormunden.

Jonny: Der Vorteil wäre doch auch, dass Eltern mal denken würden: „Ah, so habe ich das vorher noch gar nicht gesehen!“ Dass sie sich in das Kind hineinversetzen und seine Entscheidungen auch nachvollziehen können.

Wie ist das jetzt bei euch nach dem Experiment: Hat sich etwas verändert im Umgang miteinander?

Lara: Mein Bruder und ich können viel besser nachvollziehen, wie viel Arbeit und Verantwortung es ist, sich um alles zu kümmern. Wir helfen auch von uns aus mehr mit.

Jonny: Dass die Erwachsenen auch mal rummosern, kann ich jetzt besser verstehen. Lara: Und wenn wir mal keine Lust haben, irgendwohin mitzukommen, sagen unsere Eltern jetzt: „Okay, das ist eure Entscheidung.“

 

Laras und Jonnys Vater, Jochen Metzger, hat ein Buch über den Versuch geschrieben. Es heißt „Alle Macht den Kindern“