Kernenergie bietet, was viele gerade dringend suchen:einen sicheren Arbeitsplatz. Und das, obwohl die rotgrüne Bundesregierung vor sechs Jahren beschloss, bis zum Jahr 2023 die 17 deutschen Kernkraftwerke (KKW) vom Netz zu nehmen, die derzeit noch laufen. 19 weitere KKWs sind bereits stillgelegt oder wurden nie richtig genutzt. Dadurch gehen zunächst gut 17 000 Arbeitsplätze verloren. Allerdings können KKWs nicht so einfach abgerissen werden wie nutzlos gewordene Fabrikhallen – zu viel radioaktive Strahlung würde auf einmal frei werden. Für einen sicheren, stufenweisen Rückbau aber benötigt man Ingenieure und Arbeiter, und das fast bis zum Ende unseres Jahrhunderts. Sichere Arbeitsplätze eben. Kernenergie brachte und bringt eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich. So kann Atommüll mehrere Millionen Jahre lang weiter radioaktiv strahlen, deshalb muss er an sicheren Orten gelagert werden. Außerdem ist Uran, das Schwermetall, das für die Kernspaltung benötigt wird, ein natürlicher Rohstoff, der zur Neige geht – Schätzungen auf der Basis der bekannten Vorkommen gehen davon aus, dass das zwischen 2030 und 2050 geschehen wird. Deutschland muss Uran importieren, die größten Uranminen liegen in Russland, Australien, den USA und in einigen afrikanischen Staaten. Ein Super-GAU (GAU steht für „Größter Anzunehmender Unfall“) wie in Tschernobyl 1986 hat – bei der Laufzeit eines KKW von 40 Jahren – laut „Ärzte gegen Atomkraft“ eine Wahrscheinlichkeit von etwa 0,1 Prozent. Bei der Entscheidung für oder gegen die Kernenergie spielt eine wichtige Rolle, wie sehr Kernkraft den Alltag beeinträchtigt. Denn gesundheitsgefährdend kann Kernenergie auch sein, ohne dass es zu einem GAU kommt. So werden in der Umgebung von Kernkraftwerken überdurchschnittlich viele Fälle von Leukämie diagnostiziert. Es ist allerdings schwer, eine direkte Verbindung zwischen der Erkrankung und dem KKW nachzuweisen. Auch die Umwelt wird belastet, wie das Beispiel Sellafield in Nordengland zeigt: Dort stehen zwei Wiederaufbereitungsanlagen, auch radioaktiver Müll wird hier gelagert. Im April 2005 wurde ein Leck entdeckt, aus dem monatelang Radioaktivität entwich. Uran und Plutonium wurden zwar aufgefangen, die Strahlenbelastung lag unter dem kritischen Grenzwert. Trotzdem werden Tauben, die in der Nähe verendet sind, als Sondermüll behandelt, teilweise ist auch das Meer belastet.
Die Gefahren sind bekannt, doch wie geht man mit ihnen um? „Die Kernkraft ist eine Sache, die man politisch lösen muss. Letztlich ist es die Frage,welche Risiken die Gesellschaft in Kauf nehmen will“, sagt Wolfgang Irrek, Experte für Energiepolitik am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Für die Diskussion des Risikos ist mitentscheidend: Geht es ohne Kernkraft? Ein glaubhaftes Szenario für die Jahre um den Ausstieg zu entwerfen ist beinahe so kompliziert, wie einen Atomkern zu spalten. Zumindest das Wuppertal Institut kommt zu dem Schluss: Ja, es geht ohne. Doch dafür müssen zahlreiche Voraussetzungen erfüllt werden: Der deutsche Energiegewinn aus Erdgas muss im Vergleich zum Jahr 2005 fast verdoppelt, der aus Biomasse verfünffacht werden. Die Nachfrage nach Energie dürfte nicht steigen – oder anders ausgedrückt: In Sachen Einsparung und Effizienz muss künftig deutlich zugelegt werden. Der Ausstieg aus der Kernenergie soll das fördern. In letzter Zeit scheint die Kernkraft wieder gesellschaftsfähig zu werden. Ein Grund ist der immer weiter steigende Ölpreis. Gleichzeitig scheint der Klimawandel durch Hurrikan- und Hochwasserkatastrophen langsam sichtbar zu werden. Ein starkes Argument dafür, den Kohlendioxid-Ausstoß zu verringern, um den Treibhauseffekt nicht weiter zu steigern. Bei der CO2-Reduktion kann die Kernkraft wenig helfen, da mit ihr kaum Erdöl ersetzt werden kann: Mit Strom können derzeit nur wenige Autos angetrieben werden. Auch das Argument, Kernkraft sei die billigste Energiequelle, ist nicht bewiesen. „Die Hersteller sagen, man könne Kernkraftwerke jetzt günstiger bauen. Aber in der Vergangenheit haben die Hersteller immer falsch gelegen“, meint Irrek. Der Umbau von Kernkraftwerken kostet zudem oft mehr als der Neubau, die Kosten für eine spätere Endlagerung sind noch gar nicht abzusehen. Ganz sicher wären sie aber – ebenso wie die Strahlung selbst – eine Dauerbelastung. Radioaktivität ist außerdem nicht nur ein zeitloses, sondern auch ein grenzenloses Problem. China zum Beispiel wird in den nächsten Jahren sechs neue Kernkraftwerke bauen, langfristig sogar mehr als zwanzig. Doch mögliche Gefahren liegen viel näher. Allein in Frankreich sind noch 59 Reaktoren in Betrieb. In Tschechien gibt es zwar nur zwei, doch allein in Temelin haben sich schon mehr als 100 offizielle Störfälle ereignet. Temelin liegt 230 Kilometer von München entfernt.