Was haben Träume und Science-Fiction gemeinsam? Beide beschreiben leicht entrückte Welten mit anderen Gesetzmäßigkeiten, die einem aber immer irgendwie bekannt vorkommen. Der Titel der Serie „Electric Dreams“, die in Großbritannien im Fernsehen lief und hierzulande bei Amazon Video zu sehen ist, schlägt daher nicht ohne Grund einen Bogen zwischen dem Träumen und den literarischen Visionen des einflussreichen Schriftstellers Philip K. Dick.
Elektrische Träume spielt natürlich ganz explizit auf eines der Hauptwerke des US-Amerikaners an: „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ Die Filmadaption „Blade Runner“ von 1982, Dicks Todesjahr, ist zwar deutlich bekannter, aber der Buchtitel trifft dafür den Kern seiner Arbeiten: Wie Träume spielen die meisten von Dicks Büchern in einem Paralleluniversum oder der Zukunft und fragen, was das Menschsein eigentlich bedeutet, wenn zwischen „Realem“ und „Künstlichem“ nicht mehr klar unterschieden werden kann.
Klassische Sci-Fi-Storys im 45-Minuten-Format
„Electric Dreams“ erkundet Dicks philosophischen Science-Fiction-Ansatz jedoch nicht in einer kontinuierlich erzählten Serienstaffel, sondern in zehn unabhängigen Episoden, die jeweils auf einer Kurzgeschichte beruhen. „Anthologie-Serie“ nennt sich dieses Konzept, das in den letzten Jahren öfters aufgegriffen wurde, aber eigentlich aus den Kindertagen des Fernsehens stammt: „Alfred Hitchcock presents …“ und die frühe Science-Fiction-Serie „Twilight Zone“ funktionierten schon in den 1950er-Jahren nach diesem Prinzip.
So taucht in der ersten Folge – „Das wahre Leben“ – eine junge Polizistin mithilfe einer Virtual-Reality-Anwendung in eine täuschend echte Parallelwelt ab und zweifelt bald daran, welches der beiden Szenarios nun real ist – „Matrix“ lässt grüßen. In der zweiten Folge („Autofac“), die der Idee von „Blade Runner“ und dem postapokalyptischen Setting der „Mad Max“-Reihe ähnelt, nimmt es eine menschliche Rebellengruppe mit einer selbstständig gewordenen Roboter-Fabrik auf. In der dritten Episode („Menschlich ist …“), diesmal mit „Star Trek“-Anleihen, spielt Bryan Cranston einen Weltraumoffizier, der nach einem Kriegseinsatz auf einem fernen Planeten als Außerirdischer zurückkehrt. Und natürlich fehlen auch leicht modernisierte Varianten des „Big Brother“-Motivs nicht („Fosters neue Welt“, „Tötet alle anderen!“), die angesichts von Terrorismus und Digitalisierung vor den Folgen eines paranoiden Überwachungsstaats warnen.
Die Schauwerte der Streamingdienste
Dass die Grundideen vieler Episoden sattsam bekannt sind – die literarischen Vorlagen stammen meist aus den 1950er-Jahren –, ist nicht das wesentliche Problem der Serie. Dick ist deswegen einer der meistverfilmten Autoren des Genres, weil seine visionär-philosophischen Stoffe auf der einen Seite konkret genug sind, um in Bildsprache übersetzt zu werden, und auf der anderen Seite offen genug, um in der Filmadaption mit drängenden Fragen der Gegenwart infiziert zu werden.
Besonders bei den großen Weltentwürfen, die etwa die Hälfte von „Electric Dreams“ ausmachen, ist eine zeitgemäße Aktualisierung eigentlich unverzichtbar. Gerade diese Episoden fallen aber deutlich ab gegenüber „Black Mirror“, dem offensichtlichen Vorbild für zeitgenössische Sci-Fi-Dystopien. Hier hingegen wirken viele Folgen so, als würde man ein fürs Serienformat lieblos zurechtgestutztes Remake eines Filmklassikers sehen, das mit den bereits zum Klischee gewordenen Schauwerten der Streamingdienste punkten will: Ein bekannter Schauspieler fungiert als Zugpferd, eine kinoreife CGI-Sequenz besorgt das worldbuilding, und im abfallenden zweiten Teil der Episode soll eine beliebig platzierte Softcore-Erotikszene das adoleszente Publikum bei der Stange halten.
Dennoch lassen sich in der Serie auch weniger bekannte Motive von Dick entdecken, die durchaus einen Blick lohnen. In der gelungensten Episode „Der Pendler“ etwa entdeckt der Bahnwärter eines Transitbahnhofs (Timothy Spall), dass etliche Reisende täglich mitten auf der Strecke aus dem Zug springen, um eine idyllische Fantasiestadt aufzusuchen, in der sie ihre realen Sorgen hinter sich lassen können. Ein fantastisches Szenario, das mit dem für Briten gut zu erkennenden Drehort verschwimmt – der nostalgischen Modellstadt Poundbury –, filmisch an „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert und darüber hinaus noch die ganz reale Tristesse einer Trabantenstadt einfängt. Wenigstens einmal verschmelzen hier Traum, Realität und Utopie auf jene Weise, die den besonderen Reiz dieses Genres ausmacht.
„Philip K. Dick’s Electric Dreams“, GB 2017; von Ronald D. Moore und Michael Dinner (Showrunner), mit Bryan Cranston, Juno Temple, Timothy Spall, Sidse Babett Knudsen, Steve Buscemi, Annalise Basso u.a., 10 Episoden à 45–55 Minuten, verfügbar auf Amazon Video