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All für alle

Eine deutsche Astronautin war noch nie im Weltraum. Diese Frauen arbeiten daran, dass sich das ändert

Raumfahrt, DLR

Der Arbeitsplatz von Katharina Siems liegt nur ein paar Hundert Meter vom Weltraum entfernt. In einem schlichten Bau am Kölner Stadtrand sitzt die Mikrobiologin auf einem Konferenzstuhl, auf ihrem T-Shirt prangt das Logo ihres Arbeitgebers, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, kurz DLR. Nebenan steht ein Nachbau des Weltraumlabors „Columbus“, das die Europäische Raumfahrtagentur (ESA) zur Internationalen Raumstation ISS beisteuert. Hier trainieren Astronaut*innen für ihren Aufenthalt im All.

„Die ISS ist ein einzigartiger Ort, um zu forschen“, sagt Siems. Die 25-jährige Doktorandin kann sich gut vorstellen, später selbst ins All zu fliegen. „Sollte sich die Möglichkeit ergeben, würde ich mich auf jeden Fall bewerben.“

Eine deutsche Astronautin war noch nie im Weltraum

Siems formuliert das bewusst so verhalten: Nur sehr wenige Anwärter*innen schaffen es tatsächlich an Bord einer Raummission. Und Siems arbeitet in einer Branche, die von Männern bestimmt wird. Das DLR bemüht sich seit Jahren um Chancengleichheit. Trotzdem ist dort nur jede*r fünfte Wissenschaftler*in eine Frau. Ein typischer Wert für die Raumfahrt. Auch bei der ESA lag der Frauenanteil zuletzt bei etwa 20 Prozent, in Führungspositionen bei zwölf Prozent. Seit ihrem Start im Jahr 2000 waren 18 ESA-Astronaut*innen auf der ISS, zwei davon weiblich: die Französin Claudie Haigneré und Samantha Cristoforetti aus Italien. Eine Deutsche war noch nie im All.

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Raumfahrt, DLR, Labor
Katharina Siems kümmert sich derzeit vor allem um Staphylococcus capitis, Acinetobacter radioresistens und Cupriavidus metallidurans

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Raumfahrt, DLR, Labor
Die Bakterienarten werden am DLR gezüchtet, um unter Weltraumbedingungen antibakterielle Oberflächen zu erforschen

Katharina Siems wird das fürs Erste nicht ändern: Vor ihr fliegen erst mal ihre Bakterien auf die ISS. Siems hat sie im DLR-Labor gezüchtet und will beobachten, wie sich Bakterien im All verhalten. Sie verspricht sich zum Beispiel Erkenntnisse darüber, welche Materialien für antibakterielle Oberflächen und sterile Räume infrage kommen. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist es schon problematisch, dass wenige Frauen im All sind“, sagt Siems. Neben neuen Metallen und Vegetationsformen werde dort auch am Verhalten des menschlichen Körpers in der Schwerelosigkeit geforscht. So wurde unter anderem belegt, dass Astronaut*innen im All unter Knochenschwund leiden. Zurück auf der Erde, kehrt sich der Prozess wieder um. Daraus ergeben sich Hinweise für die Erforschung von Osteoporose – eine Krankheit, die besonders Frauen betrifft. „Astronauten sind wie Labormäuse auf der ISS“, sagt Siems. Regelmäßig werden Blut- und Urinproben genommen – und nicht alle Daten, die an Männern erhoben werden, lassen sich auf Frauen übertragen.

„Je weniger Frauen ins All fliegen, desto weniger kommen nach“

Siems beoachtet aber auch, dass die Branche die Ungleichheit wahr- und ernst nimmt. „Vielleicht wird sich das in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten langsam ausgleichen.“ In ihrer Arbeitsgruppe forschen derzeit mehr Frauen als Männer. Darunter auch welche, die sich beim nächsten ESA-Auswahlverfahren bewerben wollen.

Das wird voraussichtlich Ende März beginnen, in der Ausschreibung spricht die ESA gezielt Frauen an. Beim letzten Verfahren 2008 gingen unter 8.413 Bewerbungen gerade mal 16 Prozent von Frauen ein. Sechs Personen wurden am Ende genommen, darunter immerhin noch eine Frau. Ein Grund: Vorausgesetzt wurde ein Studium in Medizin oder einem der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) – die bis heute deutlich weniger Frauen wählen. Ein weiterer Grund: Flugerfahrung als Pilot*in steigerte die Chancen der Bewerber*innen – noch ein Job, in dem Frauen unterrepräsentiert sind.

Raumfahrt, DLR
Endliche Weiten: Katharina Siems im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Claudia Kessler ahnte von alldem noch nichts, als ihr Interesse am All erwachte. Kessler war gerade vier, als der erste Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte. Es war der Astronaut Neil Armstrong – ein US-Amerikaner. Für ihn war es der viel zitierte kleine Schritt, für Kessler ein derartiges Erlebnis, dass sie später ihre Hochzeit auf den Jahrestag der Mondlandung von 1969 legte.

Seitdem kam Kessler dem All immer näher. Sie studierte Maschinenbau und Luft- und Raumfahrttechnik, schaffte es in die Raumfahrtindustrie und blieb fast 30 Jahre. „Als ich dann immer noch die einzige Frau im Team war, habe ich gedacht: Das muss ich selbst in die Hand nehmen.“ Ihre Mission: die erste deutsche Frau ins All bringen. 2016 gründete Kessler die Initiative „Die Astronautin“. Aus 400 Bewerberinnen wählte sie zwei aus: Eine ist die Meteorologin Insa Thiele-Eich. Sie beschäftigt sich vorrangig mit Wetterforschung und den Auswirkungen des Klimawandels, 2021 soll sie zehn Tage auf der ISS verbringen.

Wer Thiele-Eich trifft, ahnt, was bis dahin noch zu tun ist: Sie spricht schnell, hat viel zu erzählen, aber wenig Zeit: Fernsehdrehs, Fluglizenz, Druckkammer-Training, Raketenstart-Simulationen. Auf Raumfahrt-Veranstaltungen wurde sie schon für eine Garderobenfrau gehalten, erzählt sie. So was dürfte ihr nicht mehr passieren, wenn alles klappt – und Thiele-Eich bald im All forscht. Für sie hätte das Signalwirkung. „Da geht es um die Vorbildfunktion: Je weniger Frauen ins All fliegen, desto weniger kommen nach.“

Damit Thiele-Eich bis zur ISS kommt, muss die Initiative „Die Astronautin“ noch viel Geld einsammeln. „Wir brauchen jemanden, der uns die Startkosten finanziert“, sagt Gründerin Kessler. Insgesamt koste die Mission rund 50 Millionen Euro.

Ginge es nach ihr, müsste die Politik helfen. Aber die ist gespalten. Vor allem die beiden Kandidatinnen aus Kesslers Initiative seien Vorbilder, heißt es auf Anfrage aus dem Bundesfamilienministerium, das auch für Gleichstellungsfragen zuständig ist. „Fakt ist, dass bis dato keine einzige deutsche Frau im All war, obwohl es an qualifizierten Bewerberinnen nicht mangelt“, sagt eine Sprecherin. „Das muss sich ändern.“ Geld soll es für Kessler und ihr Team aber nicht geben.

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Raumfahrt, DLR, Labor
Das nächste ESA-Auswahlverfahren wäre auch für Siems die Chance, …

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Raumfahrt, DLR, Labor, Petrischale
… dass bald nicht nur ihre Bakterien in den Weltraum aufbrechen, sondern auch sie selbst
 

Das für Raumfahrt zuständige Wirtschaftsministerium begründet das mit dem „privaten Charakter“ der Initiative. Das Projekt bekomme lediglich ideelle Unterstützung. Auch eine gemeinsame Finanzierung durch mehrere Ministerien erscheine derzeit nicht möglich, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Ein Grund dafür: Die Raumfahrt habe heute weniger nationalen als europäischen und internationalen Charakter. „Die derzeitige ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti ist auch in Deutschland ein Vorbild für Frauen in der Raumfahrt“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums.

Claudia Kessler sieht das anders. „Astronauten sind nationale Helden“, sagt sie. „Auch wenn sie unter europäischer Flagge fliegen, bekommen sie die Anerkennung vor allem in ihrem Heimatland.“

Der Mikrobiologin Katharina Siems fehlen vor allem weibliche Vorbilder. Sie wünscht sich, dass die ESA gezielt Frauen für den Job anwirbt. So wie es etwa die NASA bereits seit einigen Jahren macht.

Bei der US-amerikanischen Raumfahrtagentur lag der Astronautinnenanteil der letzten Jahrgänge durchschnittlich bei mehr als 40 Prozent – ohne dass sich die NASA offiziell eine Frauenquote gesetzt hätte. Astronautinnen sind in der nordamerikanischen Raumfahrt schlichtweg präsenter als in Europa und sogar als Werbeikonen sichtbar. Unter dem Hashtag #MakeSpaceForWomen produzierte eine Make-up-Firma einen Werbespot für den Super Bowl 2020, in dem ein weibliches Team auf Weltraummission geht.

Das soll nicht lange Fiktion bleiben: Die NASA plant, zum ersten Mal überhaupt eine Frau auf den Mond zu bringen. Bis dahin ist erst mal nur der Name der Mission weiblich: „Artemis III“ soll 2024 starten.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.