Vorlesen ist nicht nur in der Schule eine Qual. Auch für gestandene Schriftsteller ist es immer wieder eine Herausforderung, das Geschriebene mündlich gut rüberzubringen. Besonders beim alljährlich verliehenen Bachmann-Preis, wo junge Schriftsteller vor Jury und Publikum lesen und das Ganze auch noch live im Fernsehen übertragen wird. Entsprechend gilt der Bachmann-Preis als Sprungbrett für junge Autorinnen und Autoren. Der Gewinner von 2014, Tex Rubinowitz, erklärt, wie man beim öffentlichen Wettlesen Haltung bewahren kann
Ein bekannter Autor aus Österreich wettert, wo er geht und steht, über den Bachmann-Preis, er wünscht ihn zum Teufel und würde niemals dort antreten, das sei Kindergarten sagt er und würde demnach nur mit Unselbständigkeit belohnt, unter der Prämisse von antiquierten Demütigungsritualen.
Der Mann muss dort auch nicht mehr lesen, er ist erfolgreich genug („alles alleine geschafft“), seine Texte und Bücher werden eben woanders bewertet, in Rezensionen, auch ein öffentlicher Raum, ein Gericht mit vielen Zuschauern, das soll dann plötzlich eine andere Aufmerksamkeit sein.
Aber was seinen Furor eigentlich erklärt, ist, dass er nicht lesen kann. Er glaubt, er könne es, aber leiert seine Texte in einer grauenvollen, selbst antrainierten theatralischen Art runter, vermutlich weil er glaubt, der Text reiche schon, der sei so stark, dass die Präsentation desselben nebensächlich wird, und in diesem Sicherheitsvakuum entwickelt er eben diese unästhetische Leier der Selbstüberschätzung, zusätzliches Problem wird auch sein, dass sich niemand traut, es ihm zu sagen.
Bloß nicht wie die Sprechmaschinen vorlesen
Aber so geht es 90 Prozent aller Autoren. Ihnen beim Vorlesen zuzuhören wird zur Qual, sie imitieren da einen Stil, der sich vage an dem von Schauspielern orientiert, die ja reine hohle Sprechmaschinen mit ausgefeilter Intonation sind, diese Maschinen tun aber nur so, als wären sie in der intellektuellen Lage, das Vorgelesene selbst zu fabrizieren. Auch hier kann man pauschalisierend sagen, dass 90 Prozent der Schauspieler nicht schreiben können.
Ausnahmen gibt’s natürlich, etwa Joachim Meyerhoff. Als er 2013 in Klagenfurt einen Auszug aus seinem Lücke-Bestseller las, hypnotisierte er gleichsam Publikum wie Jury, ein Magier, er saß und atmete auch ganz anders als die mit ihm konkurrierenden Autoren, er nahm nicht diese geduckte Autorenhaltung an, bei der sich der Körper gewissermaßen um das vor ihnen stehende Wasserglas wickelt, Meyerhoff las körperlich, alles war die perfekte Inszenierung eines selbstbewussten Kunstwerks, in der Fehler und Schwächen keinen Platz haben, einen Preis hat er dafür dann dennoch nicht bekommen, der unter dieser Inszenierung befindliche Text hatte dann doch eher etwas von einer Schnurre.
Literatur ist kein Stabhochsprungwettbewerb
Und darum geht es beim Bachmann-Preis, um Texte, nicht um die Inszenierung derselben, das ist ja immer das Missverständnis, dass 30 Jahre vor Meyerhoff Rainald Goetz seine Stirn geschlitzt hätte, um vom Text abzulenken, aber so war es nicht, der Einzige, der das damals erkannt hat, war Marcel Reich-Ranicki, er hat das Aktionistische einfach ignoriert und sich mit dem Text befasst und ihn gelobt. Es geht um Geschichten, dass jemand etwas zu erzählen hat, aus einer interessanten, vielleicht so noch nie zuvor gelesenen oder gehörten Perspektive, dass er sich etwas traut, dass die ihn einladenden Juroren sich mit ihm oder ihr etwas trauen, was sie verteidigen müssen gegen die Kritik der anderen Juroren, die ja ihrerseits ihre Pferdchen ins Ziel zu bringen trachten.
Auch dieser Wettbewerbscharakter stört viele Kritiker, Literatur dürfe sich nicht aneinander messen, das ist kein Stabhochsprungwettkampf, es gibt bei Literatur keine Latten, über die man springen muss, alles ist subjektiver Stil, über den man zwar streiten kann, aber nicht richten darf, so der Vorwurf. Und wenn, dann sagt das mehr über den Juror und dessen eitles Befinden und tagesaktuelle Verfassung aus als über das, um das es eigentlich gehen soll.
Scheußlich gelesen, findet der Juror
Ich glaube meine relative Entspanntheit dort 2014 angetreten zu sein, hat damit zu tun, dass ich es schon als große Ehre empfand, überhaupt eingeladen worden zu sein, das hätte mir schon gereicht, ich kannte den Betrieb schon recht gut, die Codes, die Rituale, ich war zehnmal vor Ort, weil Freunde und Bekannte gelesen haben, und genauso lange verfolgte ich das an meinem kleinen Fernsehgerät, vor Ort ist es natürlich wunderbar, die Atmosphäre ist von entspannter Kameraderie geprägt, in der Stress, Panik, Konkurrenzgefühle und Zweifel kaum aufkommen, man wird dort gut behandelt, der Ort ist idyllisch, alles ist gratis, beim Bürgermeisterempfang wird man schon gefeiert, kaum dass es losgegangen ist.
Vielleicht hatte meine Entspanntheit auch damit zu tun, dass ich nicht etwas gelesen habe, was ich vorher lange „gebaut“ habe, also etwas mühevoll Konstruiertes, sondern einfach losgelabert, etwas erzählt habe und nur so getan, als hätte ich gelesen, weswegen mich die einzige Kritik, nämlich die vom Juryvorsitzenden Burkhard Spinnen, ich hätte „scheußlich gelesen“ nicht wirklich verletzt hat, weil ich annahm, dass er unterschwellig mein Motto erkannt hat, dass man sowieso keine Literatur schreiben könne, wenn man Literatur zu schreiben vorhat, also kann man es gleich lassen und sich das Lesen sparen.
Ich nenne das instinktiven Stil, nicht ich schreibe den Text, sondern er schreibt mich, und vielleicht wurde am Ende nicht ich belohnt, sondern ein Text, mit dem ich nur bedingt zu tun habe. Das erspart auch, sich darauf groß etwas einzubilden.
Tex Rubinowitz ist Zeichner, Cartoonist, Reisereporter und Schriftsteller (zuletzt erschienen: Irma, Rowolt). Er hatte mal eine Band (Die Mäuse), gründete ein Musiklabel (Angelika Köhlermann) und das Forum Höfliche Papparazzi. 2014 gewann er den Bachmann-Preis mit seinem Text „Wir waren niemals hier“.
Foto: Schleyer/ullsteinbild