In der Kulturgeschichte des Schiffsmotors gibt es diesen einen aus heutiger Sicht tragischen Wendepunkt Mitte der 50er. Es war klar, dass Dampfschiffe verschwinden würden. Also kauften die Reeder Schiffsmotoren, die mit Diesel angetrieben wurden. Heute, mit den neuen Filtersystemen, wären Dieselmotoren perfekt. Aber damals kam, gerade als sie sich durchsetzten, noch mehr technischer Fortschritt dazwischen. Es gab plötzlich Motoren, die konnten das bisher Unmögliche. Sie konnten Schweröl verbrennen.
Schweröl, eher zäh und harzig als flüssig, enthält viel Schwefel, Schwermetalle und Asphaltene (hoch kondensierte aromatische Kohlenwasserstoffe), die es schwarz und giftig machen. Es kann Motoren nur dann antreiben, wenn man es vorher erhitzt.
Beim Raffinieren ist Schweröl so was wie der Abfall bei der Herstellung von Heizöl, Diesel, Kerosin, Benzin und Vorprodukten für die chemische Industrie. Irgendwie muss man es loswerden als Raffineriebetreiber. Deshalb war es superbillig. Stahlwerke und Stromkraftwerke kauften es anfangs, bald aber weniger. Es war einfach zu dreckig. Zum Glück der Mineralölindustrie rüsteten die Schiffsbesitzer damals um. Sie wollten den billigsten Treibstoff, der auf dem Markt war, denn der Treibstoff macht bis zu 70 Prozent der laufenden Kosten eines Schiffes aus. So wurde schließlich Schweröl verbrannt – etwas, das laut Dietmar Oeliger vom Naturschutzbund Deutschland eigentlich „Sondermüll ist, der dummerweise noch mal einen Abnehmer gefunden hat“. Abgase aus Schiffsmotoren enthielten seit den 60ern zwischen 3,5 und 4,5 Prozent Schwefel, so eine Studie des Mineralölkonzerns Chevron. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO hat ab 2012 einen Grenzwert von 3,5 Prozent festgelegt. Klassischer LKW-Diesel hat 0,001 Prozent Schwefelanteil.
Frachter, die beispielsweise von Schanghai nach Hamburg fahren, geben also Schwefeloxide in die Luft über dem Indischen Ozean ab. Im Hafen sind sie ja nur kurz und meist ohne dass der Motor richtig läuft. Daher fiel das Problem jahrzehntelang nicht auf. Bis der Kreuzfahrtschiff-Boom kam.
Früher war Axel Friedrich im Umweltbundesamt für die Einführung des Katalysators in Automotoren zuständig. Er gilt als Autorität, wenn es um die Verhinderung von Schadstoffen geht. Nun ist er nicht mehr Beamter, sondern Berater von Greenpeace, BUND, NABU, Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (heute GIZ), Weltbank, um ein paar zu nennen. Und er rät dazu, die Kreuzfahrtschiffe in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen, obwohl es schätzungsweise 100-mal weniger Kreuzfahrt- als Frachtschiffe gibt.
„Transportreedereien ist ihr Image egal“, so Friedrich. „Die Kreuzfahrtbranche aber braucht ein gutes Image. Sie muss an ein großes Publikum verkaufen. Also ist sie leichter angreifbar.“ Zweitens: „Kreuzfahrtschiffe sind sichtbarer. In Häfen liegen sie für alle wahrnehmbar am Kai. Anders als Containerschiffe.“ Drittens, so Friedrich: „Der Schifffahrtsbranche geht es gerade nicht gut. Die Kreuzfahrtbranche jedoch boomt. Sie hat seit Jahren ein Wachstum von zehn Prozent. Man muss Forderungen an die stellen, die Geld haben.“
Bei der Handelskammer Hamburg haben sie den Computer ackern lassen. Mit folgender Formel ließen sie den Rechner arbeiten: WS + 0,577 x 0,47 = WS x (1 + 0,577 x 0,47) = 1,271 x WS. WS gleich Wertschöpfungsmultiplikator. Am Ende sagte die Statistik, dass der Kreuzfahrttourismus aktuell 270,6 Millionen Euro in die Stadt brachte. Zwischen 2011 und 2013 stieg die Zahl der Anläufe in den Hafen um 50 Prozent und, weil die neuen Schiffe immer größer werden, die Passagierzahl um 60 Prozent. Mehr als 6.000 geldausgebende Touristen kann so ein Schiff über die Binnenwirtschaft einer Hafenstadt ausgießen. Zwei Kreuzfahrtterminals gibt es im Hamburger Hafen bereits. Ein drittes soll 2015 fertig sein.
178 Kreuzfahrtschiffe liefen 2013 den Hafen an, 2014 werden es rund 190 sein, vielleicht sogar ein paar mehr. 552.459 Touristen brachten die Schiffe 2013 nach Hamburg, die Prognose für dieses Jahr liegt bei 600.000. Die Zahlen für Europa liefert die CLIA, das steht für „Cruise Lines International Association“, den größten Verband der Branche: 37,9 Milliarden Euro hätte die Branche in Europa umgesetzt. Die CLIA erwartet die ganz großen Zahlen für die Zukunft. Denn die Amis kreuzen noch viel mehr, die Europäer, vor allem die Deutschen, könnten sich also noch steigern.
Es seien besonders wertvolle Touristen, sagt Nadine Palatz vom „Hamburg Cruise Center“, einem Zusammenschluss von Firmen, die ihr Geld mit Kreuzfahrern machen. Dass die Reisenden, die in Hamburg an Land gehen, so wertvoll sind, liege daran, dass die meisten der Kreuzfahrtschiffe, die in Hamburg einlaufen, dort ihre Reise beginnen oder beenden. Für Tourismusmanager sind gute Touristen diejenigen, die ein paar Tage in der Stadt verbringen, einkaufen, Taxi fahren.
In Venedig, der „bella città della laguna“, gibt es nicht so viele Autos und dennoch die schlechteste Luft aller italienischen Großstädte. Zumindest behauptet das die Bürgerinitiative „Comitato no grandi navi“. Das liege an den Kreuzfahrtschiffen. Bis zu acht Stück laufen täglich ein. Nach Venedig kommen mit den Schiffen eher die sogenannten Transfertouristen, solche, die morgens anlegen, den Tag an Land verbringen und abends wieder ablegen.
Wenn ein Hafen Pech hat, und viele haben Pech, schlendern die Touristen mal durch – und fertig. An Bord essen sie zu Tau- senden ihre Vielgang-Menüs in hell erleuchteten Hallen, gehen in Spa-Bereiche, in Kinos, planschen in beheizten Schwimmbädern, lassen die Klimaanlagen laufen. Denn sie haben ja pauschal vorab bezahlt. Das bedeutet: Diese Kreuzfahrtschiffe sind Superstromfresser, die im Hafen die Motoren laufen lassen müssen. So ein Kreuzfahrtschiff hat einen Stromverbrauch wie eine Kleinstadt.
Der internationale Kreuzfahrtverband schickt, um gegen die Naturschützer zu bestehen, Pressemitteilungen: Auf Kreuzfahrtschiffen werde viel für den Umweltschutz getan, steht zum Beispiel darin. Um 70 Prozent sei der Treibstoffverbrauch in den letzten 20 Jahren gesunken, weil die Motoren besser geworden seien. Nur: Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Kreuzfahrtschiffe um ein paar hundert Prozent. Umweltschutzerfolge vermeldete auch der
„European Cruise Council“, ein anderer Zusammenschluss von Kreuzfahrtanbietern, der sich Ende 2012 mit der CLIA zusammengeschlossen hat. Aber keiner der beiden Verbände nennt den Grund für die Fortschritte: In sogenannten Schutzzonen (Emissi- on Control Areas) darf kein Schweröl mehr verbrannt werden.
Die Vorschriften für alle Schiffe, die auf den Meeren fahren, kommen von der IMO, der „International Maritime Organization“, einem UN-Gremium in London. Regionen können Sonderregelungen verlangen, und manche machen das auch: Die nordamerikanische Schutzzone (ca. 200 Seemeilen) vor den Küsten der USA und Kanadas sowie fast die komplette Nordsee und die Ostsee dürfen nur noch mit Treibstoff, der weniger als ein Prozent Schwefelanteil enthält, befahren werden.
Frachtschiffe fahren deshalb möglichst lange auf offenem Meer und schießen auf dem kürzesten Weg in den Hafen. Für diese Ausflüge nutzen sie sogenannten „Marine Diesel“, der nur ein Prozent Schwefel enthält. In Häfen der Europäischen Union darf, sobald das Schiff angelegt hat, nur Treibstoff mit einem Schwefelanteil von maximal 0,1 Prozent verbrannt werden. Ab 2015 gilt diese Obergrenze auch für die Nord- und Ostsee. Ab 2020 soll dann weltweit auf allen Meeren eine 0,5-Prozent-Schwefel-Obergrenze gelten. Außerhalb der EU könnte das Inkrafttreten dieser Regelung allerdings noch auf 2025 verschoben werden, falls nicht ausreichend geeigneter Treibstoff zur Verfügung steht. Kreuzfahrtschiffe können also auch anders. Aber ihre Besitzer zeigen das nur, wo Schweröl verboten ist.
Gerade sei „alles in der Schwebe“, sagt Michael Rebbelmund von der Firma Bomin Linde in Hamburg, die umweltschonenderes „Liquid Natural Gas“ (LNG) verkaufen will. Gewonnen wird LNG in teuren Anlagen. Gas, riesige Tanks und neue Technik sind dafür nötig, Schiffe müssen für viel Geld umgerüstet werden. „Scrubber“ könnten das Problem lösen. So werden die neuen Entschwefelungs- anlagen genannt. Sie sorgen für gute Luft, übrig bleiben aber die Reststoffe, vor allem Schwefelsäure. Die müssten entsorgt werden oder dürfen ins Meer abgelassen werden. Umweltschützer mögen sie nicht, da die Technik den Dreck nur von der Luft ins Meer verlagere. Schiffsbesitzern sind sie zu teuer. Acht bis zehn Millionen Euro koste so ein Ding, sagt Rebbelmund. Und da ist noch eine Möglichkeit: Wenn Kreuzfahrtschiffe im Hafen liegen, könnten sie von Land Strom kriegen. Quasi aus der Steckdose. Wobei das in vielen Häfen wieder nicht gehen wird.
Der Umweltschützer Axel Friedrich hält das alles für „Augenwischerei“: „Die neuen Schiffsmotoren sind hocheffizient, effizienter als Kraftwerke. Landanschlüsse wären also schlechter für die Umwelt.“ LNG? „Teurer als Diesel.“ Am besten wären Dieselmotoren mit Katalysator. Bei einem Neubau koste ein Kat 1,5 Millionen Euro, bei einem Umbau 3,5 Millionen Euro. Die Branche verdiene so viel, dass sie sich das Umrüsten leisten könne. „Es werden ständig neue Kreuzfahrtschiffe gebaut. Die geben für die Luxusinnenausstattung viel Geld aus, da ist das doch ein Klacks.“